Duisburg. „Gott schütze die Stadt Duisburg“, waren Adolf Sauerlands letzte Worte als OB. Ein Jahr ist es morgen, am 12. Februar her, dass die Duisburger Sauerland abgewählt haben. Die Sauerland-Gegner vermissen weiterhin den politischen Neuanfang und rügen die Postenvergabe der Ratsmehrheit.

Nein, mit dem Ergebnis – mit solch einem Ergebnis hatte CDU-Oberbürgermeister Adolf Sauerland nicht gerechnet. Und das Datum schrieb Duisburger Geschichte: Am 12. Februar 2012 wählten 129.833 Duisburger Adolf Sauerland aus dem Amt. Es sollte ein Neuanfang werden. „Neuanfang für Duisburg“, so hieß auch die Bürgerinitiative, die in den Monaten zuvor Unterschrift für Unterschrift gesammelten hatte, fast 80.000 an der Zahl, um ein Abwahlverfahren zu erzwingen.

Ein Abwahlverfahren als Wahlgang für die rund 365 000 wahlberechtigten Duisburger, den erst eine Gesetzesänderung des Landes möglich machte, nachdem im Rat eine parlamentarische Abwahl Sauerlands gescheitert war. Der Lifesaver in der Innenstadt wurde zentraler Stützpunkt und farbenfrohes Symbol der Initiative, die von einem breiten Parteienbündnis unterstützt wurde.

Sauerland gab bei Loveparade-Aufarbeitung tragische bis erbärmliche Figur ab

Der Nerven lag blank in der Stadt, die Zerrissenheit um die Streitfigur Sauerland prägte. Der Walsumer war vom einstigen Macher nach seiner überraschenden Wahl zum Oberbürgermeister 2004 in der Loveparade-Katastrophe zum Symbol des Desasters geworden. In der Aufarbeitung des Dramas gab er eine tragische bis erbärmliche Figur ab und wollte nicht weichen.

Das musste er dann an dem Abwahlsonntag vor einem Jahr. 100 Journalisten drängten sich an dem Abend im Duisburger Rathaus, ein Vielfaches an Aktiven und Angespannten warteten auf die Ergebnisse. Kaum eine halbe Stunde dauerte es, da sickerte durch: Es reicht. Gut 90 000 Stimme brauchte das Abwahlbündnis, um die Hürde von 25 Prozent der Wahlberechtigten zu nehmen. Es wurden 35,5 %, fast 130 000 Stimmen, bei einer Wahlbeteiligung über 40 Prozent. Das war ein Wort, es waren 130 000 Worte.

Jubel brach aus, Theo Steegmann und Harald Hüsken, damals noch gemeinsame Mitstreiter in der Bürgerinitiative, hatten es geschafft. Als Stadtdirektor Peter Greulich um 19.37 Uhr das Ergebnis verkünden wollte, ging es im Freudenschrei unter. Bis zur Top-Nachricht in der Tagesschau brachte es die Abwahl Sauerlands, der ersten bundesweit in einer Großstadt.

Abwahl als Zeichen der Befreiung und Demokratie

Als „Befreiung“, als Zeichen der Demokratie galt die Abwahl Sauerlands, Duisburg sollte seine „Würde“ wiederbekommen, hofften alle, die den Neuanfang für die bis dato gelähmte Stadt wollten. Sauerland selbst erschien sichtlich getroffen zwei Stunden nach Schließung der Wahllokale im Rathaus. Pfiffe, Buhrufe trafen ihn. „Gott schütze die Stadt Duisburg“, waren seine letzten Worte als OB. Es blieb bei den letzten Worten. Interviews zum Jahrestag lehnt Sauerland (57) ab, der bis zum Ende seiner Wahlperiode 2015 ein Ruhegehalt von 75 Prozent seiner OB-Bezüge bekommt und danach Frühpensionär wird.

Abwahlinitiative rügt Postenvergabe der Ratsmehrheit. 

