Essen. Die Psyche kann durch Erlebnisse in der Kindheit beeinträchtigt werden. Im Essener Philippusstift gibt es nun eine neue Behandlungsmethode.

Schema-, nicht Chemotherapie, heißt eine Behandlungsmethode, von der sich die Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin in Essen-Borbeck viel verspricht. Dr. Özge Pekdoğan Çağlar, seit April 2023 neue Chefärztin am Philippusstift, hat die Methode in der Klinik eingeführt – zusammen mit Maren Randow, Leitende psychologische Psychotherapeutin, die wie Pekdoğan Çağlar zuvor damit an einer Düsseldorfer Fachklinik gearbeitet hat.   

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Bestimmte Muster (Schemata) beeinflussen die psychische Gesundheit. Erlernt werden diese Verhaltensweisen bereits in der Kindheit. „In der Schematherapie nehmen Psychotherapeuten diese falschen Glaubenssätze der Patienten unter die Lupe. Denn im Krankheitsfall können belastende Muster überschrieben werden“, so die Chefärztin. Wie sieht eine Behandlung mit der Schematherapie aus, die der US-Psychiater Jeffrey E. Young in New York 1990 entwickelt hat? 

Fallbeispiel: So funktioniert die Schematherapie

Ein Fallbeispiel: Herr M. meldet sich beim Hausarzt. Seit einigen Tagen könne er das Haus nicht mehr verlassen. Er bekomme Herzrasen und Schwindel, sobald er unter Menschen sei. Seine Ehefrau drohe ihm mit der Trennung, sollte er sich nicht in den Griff bekommen. Er esse weniger und ziehe sich am liebsten in sein Bett zurück. Und manchmal wünsche er sich, einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen. Der Hausarzt überweist ihn ans Philippusstift Essen. Hier kommt Herr M. auf eine offene Station mit schematherapeutischem Schwerpunkt.

Chefärztin Dr. Özge Pekdoğan Çağlar (l.) und Maren Randow, Leitende psychologische Psychotherapeutin im Essener Philippusstift.
Chefärztin Dr. Özge Pekdoğan Çağlar (l.) und Maren Randow, Leitende psychologische Psychotherapeutin im Essener Philippusstift. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

In Einzel- und Gruppengesprächen suchen Psychiater und Therapeuten nach Antworten in der persönlichen Vergangenheit ihrer Patienten. Oft liegen die Wurzeln in der Kindheit. Wurden emotionale Grundbedürfnisse – sichere Bindung oder Selbstentfaltung – nicht genug befriedigt, kann die psychische Gesundheit Schaden nehmen. Nach der Aufnahme in der Borbecker Klinik dienen spezielle Fragebögen zur Ursachenklärung. Abgefragt in der Ich-Form werden persönliche Beziehungen der Patienten – zu ihren Lebenspartnern, der Familie oder Freunden.

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Ferner werden Gefühle wie Angst vor Verlassenwerden ermittelt, Selbstzweifel oder Glaubenssätze, die ein Mensch im Laufe des Lebens erworben und verinnerlicht hat. Diese Schemata sind den Patienten in der Regel nicht bewusst. Um alte Muster zu durchbrechen, wenden Schematherapeuten Techniken an, die negative Erfahrungen aus der Kindheit im Hier und Jetzt erlebbar machen. In solchen Imaginationsübungen erinnern sich Patienten an prägende Erlebnisse. „Sie empfinden dabei die Gefühle, die sie damals verspürten“, erklärt Dr. Pekdoğan Çağlar.

Fragebögen sind Bestandteil der Schematherapie

Zurück zu Herrn M.: Die Fragebögen zeigen bei ihm unter anderem ein sogenanntes „Verlassenheitsschema“ auf. „Wiederholt erlebte er als Kind Frustrationen im Bindungsbedürfnis. Die Eltern trennten sich früh, sein bester Freund war weggezogen, die alleinerziehende Mutter musste viel außer Haus arbeiten. Somit war der Patient oft allein“, sagt Psychotherapeutin Maren Randow.

Das Philippusstift in Essen-Borbeck behandelt Patienten mit der sogenannten Schema-Therapie.
Das Philippusstift in Essen-Borbeck behandelt Patienten mit der sogenannten Schema-Therapie. © Contilia

Im Laufe der Sitzungen erkennt Herr M. praktisch das Kind in sich. Er versteht, dass er sich seiner Frau gegenüber so verhält, wie als kleiner Junge, der verlassen wird. Er fällt in sein altes Schema. Darin handelt er mit sogenannten Modi: „Als seine Frau ohne ihn ausgeht, denkt er, dass er nicht wichtig sei. Da spricht der Kritiker-Modus ihn ihm. Er fühlt sich ängstlich und ist traurig und erleidet Panikattacken – was wir als ‚verletzlichen Kind-Modus‘ bezeichnen. Und am Ende reagiert er mit sozialem Rückzug, ein Bewältigungs-Modus“, so Randow weiter.

Nach der Schematherapie findet eine ambulante Nachsorge statt

In Übungen unter der Begleitung und Hilfe eines Therapeuten versetzt sich Herr M. in „Stuhldialogen“ in seine heutigen Modi. Hierbei hat er Gelegenheit, die krank machenden Anteile zu erkennen und zu verändern. In der Vorstellung wechselt er die inneren Rollen, schlüpft in die des Vaters oder der Mutter. „So finden die Patienten im gesunden Erwachsenenmodus konstruktive Wege, für mehr emotionales Wohlbefinden und neue sowie gesündere Denk- und Verhaltensweisen“, erläutert die Chefärztin. Die neuen Erkenntnisse und Techniken würden in einer psychotherapeutischen Schemagruppe vertieft. Und in der sogenannten „Kinotherapie“ kann Herr M. reflektieren, dass Elton John in „Rocket Man“ als Darsteller im „Verlassenheitsschema“ reagiert. Zudem kann er seine einzelnen Modi auch gestalterisch in einer Ergotherapie ausarbeiten.

Nach circa acht bis zehn Wochen verlässt Herr M. die Klinik und ist soweit stabil, dass er am beruflichen und privaten Alltag wieder teilhaben kann. In der Regel erfolgt eine ambulante Nachsorge, etwa mit ambulanten, psychotherapeutischen Einzelgesprächen, Medikamenten oder Treffen in Selbsthilfegruppen.

Psychische Beschwerden

Angst- und Schlafstörungen, Depressionen, Suchtverhalten, ADHS und Demenz sind weit verbreitete psychische Beschwerden. Für Patienten mit Persönlichkeitsstörungen und chronischen Depressionen bietet die Fachklinik an der Hülsmannstraße als erste in Essen die Schematherapie. 

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