Duisburg. Jugendliche Straftäter können am Petershof in Marxloh Sozialstunden ableisten. Sie erhalten so eine zweite Chance. Was das Besondere daran ist.

Sie kommen zu Pater Oliver Potschien, weil ein Richter das so angeordnet hat. Für so manchen Jugendlichen kann dieser Urteilsspruch jedoch eine zweite Chance bedeuten. Denn am Marxloher Petershof können junge Straftäter Sozialstunden ableisten – und vielleicht sogar ein neues Leben beginnen. Das zeigen erste Erfolgsgeschichten.

Am sozialpastoralen Zentrum neben der Kirche St. Peter an der Mittelstraße gibt es Arbeit genug. Derzeit leisten dort ein halbes Dutzend junge Männer und junge Frauen ihre gerichtlich angeordneten Sozialstunden ab. Das Konzept dafür hat der Petershof mit der städtischen Jugendgerichtshilfe bereits 2020 vereinbart. Es soll als sogenannte „Petershofer Modell“ den traditionellen Umgang mit Sozialstunden neu aufstellen. Durch Corona konnte es nie vollständig umgesetzt werden. Aber jetzt soll es nach den Sommerferien neu angelaufen.

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„Die Jugendlichen jäten hier nicht nur Unkraut zur Strafe. Sie brauchen auch eine vernünftige Resozialisation“, sagt Petershof-Leiter Pater Oliver. Deshalb verfolge er mit Sozialarbeiter Oğuz Topac einen Ansatz, der sich von der üblichen Herangehensweise unterscheide. Die beiden nutzen kein Anti-Agressionstraining, Kurse oder Projektarbeit. „Das hat bei unseren Jugendlichen mit sozialen Problemen selten zum gewünschten Erfolg geführt“, so Topac. Daher setzt das neue Konzept vielmehr darauf, die Straftäter langfristig zu begleiten und ihnen so Perspektiven zu eröffnen – vom Schulabschluss über einen Minijob bis zur Ausbildungsstelle oder Vollzeitjob. Sozialstunden werden beispielsweise ergänzt durch Stadtteil-Arbeit mit den Stadtteil-Paten.

„Petershofer Modell“ soll Straftätern aus Duisburg neue Perspektiven eröffnen

„Wir schütten aber nicht das Füllhorn aus“, betont Oğuz Topac. Strafe muss natürlich sein und der Sühne-Charakter der Gerichtsentscheidung soll nicht unterlaufen werden. Potenzielle Mini-Jobs, die sich an die Sozialstunden anschließen können, sind an Voraussetzungen geknüpft. Die jugendlichen Straftäter sollen sehen, dass man ihnen Möglichkeiten eröffnet, die sie vorher nicht hatten. Dafür müssen sie sich aber zunächst beweisen. Fleißig sein, zuverlässig und reumütig.

Illusionen macht sich Pater Oliver indes nicht und will auch nichts schönreden: „Natürlich entgleiten uns auch Leute. Sie kommen auch nicht alle zum Petershof und sind dann geläutert.“ Zu helfen, dass Straftäter die Kurve kriegen, sei ein langer Prozess, für den man einen langen Atem brauche. „Es gibt nicht nur Fortschritte, sondern auch Rückschritte. Trotzdem darf man das Ziel nicht aus den Augen verlieren.“

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Das hat sich auch Baker Yüksekdas fest vorgenommen. Der 19-Jährige hatte schon richtig was auf dem Kerbholz, darunter Raub und Körperverletzung, als er zu Pater Oliver kam, um 120 Sozialstunden abzuleisten – ein gutes Jahr lang. Er war fleißig, pünktlich, zuverlässig und hat zügig gearbeitet, wie der Priester zu berichtet weiß. Yüksekdas hat den Obdachlosen in den Notschlafcontainern geholfen, Müll aufgesammelt, Hühner und Esel auf dem Petershof versorgt. Inzwischen hat er einen Mini-Job und fühlt sich als vollwertiges Mitglied im Team.

