Essen. In der Notaufnahme der Uniklinik Essen landen am Wochenende häufig Jugendliche mit Lähmungserscheinungen. Schuld ist die Partydroge Lachgas.
Die Droge ist legal, am Kiosk erhältlich und erschwinglich: Lachgas erfreut sich auch bei Jugendlichen in Essen wachsender Beliebtheit. Ungefährlich ist es nicht. Mediziner warnen vor schweren gesundheitlichen Folgen, im schlimmsten Fall könne der Konsum lebensbedrohlich sein. Viele Konsumenten leiden (zeitweilig) an Lähmungen, einzelne sind gar auf den Rollstuhl angewiesen. „Wir brauchen ein Verbot oder mindestens striktere Regelungen“, fordert Prof. Dr. Christoph Kleinschnitz von der Uniklinik Essen.
Der Chef der Klinik für Neurologie am Uniklinikum erlebt immer wieder, was die vermeintlich harmlose Droge anrichten kann. „Vor allem an Wochenenden landen Betroffene bei uns in der Notaufnahme. Sie bekommen es mit der Angst zu tun, weil ihre Arme und Beine nicht mehr richtig funktionieren, weil sie nicht gescheit laufen können.“ Symptome, die auch von einer Infektion herrühren könnten und daher früher möglicherweise nicht immer richtig zugeordnet worden seien.
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Inzwischen sind die Mediziner aber sensibilisiert und fragen auch nach Lachgas, wenn die meist jugendlichen Patienten die Droge selbst nicht erwähnen. „Wenn mitten in der Nacht ein Trupp junger Leute einen Betroffenen bringt, ist das schon ein Hinweis.“
Vorangegangen ist dann meist eine Party mit dem billigen Rauschmittel: Lachgas – chemisch N2O oder Distickstoffmonoxid – wird in kleinen Kapseln als Treibmittel für Schlagsahne verkauft. An vielen Trinkhallen gibt es auch größere Gebinde zu kaufen; 25 Euro werden für die Kartusche mit 640 g fällig. 80 Dosen à 8 g kann man damit in Ballons füllen.
Essener Arzt spricht über die Wirkung von Lachgas
Das reiche jeweils für einen „kurzen, euphorisierenden Rausch“, sagt Kleinschnitz, teils von den namensgebenden Lach-Anfällen begleitet. Nach einer oder wenigen Minuten sei der Spaß vorbei. Mancher nehme darum im Laufe eines Abends 50 bis 100 Ballons. Am Wochenende und auf den Partymeilen der Republik werde Lachgas exzessiv konsumiert, häufig in Kombination mit Alkohol, Nikotin und Marihuana, was noch riskanter sei.
Unerwünschte Nebenwirkungen könne schon der einzelne Kick haben, sagt der Mediziner. Angefangen bei Erfrierungen an den Lippen und im Rachenraum, wenn man das Gas gleich aus der Kartusche konsumiere, statt es erst in einen Ballon zu füllen. Oft komme es auch zu rauschbedingten Unfällen: „Man kann bewusstlos werden, stürzen, sich Prellungen oder gar ein Schädel-Hirn-Trauma zuziehen.“
Schwere Nebenwirkungen von Lachgas
Auch kann der Lachgas-Konsum zu Sauerstoffmangel mit Hirnschädigungen oder zum Atemstillstand führen. „Es sind sogar schon einzelne Todesfälle beschrieben“, sagt Christoph Kleinschnitz. So dramatische Folgen habe die Partydroge selten, man müsse aber auch über diese Risiken aufklären.
Häufiger seien Nervenschädigungen im Rückenmark, die vor allem bei regelmäßigem Lachgaskonsum und hoher Dosierung zu beobachten sind. Lachgas blockiert die Wirkung des Vitamins B12 im Körper, das für die Nervenzellen wichtig ist. Der Vitaminmangel kann zunächst zu Taubheitsgefühlen führen. „Kribbeln in Händen und Füßen ist ein Warnsignal“, sagt Kleinschnitz. Später könne es zu teils gravierenden Lähmungen kommen – im schlimmsten Fall zu einem Querschnittssyndrom.
