Duisburg-Obermarxloh. Der Duisburger Stadtteil-Check zeigt, dass sich junge Menschen in Obermarxloh sehr wohl fühlen können. Doch sie sehen auch die Schattenseiten.

In Obermarxloh sind Michelle Armbrecht und Berat Ergüner aufgewachsen, haben viele Erinnerungen an eine glückliche Kindheit und beginnen jetzt ihr Berufsleben. Ihr Blick auf ihre Heimat fällt jedoch sehr unterschiedlich aus – und entsprechend kontrovers diskutieren sie über die Ergebnisse des Stadtteil-Checks.

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„Ich würde Obermarxloh eine Eins geben! Hier habe ich alles, die Menschen hier sind wie eine Familie, ich sehe hier nichts Schlechtes“, schwärmt der 21-jährige Lokalpatriot Berat Ergüner. Doch nicht alle Einwohner teilen seinen Enthusiasmus, der Stadtteil bekam lediglich die Gesamtnote Drei minus (3,48). Diese kann auch Michelle Armbrecht (22) vertreten. Tatsächlich liegen die örtlichen Ergebnisse in fast allen Kategorien unter dem Stadtmittel, und der errechnete Durchschnitt sogar nur bei einer Vier plus (3,72) – und damit nicht weit weg von den schlechten Ergebnissen in Bruckhausen, Marxloh und Beeck.

Stadtteilgrenzen interessieren Duisburger Jugendliche nicht

Einig sind sich die beiden jungen Obermarxloher allerdings, dass die Einkaufsmöglichkeiten (2,49) gut sind. Damit meinen sie aber nur die Grundversorgung, die durch mehrere Discounter und einen türkischen Supermarkt abgedeckt sind. Fachgeschäfte vermissen sie jedoch nicht. „Solche Läden würden sich auch gar nicht halten“, ist die Studentin überzeugt.

Die Kirche St. Norbertus ist eine Landmarke von Duisburg-Obermarxloh. Im Ruhrgebiet dürfen aber natürlich auch Trinkhallen nicht fehlen – und von denen gibt es gleich mehrere im Stadtteil.
Die Kirche St. Norbertus ist eine Landmarke von Duisburg-Obermarxloh. Im Ruhrgebiet dürfen aber natürlich auch Trinkhallen nicht fehlen – und von denen gibt es gleich mehrere im Stadtteil. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

„Die Jugendlichen wissen gar nicht, wo die Stadtteilgrenzen sind. Vom Dichterviertel, zum Altmarkt bis zu Grillo, das ist alles unser Hamborn“, ergänzt Berat Ergüner schmunzelnd. Dementsprechend kaufen sie selbstverständlich auch am nahen Hamborner Altmarkt ein. Doch auch dort sei die Auswahl klein, wendet Michelle Armbrecht ein. Zum Klamottenkaufen müsse man schon in die Innenstadt oder ins Centro, insbesondere wenn man, wie sie, Wert auf Umweltschutz und Nachhaltigkeit lege und Second-Hand-Kleidung einkaufe.

„McDonald’s ist der romantischste Ort für ein Rendezvous“

Ebenso grenzüberschreitend leben junge Leute, um ihren Hunger zu stillen. Die schlechte Bewertung für die Gastronomie (4,00) findet Ergüner daher unangebracht. „Am Ende des Tages hat jeder einen vollen Magen.“ Er verweist auf Dönerbuden, eine Pizzeria, Trinkhallen und auf Burger King. Beliebt sei zudem das McDonald’s nebenan, das ihn an viele Rendezvous erinnere. „Dahin zu gehen ist das Romantischste was man hier machen kann. Dort habe ich immer meine Exfreundin ausgeführt.“

Auf der anderen Straßenseite, in Alt-Hamborn, gibt es ein China-Restaurant, „und am Altmarkt haben wir auch einiges“, von Bäckern bis zu Imbissen. Da stimmt selbst Vegetarierin Michelle Armbrecht zu: „Ich finde richtig gut, dass es in Hamborn einen vegetarischen Imbiss gibt.“ Genauso gerne fährt sie jedoch zum Innenhafen.

„Unangemessene Kommentare, Pfiffe, blöde Kussgeräusche“: Junge Frau meidet den Nahverkehr

Dafür nutzt sie aber möglichst nicht den Nahverkehr (2,72), obgleich er besser bewertet ist als im Duisburger Durchschnitt. Für Fahrten im Bezirk oder zum nahen Landschaftspark nimmt die junge Frau das Fahrrad oder das Auto. „Der Nahverkehr ist doch top, man kommt überall schnell hin“, zeigt sich Ergüner von ihrer Meinung irritiert. „Tagsüber sind die Verbindungen schon okay, aber abends wird es schon schwierig. Die Linien fahren dann selten“, erläutert Armbrecht.

