Duisburg.
„Du kannst nach Hause gehen“, schallte es über den Rathausplatz, als das Ergebnis der Sauerland-Abwahl die Runde machte.
Optimisten hatten sogar Feuerwerk vorbereitet. Adolf Sauerland betrat seinen Amtssitz erst zwei Stunden nach Schließung der Wahllokale. Jede Geste, jedes Mienenspiel drückte aus, wie tief getroffen der Walsumer vom so klaren Votum der Bürger war. Er akzeptiere das Ergebnis, werde noch einige organisatorische Fragen regeln, dann seinen Schreibtisch räumen für den Nachfolger. Gerne sei er acht Jahre lang OB gewesen, sagte Sauerland bei seiner letzten Pressekonferenz, und habe so ein Abwahlergebnis nicht erwartet. Nun habe er die Hoffnung, dass die politischen Parteien „die Kraft haben, aufeinander zuzugehen“.
Zunächst einmal war es die Stunde der Wahrscheinlichkeitsrechner auf den Fluren des Rathauses, wo schon lange vor 18 Uhr die Vertreter des Abwahlbündnisses und der sauerland-kritischen Parteien SPD, Grüne, Linke und FDP eintrudelten. Anders als bei Wahlen bisher üblich ließen die Christdemokraten rund zwei Stunden auf sich warten. Jeder Neuankömmling brachte seine Einschätzung der Wahlbeteiligung mit, Insiderzahlen kursierten, die Mundwinkel der Sauerland-Gegner tendierten minütlich ein Stück weit nach oben – immer begleitet von einem Großaufgebot deutscher (und türkischer) Medien. Höhere Beteiligung, geringere Erfolgsaussichten für Sauerland: eine einfache Rechnung, aber keine sichere.
Jäger mahnt Respekt für den abgewählten Oberbürgermeister an
Um 18.10 Uhr durchschreitet Ralf Jäger, NRW-Innenminister und Duisburgs SPD-Chef den Pulk der Kameraleute, schüttelt Hände, klopft Schultern, erläutert schon einmal vorsichtig das Vorgehen im Erfolgsfall: „Wir haben uns auf diese Situation überhaupt nicht vorbereitet“, sagt er, ein Lächeln nicht verkneifend. Am Montag tage man erst einmal mit den Gremien der SPD.
19.02 Uhr: Eine Agentur meldet, dass Sauerland abgewählt sei. 19.08 Uhr: Jäger scheint mehr zu wissen, geht kopfnickend auf Theo Steegmann, einen der Frontmänner des Abwahl-Initiative zu, schüttet dem streitbaren Ex-Kruppianer die Hand und wird in der Nachfolge-Frage konkreter: „Ideal wäre, wir einigen uns auf einen gemeinsamen Kandidaten.“ Auf ihn? „Oberbürgermeister ist eine Herausforderung – Innenminister aber auch.“
19.05 Uhr: Es fehlen die Ergebnisse aus nur noch acht Wahllokalen. Es werde eine deutliche Mehrheit gegen Sauerland geben, sickert durch, alles wartet auf Wahlleiter und Oberstadtdirektor Dr. Peter Greulich. Der tritt um 19.37 Uhr vor die Presse, von der Zahl der Anti-Sauerland-Stimmen dringt nur 129... durch, alles andere geht im Jubel unter. Jäger: „Ich bin erleichtert, dass es so eindeutig ist. Das lässt keinen Interpretationsspielraum. Zuvor hatte er eindringlich Respekt für den abgewählten Oberbürgermeister angemahnt: „Nicht der Mensch Sauerland ist abgewählt worden, sondern der Funktionsträger.“
Gegen 20 Uhr suchen Kameraleute den Rathaus-Hintereingang, durch den Sauerland angeblich kommen soll. Er kommt aber durchs Hauptportal, die Niederlage ist ihm ins Gesicht geschrieben. Dennoch ist Zeit für ein Küsschen für die Dame an der Pforte. Eingekeilt in einen Medienpulk eilt er die Treppe zum Ratssaal hoch, hält eine kurze Ansprache, endend mit den letzten öffentlichen Worten seiner Amtszeit: „Gott schütze die Stadt Duisburg.“