Selbst CDU-Parteichef Thomas Mahlberg räumt ein, dass es „viele Menschen gab, die so etwas wie eine Verantwortlichkeit suchten, die einen Schlussstrich ziehen wollten“, die mit der Abwahl Sauerlands erreichen wollten, dass es Konsequenzen aus der Loveparade-Katastrophe gebe. „Das war für viele auch eine moralische Frage.“ Jenseits einer politischen oder juristischen Klärung der Schuld. Zugleich betont Mahlberg aber auch: „Dieses Bedürfnis ist von der SPD ausgenutzt worden.“ Sie habe „vorgegaukelt“, das es einen Neuanfang gebe sollte. Als „Steigbügelhalter“ für die SPD sei das Abwahlbündnis missbraucht worden: „Ich sehe keinen Neuanfang, sondern die Rückkehr zu alten Zeiten“.

„Politik muss noch früher den Dialog suchen, besser erklären und transparenter werden. Einfach den Schalter umlegen und die Sonne scheint, das geht eben nicht“, räumt die stellvertretende SPD-Vorsitzende Bärbel Bas ein. Für sie hatte die Abwahl Signalwirkung in die Stadt und nach draußen: „Das hatte man Duisburg nicht zugetraut.“ Als „befreiend“ bezeichnet sie die Abwahl, mit der sich die Stadt von der im Rampenlicht stehenden Person getrennt hat, „die mit der Katastrophe nicht richtig umgegangen ist“.

Ingrid Fitzek, Kreissprecherin der Grünen, eine der Sprecherinnen des Abwahlbündnisses, später OB-Kandidatin ihrer Partei: „Die Abwahl Sauerlands war ein Zeichen, dass demokratischer Bürgerprotest funktioniert. „Das war ein vorzeigbares Stück Demokratie für unsere Stadt“, erklärt sie und glaubt: „Die Abwahl war gut und richtig für Duisburg und seine Befindlichkeit. Das war ein wichtiger Baustein zur Beruhigung der Stadtgesellschaft.“ Die Chance auf den Neuanfang sieht sie nicht vertan: „Es lässt sich nicht alles mit einem Federstrich erledigen.“ Gleichwohl: „An der politischen Kultur ist noch viel zu tun.“

Sauerland-Gegner vermissen politischen Neuanfang 

Ein Jahr nach der Abwahl Sauerlands: Für die Bürgerinitiative steht im Rückblick auf den 12. Februar 2012 auf der Habenseite, dass ein „würdiger Umgang mit der Loveparade-Katastrophe“ erreicht wurde. Was fehlt: ein politischer Neuanfang. „Die Chance wurde vertan“, sagen Theo Steegmann und seine Mitstreiter

Mit der Abwahl konnte die „unsägliche Politik Adolf Sauerlands des Verschweigens und Vertuschens dieser vermeidbaren Katastrophe beendet werden“, so die Bürgerinitiative. Der ernsthafte Umgang mit der Verantwortung der Stadt durch die neue Stadtspitze müsse sich allerdings noch erweisen, wenn das Verfahren gehen die Verantwortlichen eröffnet werde.

Der von den Bürgern gewünschte politische Neuanfang sei aber nicht eingetreten, erinnert die Initiative daran, dass Versuche des Abwahlbündnisses, einen unabhängigen OB-Kandidaten zu finden, scheiterten. Das sei von den Parteien auch „nicht wirklich gewollt“ worden, erklären Theo Steegmann, Richard Wittsiepe und Jürgen Schröder für die Initiative, die weiter bürgerliche Opposition sein will und die sich monatlich trifft; das nächste Mal am Tag nach dem Abwahl-Jahrestag, also am 13. Februar um 18 Uhr im Café Museum am Kantpark.

Die Kritik der Initiative ist scharf: Der von OB Link im Wahlkampf versprochene „Neue Stil“ habe sich in Wirklichkeit als der alte Stil herausgestellt: „Lukrative Posten werden zur Beute der regierenden Ratsparteien“. Weitere Beispiele: Das „zynische Verhalten des Rates“ gegenüber den Siedlern der Zinkhüttensiedlung, das „unbeirrte Festhalten“ an „Größenwahnprojekten“ wie dem Outlet Center.