Das Dichterviertel prägt Obermarxloh. In den Innenhöfen der früheren Bergarbeiterkolonie können Kinder nach Belieben miteinander spielen – und das schweißt sie zusammen.
Das Dichterviertel prägt Obermarxloh. In den Innenhöfen der früheren Bergarbeiterkolonie können Kinder nach Belieben miteinander spielen – und das schweißt sie zusammen. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Doch das ist gar nicht ihr größtes Problem mit dem ÖPNV. „Die Bahnen sind ekelig und stinken.“ Und wenn sie alleine in den Bussen oder Bahnen fährt, werde sie oft blöd angemacht, vor allem junge Männer würden sie mit „unangemessenen Kommentaren, Pfiffen und blöden Kussgeräuschen“ belästigen. Und auch ihr Gesprächspartner muss eingestehen: „In der 901 fahren schon die verrücktesten Leute aus ganz Duisburg.“

Während die 22-Jährige sich angewöhnt hat, in Obermarxloh oder sonstwo in Duisburg sowie in anderen Städten, vorsichtig zu sein und zügig zu laufen, sobald es dunkel wird (Sicherheit: 3,85), schwärmt Berat Ergüner vom Zusammenhalt in seinem Dichterviertel. „Unter uns Jugendlichen kennt jeder jeden und wir passen aufeinander auf.“ Ängstlich sei er dort im Dunkeln höchstens aus Aberglauben, „aber alle Türken sind abergläubisch“, sagt er und lacht.

Im Dichterviertel passen die Menschen gegenseitig aufeinander auf

Gerade im Dichterviertel, der schön sanierten früheren Bergarbeiterkolonie, mit den vielen Innenhöfen spielen die Kinder von klein auf alle miteinander, betont der 21-Jährige. Anders sei das nahe der alten B 8, so die Obermarxloherin. Dort leben nicht viele junge Familien, weshalb sie anonymer aufwuchs, und während Berat Ergüner schon als Kind das Jugendzentrum Zitrone besuchte, zog es Michelle Armbrecht nach Neumühl und der Freundinnen wegen in den Duisburger Süden. „Erst durch die Zitrone habe ich erlebt, wie viel Arbeit und Gemeinschaft (4,52) in diesem Stadtteil steckt.“ Dort leistete sie ihren Bundesfreiwilligendienst und ist jetzt neben ihrem Studium weiterhin Honorarkraft.

Dennoch biete ihre Heimat Jugendlichen nicht viel Freizeitmöglichkeiten (4,13). Die Jüngeren spielen in den Innenhöfen oder auf der Straße, die Älteren chillen aber mit Wasserpfeifen am Amtsgericht. Viele seien auch einem gelegentlichen Joint in den Parks nicht abgeneigt, müssten aber in kauf nehmen, dass dort auch Trinker und Drogensüchtige sind. Groß angesagt sind illegale Autorennen, so Berat Ergüner, auch weil den wagemutigsten Rasern die Herzen wunderschöner Frauen zufliegen.

Im Verein ist der Zusammenhalt sehr groß

„Im Verein ist der Zusammenhalt sehr groß“, erinnert sich Michelle Armbrecht an „sehr schöne Jahre“, die sie größtenteils auf dem Fußballplatz verbracht hat. Bei Union Hamborn in Marxloh hat sie mit ihrer Schwester Melina trainiert, der späteren Torhüterin von Bundesligist SGS Essen.

Die Wichtigkeit eines Vereins unterstreicht auch Berat Ergüner, der als Bufdi im Neumühler Jugendzentrum Einstein arbeitet und sich im Heroes e. V. engagiert. „Wir sind wie eine Familie, wir teilen alles, wir haben schon viel zusammen gelacht, aber auch zusammen geweint.“

Unterschiedliche Zukunftspläne

Obermarxloh wird immer seine Heimat bleiben, sagt er entschieden und träumt von einem Eigenheim im Dichterviertel, um dort alt zu werden. „Meine Zukunftspläne liegen außerhalb von Obermarxloh“, ist sich Michelle Armbrecht ebenso sicher. Sie hat schon in Australien gelebt, studiert derzeit in Enschede Soziale Arbeit und ihre Schwester arbeitet in Portugal. Sie zieht es aus dem Stadtteil fort, dennoch sieht sie in ihm viel Potenzial: „Man könnte hier noch so einiges herausholen.“

>> DIE POLITIK HAT NACHHOLBEDARF

● „Hier ist es immer dreckig, überall liegen alte Masken, Sonnenblumenkerne und Trinkpäckchen herum. Es gibt kaum Mülleimer in den Vierteln und die wenigen sind überfüllt“, ärgert sich Michelle Armbrecht über mangelnde Sauberkeit (4,44) in Obermarxloh. „Die Wirtschaftsbetriebe leisten aber gute Arbeit“, findet Berat Ergüner, doch einigen Leuten sei leider einfach egal, ob ihre Nachbarschaft verdrecke.

● Die Politik erhält beim Stadtteil-Check mit einer Fünf plus (4,68) die mieseste Note von Obermarxloh. Tatsächlich sehe man Politiker und Parteien außerhalb des Wahlkampfs kaum und die wenigsten jungen Menschen seien politisch aktiv. Mit Politikern zu sprechen und ernst genommen zu werden, kann aber etwas ändern, weiß Berat Ergüner aus eigener Erfahrung. So habe er in Duisburg die grüne Bundesvorsitzende Annalena Baerbock kennengelernt, und er habe einen guten Draht zum SPD-Ortsvereinsvorsitzenden Mehmet Keteci. Solche Begegnungen auf Augenhöhe helfen demnach sehr, dass sich die Jugend verstanden und nicht abgehängt vorkommt.