Junge Frau landete nach Lachgas-Konsum im Rollstuhl
„Wir hatten hier eine junge Frau, voll im Leben, die von der Ausbildung ins Studium wechseln wollte – dann landete sie im Rollstuhl.“ Wie viele andere mit Anfang, Mitte 20 sei sie in der Partyszene unterwegs gewesen, habe unbekümmert Lachgas konsumiert. Für viele Monate sei die vitale Frau ausgebremst gewesen, auch heute laufe sie mehr schlecht als recht.
Zwar können sich die Nervenbahnen bei den jungen Patienten meist regenerieren, doch Klinikaufenthalt und anschließende Reha dauerten oft sehr lange. „Wir verabreichen den Patienten Vitamin B12 in hohen Dosen und verordnen ihnen Krankengymnastik und Reha.“ Mehr könne man therapeutisch kaum machen.
„Man muss der Jugend auch ihren Unsinn zugestehen“, sagt der Mediziner. Fatal sei jedoch, dass Lachgas an jeder Ecke erhältlich sei und sogar an Kinder verkauft werde. Dabei befinden sich Gehirn und Rückenmark bei Teenagern noch in der Entwicklung, sind also besonders gefährdet.
Narkosemittel und legale Partydroge
In der Medizin wird Lachgas seit langem als Narkosemittel genutzt, vor allem Zahnärzte verwenden es.
Neuerdings wird es als legale Partydroge immer beliebter: Lachgas fällt nicht unter das Betäubungsmittelgesetz. Die Essener Polizei weist darauf hin, dass es anders als Alkohol auch nicht in der Straßenverkehrsordnung stehe: „Das bedeutet, dass bei einem festgestellten Konsum als Fahrzeugführer ohne Ausfallerscheinungen keine Ahndung möglich ist.“ Man informiere aber das Straßenverkehrsamt.
Sollte es nach einem Verkehrsunfall den Verdacht auf Lachgas-Konsum geben, „besteht der Anfangsverdacht einer Straftat nach § 316 Strafgesetzbuch“ (Trunkenheit im Verkehr), in dem neben Alkohol auch von „anderen berauschenden Mitteln“ die Rede ist.
Lachgas ist nicht mit Helium zu verwechseln, das man in Luftballons füllt, um ihnen Auftrieb zu verleihen. Wer das Ballongas Helium einatmet, bekommt kurzzeitig eine hohe Micky-Maus-Stimme.
In sozialen Medien wird Lachgas-Konsum als Rausch ohne Reue beschrieben. Anbieter werben im Netz: „N2O ist Dir sicherlich bekannt als Lachgas oder Spaßgas.“ Und sie raten zum Kauf der Flasche à 640 g: Damit „kommst Du deutlich länger aus als mit den Mini-Sahnekapseln“. Solche Werbung befeuert einen Trend, der nach Einschätzung des Mediziners während der Corona-Pandemie einen Schub bekommen habe. Inzwischen sei die Zahl der Anwender sehr, sehr hoch. „Es gibt einen Markt, die Kartuschen sind entsprechend poppig aufgemacht.“
An der Uniklinik sehe er zwar nicht massenweise Betroffene, aber durchaus viele. Kleinschnitz fordert daher, dass die Verfügbarkeit von Lachgas eingeschränkt wird: In anderen Ländern sei Lachgas schon verboten; auch hierzulande solle über ein Verbot nachgedacht werden. „Mindestens müsste es eine Altersgrenze und eine Mengenbeschränkung geben.“
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Kleinschnitz weiß um die begrenzte Wirkung von Verboten: Selbstverständlich könnten schon 14-Jährige über ältere Freunde an Zigaretten oder Alkohol gelangen. „Wenn ein Jugendlicher mit 2,8 Promille bei uns eingeliefert wird, ist das auch lebensbedrohlich.“ Bei Lachgas fehle jedoch noch das Bewusstsein für die Gefahr, man müsse medizinisch davor warnen und gesetzliche Grenzen ziehen: „Dann gibt es wenigstens eine Hürde.“
Die Polizei hat keine Handhabe gegen den Lachgas-Konsum
So aber bestätigt Polizeisprecherin Sonja Kochem zwar, dass es einen „steigenden Trend beim Konsum von Lachgas gebe“. Eine Handhabe dagegen habe die Polizei nicht, da Lachgas nicht unter das Betäubungsmittelgesetz falle: „In Deutschland sind weder der Besitz noch der Verkauf unter Strafe gestellt.“
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