Essen. Einsamkeit begünstigt Demenz und Parkinson. Ein Essener Arzt erklärt, warum es sogar beim Beinbruch eine Rolle spielt, ob der Patient einsam ist.
Jüngst hat auch die Politik das Thema Einsamkeit entdeckt: Dieser Tage legte die Bundesregierung eine Strategie gegen Einsamkeit vor, die 111 Maßnahmen umfasst. Da heißt es auch: „Einsamkeit kann sich auf die Gesundheit auswirken: So steigt beispielsweise das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, einen Schlaganfall, eine Depression oder Demenz.“
Prof. Dr. Christoph Kleinschnitz, der die Klinik für Neurologie am Uniklinikum Essen leitet, kann das nur bestätigen: „Einsamkeit hat neben einer persönlichen und einer gesellschaftlichen auch eine medizinische Seite.“ So steige das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, bei einsamen Menschen um 20 bis 30 Prozent. Eine im Oktober 2023 von US-Wissenschaftlern veröffentlichte Studie („Loneliness and Risk of Parkinson Disease“) komme zu dem Ergebnis, dass auch das Parkinson-Risiko signifikant steige.
Wer einsam ist, erkrankt eher an Demenz oder Parkinson
„Einsamen Menschen fehlt der Input, den andere durch Freunde, Familie, Chor, Sportclub oder den Kleintierzuchtverein bekommen“, sagt der Mediziner. Doch ohne soziale und intellektuelle Anreize können Nervenzellen absterben, was neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz und Parkinson begünstige. „Umgekehrt haben diejenigen, die sozial eingebunden sind und einen hohen Bildungsgrad haben, mehr Reserven, auf die sie zurückgreifen können.“
Sporttreiben, Freundschaften pflegen, Kontakte suchen, Rausgehen ist demnach gelebte Vorbeugung. „Leider hat die Coronapandemie den Trend verstärkt, zu Hause zu bleiben, vorm Computer zu sitzen, Essen zu bestellen“, listet Kleinschnitz auf. Oft verstärkten ungesunde Lebensführung, Übergewicht und Rauchen die Einsamkeit noch, Depressionen oder Angsterkrankungen erschwerten es den Betroffenen, auf andere zuzugehen. Mit hohem Alter nehme vor allem bei Männern die Verzweiflung oft zu, die Suizidrate steige. „Einsamkeit wird ein Mega-Thema der Medizin“, sagt der Mediziner.
Mütter wollen schnell aus dem Krankenhaus entlassen werden
Streng genommen spiele die Frage, ob jemand einsam ist oder nicht, bei jeder Krankheit eine Rolle, selbst beim Beinbruch. „Bei einem Krankenhausaufenthalt sind junge Mütter immer die ersten, die nach Hause wollen: Weil sie gebraucht werden.“ Beruflich stark eingebundene Patienten wiederum säßen schon mit Laptop im Krankenbett, hängten sich bei Physio- oder Ergotherapie rein. „Andere liegen nur im Bett, obwohl sie dieselben Angebote bekommen.“ Manchmal gelinge es, sie über die ungewohnte Zuwendung und kleine Erfolge zu motivieren: „Die blühen richtig auf.“
Kleinschnitz wünscht sich, dass einsame Menschen nicht erst im Krankenhaus Ansprache erfahren, sondern im Alltag. Dazu müsse nicht immer die Politik, das große Rad drehen: Nachbarschaftshilfe, familiärer Zusammenhalt, Ehrenamt und Selbsthilfe könnten eine große Rolle spielen. Jeder sei da gefragt.
Coronamaßnahmen haben alte Menschen brutal vom Leben abgeschnitten
Als schmerzlich empfinde er, dass man während der Pandemie vor allem Senioren brutal vom sozialen Leben abgeschnitten habe. „Menschen, die nur noch eine begrenzte Lebenszeit haben, wurden Besuche, Aktivitäten und gemeinsame Mahlzeiten gestrichen.“ Staatlich verordnete Einsamkeit im Pflegeheimzimmer. Er erkenne an, dass das geschehen sei, um sie zu schützen; überzogen sei es dennoch gewesen. „Man müsste da mal drüber reden, ohne jemanden auf die Anklagebank zu setzen.“
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