Duisburg-Rheinhausen. Die 28-Jährige ist Sozialarbeiterin in der Jugendhilfe im Strafverfahren. Für die Grafschafter Diakonie betreut sie junge Straftäter in Duisburg.
Die Frage von Recht und Gerechtigkeit hat Annika Jacob immer interessiert. Es begann mit einem Schulpraktikum beim Amtsgericht Hamborn. 15 war sie damals. Dann, mit 16, die Ausbildung zur Justizfachangestellten. Interessant, aber nur eine Seite der Medaille, gerade im Jugendstrafrecht. „Der Tatvorwurf war immer plausibel“, erinnert sich Jacob. „Aber vieles wurde durch die Geschichte, die dahinter steckte, verständlich.“ Heute ist sie 28, Sozialarbeiterin in der Jugendhilfe im Strafverfahren und unterstützt Heranwachsende dabei, nach einer Tat wieder Fuß zu fassen. Wege aus der Sackgasse, könnte über dieser Geschichte stehen. Oder aber: „Glücklich steht dir besser!“
Neutralität ist für die Duisburger Sozialarbeiterin das erste Gebot
Dieser Satz thront wie ein Mantra eingerahmt auf dem Fensterbrett des schönen hellen Büros über dem Hochemmericher Markt. Seit rund drei Jahren kümmert sich Annika Jacob hier im Auftrag der Grafschafter Diakonie im Kirchenkreis Moers um jugendliche Straftäter aus Bergheim, Hochemmerich, Friemersheim und Winkelhausen. Sie begleitet sie während ihres Verfahrens, einige betreut sie seit Jahren. „Man kann nicht alle retten“, weiß sie. „Aber wenn ein paar auf den richtigen Weg kommen, ist damit schon etwas geholfen.“
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„Ich versuche immer neutral zu sein: die Straftat erstmal auszublenden und die Person kennenzulernen“, schildert Jacob. Dass viele junge Täter nie Anleitung durch Erziehung erhalten haben, hat sie dabei hundertfach erlebt: „Sie haben nie gelernt, sich an Regeln zu halten.“ Oft kann sie helfen, mit Jugendamt und Jobcenter. Von Anti-Gewalt-Training und Therapie bis zur Erziehungshilfe und Inobhutnahme ist vieles möglich.
Wenn einer schlechte Laune hat, schickt sie ihn kurz an die Luft
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Es ist Mittag, auf dem Marktplatz herrscht Betrieb. Wenn Jacob hier Klienten trifft, gehört ein Schwätzchen dazu. Sie ist nicht auf den Mund gefallen. Mit „ihren“ Jugendlichen, aus welchem Kulturkreis auch immer, kommt sie gut aus. Man kennt sich, man respektiert sich. Ihr sei noch nie jemand quer gekommen, schildert Jacob vergnügt, „und wenn einer schlechter Laune hat, schick ich ihn kurz an die Luft.“ Die jungen Leute sind ihr altersmäßig nah, ein Vorteil. „Ich wirke eher wie eine große Schwester. Mit mir können sie in ihrer Jugendsprache reden.“
Aber die sympathische junge Frau ist mehr. Sie ist Ansprechpartnerin und kundige Unterstützung, sie ist Hoffnungsträgerin und für viele eine letzte Chance. Am Ende eines Verfahrens muss sie einschätzen: Welches Strafmaß hält sie aus sozialpädagogischer Sicht für angemessen? In 80 Prozent der Fälle folgt das Gericht ihrer Empfehlung.
Die Jugendlichen, die zu ihr kommen, sind zwischen 14 und 21 - die Delikte reichen von Drogen und Sachbeschädigung bis Raub und Körperverletzung. Jacob erlebt kriminelle Energie und Dummheit. Erfreulich findet sie, wenn jemand freiwillig kommt - bevor die Anklageschrift auf ihrem Tisch liegt.
Der Einsatz lohnt sich, auch wenn es manchmal hart ist
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Manche haben nur Fragen zu Kindergeld oder Bewerbungen. Andere begleitet sie vor Gericht. Kommt es zur Haft, hält sie den Kontakt. Auch ins Krankenhaus ist sie schon mitgefahren, bei akuter Suizidgefahr. Und auch wenn nichts mehr geht, ist manchmal etwas machbar. Einmal hat sie ermöglicht, dass sich ein 15-Jähriger, der sich wegen eines Mordes verantworten muss, noch von seiner todkranken Mutter verabschieden konnte.
Zwischen 160 und 180 Fälle jährlich hat sie von 2018 bis 2020 betreut. Zurzeit sind es mehr Straftaten, mehr häusliche Gewalt - auch eine Folge von Corona. Die Hoffnungslosigkeit ist groß, berichtet Jacob, allein das Homeschooling ein Riesenproblem, „vor allem, wenn Eltern nicht helfen können.“
Die Zäsur kam, als sie 19 war. Damals begleitete die damalige Justizangestellte am Landgericht Krefeld als Protokollführerin viele Jugendsachen, „wollte aber immer schon mehr mit Menschen arbeiten.“ Ein Prozess riss das Ruder endgültig herum. Ein junger Mann stand vor Gericht. Schlechte Prognose - die Jugendhilfe erreichte Bewährung. Annika Jacob erkannte einen Sinn. Sie kündigte, holte das Abitur nach, studierte, machte den Abschluss.
Sie versucht immer, mit dem Prinzip Hoffnung zu arbeiten
Es war die richtige Entscheidung, sagt sie heute. Wenn es mal hart ist, helfen Spaziergänge mit ihrem Labrador beim Abschalten. Und das Wissen, dass sich der Einsatz lohnt. Neulich hat sie wieder einen „alten Bekannten“ getroffen; Mit 18 war er aus der elterlichen Wohnung geflogen und stand wegen notorischen Schwarzfahrens und Körperverletzung vor Gericht. Jetzt ist er 20, hat einen Job und eine Freundin.
Sie mache ihren Klienten klar, welche Konsequenzen sie zu erwarten haben, beschreibt Jacob. Eine Entschuldigung bei den Geschädigten ist ihr wichtig. Aber sie versuche immer, mit dem Prinzip Hoffnung zu arbeiten. So schildert sie den Jugendlichen in jedem Fall einen Weg ins Glück: ein Job, eine Wohnung, ein eigenes Leben, Schritt für Schritt. Oft funktioniert das. „Die schönsten Fälle“, weiß Jacob, „sind die, die man nicht wiedersieht.“