Steegmann: „Ich habe mir dieses Ergebnis erhofft, gerechnet habe ich nicht damit“
Ein Abstecher in den Kantpark: Die Atmosphäre im dortigen Café Museum erinnert im alles entscheidenden Moment an eine Stehtribüne im Fußballstadion. Als Stadtdirektor Greulich auf der Großleinwand erscheint und die Abwahl Sauerlands bestätigt, bricht ein Jubel-Orkan los. Der ist so stürmisch und euphorisch, als hätte die deutsche Nationalelf soeben das Siegtor geschossen. Hier ist der Treffpunkt der Abwahlinitiative. „Heute ist der Tag der Duisburger Bürger“, sagt Werner Hüsken, eines der Gesichter der Bürgerinitiative „Neuanfang für Duisburg“. Das Ergebnis sei ein großartiges. „Das ist der Lohn für die ganze Arbeit, die wir geleistet haben. Ich möchte mich bei allen Beteiligten bedanken. Es haben sich so viele mit Herzblut engagiert.“ Ob er Stolz empfinde, dass die Abwahl geschafft ist? „Die Bürger haben es so gewollt. Es ist ihr Ergebnis.“ Deswegen hätten, so Hüsken, auch viel mehr Bürger einen der limitierten Plätze im Rathaus verdient gehabt. „Und nicht die ganzen Parteien-Vertreter.“
„Ich habe mir dieses Ergebnis erhofft, gerechnet habe ich nicht damit“, sagt Theo Steegmann, erschöpft von einem Interview-Marathon. Er zeige Respekt vor OB Sauerland, dass er trotz der Eindeutigkeit des Ergebnisses noch ins Rathaus kam. „Somit bleibt zumindest ein Minimum an Respekt, den man ihm zollen kann.“ Die Bürgerinitiative werde weiter zusammenbleiben. Sie will laut Hüsken ein „Prüfstein für alle kommenden OB-Kandidaten sein“. Er selbst schließt sich ausdrücklich aus. Die Angehörigen der 21 Loveparade-Opfer würden nun bestimmt ein Stück weit Genugtuung verspüren. Aber: „Auch diese Abwahl wird die Toten nicht wieder lebendig machen.“
Jürgen Hagemann vom Verein Loveparade Selbsthilfe hofft, dass die Blicke der Öffentlichkeit sich nun auch auf die anderen Beschuldigten richten. „Die Person Sauerland hat alle mediale Aufmerksamkeit aufgesogen wie ein Schwamm. Die Dezernenten Rabe und Dressler, die Polizei und der Veranstalter konnten sich dahinter bequem verstecken. Ich bin froh, dass so viele abgestimmt haben. Alles andere wäre für alle Betroffenen ein Schlag ins Gesicht gewesen.“
Lensdorf ist ab Mittwoch offiziell Duisburgs Stadtoberhaupt
Klaus-Peter Mogendorf, dessen Sohn Eike bei der Loveparade starb, ist „begeistert, wie Duisburg entschieden hat. Duisburg zeigt, dass das Ganze nicht vergessen ist und man weiß, wo die Verantwortlichen sitzen. Die Abwahl ist ein Zeichen, dass Demokratie funktioniert. Darauf können wir stolz sein, das ist für ganz Deutschland richtungsweisend.“
Die CDU-Riege verfolgte den Abwahlabend im Büro von Bürgermeister Benno Lensdorf. „Das Ergebnis ist eindeutig. Das ist eine bittere Niederlage für Adolf Sauerland und auch für uns“, erklärte CDU-Parteichef Thomas Mahlberg. Er bleibt dabei: Sauerland habe keinen Fehler gemacht und sei der Oberbürgermeister „der am meisten für Duisburg getan hat“. Die CDU sei zu konstruktiven Gesprächen bereit.
Bürgermeister Lensdorf ist ab Mittwoch offiziell Duisburgs Stadtoberhaupt. „Die Umstände dazu sind bedauerlich“, erklärte Lensdorf. Mit so einem klaren Ergebnis hatte er nicht gerechnet, „aber so ist es besser, als wenn es knapp gewesen wäre.“