Erfolgsgeschichten aus Duisburg-Marxloh

„Ich habe mich sehr verändert, auch wegen der netten Leute hier“, sagt Yüksekdas dankbar. Ich kann mir nicht vorstellen, hier wieder wegzugehen.“ Seinen Kumpel Amran Mashgri hat er ebenfalls überzeugt, es am Petershof zu versuchen. Den Rat hat Mashgri befolgt und sich, ganz ohne Druck eines Richters, erfolgreich um ein Praktikum bemüht. Dabei überzeugte er, so dass er jetzt eine Ausbildung zum Bürokaufmann macht. Die Arbeit sei zwar hart, sagt der 17-Jährige, und er habe viel weniger Freizeit als früher. „Aber ich bin viel weniger auf der Straße und komme nicht auf dumme Gedanken.“

Dass ein Arbeitskollege es sogar vom Verbrecher mit Sozialstunden zum Unternehmer geschafft hat, sporne Amran Mashgri an, sich tagtäglich anzustrengen. Tatsächlich ist aus der Idee eines Kiosk-Wagens auf dem Kirchplatz von St. Peter, bestätigt Pater Oliver, nun eine eigene Firma entstanden. Demnächst soll eine Trinkhalle an der alten B8 eröffnet werden und das Geschäft dann eine Familie ernähren.

Sozialstunden am Petershof halten reumütige Jugendliche von weiteren Verbrechen fern

Die bislang größte Erfolgsgeschichte gehört jedoch dem Rumänen Leonard Zinca. Als Dieb kam er mit Sozialstunden gezwungenermaßen an den Petershof. Damals war er gerade mal 15 Jahre alt und Vater eines kleinen Babys, das er ernähren wollte. Er schaffte die Kehrtwende, jobbte später als Hausmeister und Helfer für die vielen Menschen am sozialpastoralen Zentrum. „Das Einkommen durch diesen Minijob hat für mich sehr viel geändert. Zum Besseren“, sagt der nun 19-Jährige. „Es hat mich von der Straße und damit vom Verbrechen ferngehalten.“

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Es folgten der Schulabschluss und eine Ausbildung. Heute steht der Familienvater auf eigenen Beinen, lebt mit seiner Frau in einer eigenen Wohnung in Obermarxloh. Das Paar hat zwei Kinder, das dritte ist unterwegs. Die Familie ernährt Leonard Zinca mit zwei Jobs. Er ist weiterhin beim Petershof, hauptberuflich brät er aber jetzt Cheeseburger bei einem großen amerikanischen Gastronomie-Konzern. „Ich bin mega-dankbar“, sagt Leonard Zinca, und dass er für andere ein Vorbild ist mache ihn „sehr, sehr stolz“.

Keine Berührungsängste

Als großen Glücksfall sehen deshalb er und andere Jugendliche, dass sie ihre Verbrechen beim Petershof sühnen durften. Vielfach loben Betroffene die dortigen Bedingungen. „Niemand wird hier verurteilt, jeder wird akzeptiert, wie er ist“, so Amran Mashgri. „Wir haben keine Berührungsängste“, bestätigt Pater Oliver. Ihm sei wichtig, dass „wir allen Leuten mit Würde begegnen“. Dennoch brauche es bei allen individuellen Lösungsansätzen, die das Petershofer Modell ermöglicht, den Grundkonsens mit den beteiligten jungen Männer und Frauen, „dass wir hier alle zusammenarbeiten“. Wer darauf pfeift, sagt Baker Yüksekdas und lächelt wissend, könne den Pater durchaus „richtig sauer“ erleben.

„Wir machen Türen auf, aber durchgehen müssen die Jugendlichen alle selber“, ordnet Pater Oliver ein und unterstreicht damit die Leistung von Leonard Zinca und den anderen. Denn Positivbeispiele und Erfolgsgeschichten sind bei der Arbeit mit jugendlichen Straftätern sehr hilfreich. Nicht zuletzt, weil sie andere Betroffene motivieren.

>> INDIVIDUELLE LÖSUNGEN FÜR DIE STRAFTÄTER

● Die jugendlichen Straftäter, die am Petershof ihre Sozialstunden ableisten, kommen meist aus Marxloh oder dem übrigen Bezirk Hamborn. So unterschiedlich wie sie sind, so individuell und teils kleinschrittig sind auch spätere Perspektiven.

● Bei den Lösungsansätzen muss laut Pater Oliver natürlich berücksichtigt werden, ob jemand im Supermarkt Milch geklaut hat, damit das Kind nicht hungert. Oder ob es um Raub oder eine heftige Prügelei geht. Erfahrungsgemäß seien zugeteilte Gewalttäter am Petershof eher männlich, während Frauen eher stehlen.

● Müssen die Jugendlichen einmal ordentlich Dampf ablassen, steht ihnen der Boxkeller der DJK Eintracht Marxloh auf dem Gelände zur Verfügung.