Bochum. Bochum hat mit Mark 51/7 eine Vorzeigegewerbefläche entwickelt. Nun gehen der sogenannten Ermöglicherstadt aber die Flächen aus. Was tun?
Alle im Land haben Bochum beneidet – um 70 Hektar Industriebrache, die der Autobauer Opel Ende 2014 hinterlassen hat und die entwickelt werden können. 700.000 Quadratmeter, auf denen neues Gewerbe, neue Industrie, neue Denkfabriken entstehen sollten. Es war die größte zusammenhängende Entwicklungsfläche in Nordrhein-Westfalen.
Bochum hat viele Gewerbegrundstücke verkauft und kaum noch Reserven
Keine zehn Jahre später ist Bochum reich an Reputation für die fulminante Entwicklung des ehemaligen Opel-Werks mit glänzender Perspektive, ist reich an Gewerbesteuern, die so hoch sind wie nie.
Aber es ist wieder arm an Gewerbeflächen. „Wir haben viele Grundstücke verkauft und haben nur noch wenige Flächen für gewerbliche Nutzungen“, sagt Rouven Beeck, Geschäftsführer der Bochum Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft (WEG) – und meint damit nicht nur Mark 51/7, das frühere Opel-Werk, sondern auch andere Flächen im Stadtgebiet.
Zwölf Hektar Land für Gewerbe werden jedes Jahr benötigt
Und die werden nach wie vor dringend benötigt. Zwölf Hektar pro Jahr hat die WEG als Bedarf ausgemacht. Tatsächlich ist aktuell fast kaum noch eine freie Fläche zu haben. Und bis wieder welche zur Verfügung stehen, werden Jahre ins Land gehen.
Acht mögliche Gewerbeflächen hat Beeck der Politik unlängst im Strukturausschuss vorgestellt (Grafik). Insgesamt sind es 44 Hektar, und die sind rein rechnerisch nach nicht einmal vier Jahren weg. Und dann?
Die Versiegelung von Freiflächen kommt – vorerst – nicht in Frage, da sind Bochums Grüne vor. CDU-Ratsmitglied Roland Mitschke fordert die WEG dazu auf, weiter auf der Suche nach geeigneten Flächen zu bleiben. Auch Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD) drängt: „Auf keinen Fall dürfen wir abreißen lassen“, sagt er und meint damit den Imagewandel, den Bochum vollzogen hat – von der mausgrauen Stadt ohne die Stärken der Vergangenheit, Kohle, Stahl und Autos, hin zur Ermöglicherstadt, die vor allem vielen Unternehmen und Einrichtungen mit Zukunftsperspektive ein Zuhause anbietet. Diese Erfolgsgeschichte dürfe nicht einmal unterbrochen werden – und auf gar keinen Fall abreißen.
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Brachflächen zu entwickeln heißt, „dicke Bretter zu bohren“
Damit das gelingt, müssen Wirtschaftsförderer, Planer und Politiker „ziemlich dicke Bretter bohren“, wie der WEG-Geschäftsführer sagt. Denn keine der acht vorgestellten Flächen, allesamt belastete Brachgelände, seien einfach zu entwickeln. Auf der größten, dem 91.000 Quadratmeter großen ehemaligen RWE-Kraftwerk Prinz-Regent in Wiemelhausen, ist die Sanierungsaufgabe besonders groß. „Dreck zum Quadrat“ sei dort im Vergleich zum ehemaligen Opel-Werk zu finden, heißt es in entwaffnender Deutlichkeit in Beecks Vortrag.
Ehemaliges Kraftwerksgelände ist offenbar stark verunreinigt
Und schon auf dem Opel-Gelände war es in dieser Hinsicht ziemlich finster, denn vor dem Autowerk standen an gleicher Stelle eine Zeche und eine Kokerei. Gefunden wurden dort Schadstoffe wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), Mineralölkohlenwasserstoffe (MKW), Cyanide (CN), Schwermetalle, leichtflüchtige aromatische Kohlenwasserstoffe (BTEX), leichtflüchtige halogenierte Kohlenwasserstoffe (LHKW), polychlorierte Biphenyle (PCB) und Grubengase wie Methan (CH4) und Kohlendioxid (CO2).
Flächenentwicklung geht nicht ohne Fördergelder
An vielen Stellen wird es daher ohne Fördergelder gar nicht gehen. Millionen wird die Aufbereitung der Flächen kosten. Und Zeit.
Viel Erfahrung mit Flächensanierungen
Auf 175,7 Hektar taxiert hat der Regionalverband Ruhr (RVR) die Reserven Bochums für Gewerbeansiedlungen – inklusive der 70 Hektar auf Mark 51/7 und etlichen weiteren Hektar des stillgelegten Outokumpu-Stahlwerks in Stahlhausen. Das war 2016. Ein Großteil der Reserve habe Restriktionen wie schwierige Eigentumsverhältnisse und/oder Altlasten, die eine Erschließung erschwerten oder wirtschaftlich unattraktiv machten.
Mit der Aufbereitung vormals bereits genutzter Flächen habe Bochum reichlich Erfahrung, so Ralf Meyer, Geschäftsführer der Bochum Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft (WEG), ein Jahr später. Er verwies damals darauf, dass zwischen 1973 und 2003 etwa 350 Hektar Brachflächen neu gewerblich genutzt worden seien.
In Frage zu kommen schienen damals auch Areale wie der Güterbahnhof Langendreer (28,4 ha). Der jedoch ist ebenso wie andere Flächen vorerst aus der Liste möglicher Ansiedlungen verschwunden.
Tempo hoffen die Wirtschaftsentwickler dennoch aufnehmen zu können. Für viele Flächen soll 2025 ein Bebauungsplan vorliegen. Und gerade für das Prinz-Regent-Areal ist es geplant, möglichst früh mit der Vermarktung zu beginnen; nicht erst wenn die Flächen aufbereitet sind.
Gibt es eine Alternative für den Gesundheitscampus II?
Die Fortsetzung der Bochumer Erfolgsgeschichte in Sachen Gesundheit und Pflege, neben der IT das prägende wirtschaftliche Zukunftsfeld der Stadt, soll dann in Wiemelhausen geschrieben werden. Geplant ist ein Gesundheitscampus II, der erste in Querenburg ist mittlerweile voll.
Keine schlechte Idee, heißt es in der Politik. Allerdings gibt Barbara Jessel (Grüne) zu bedenken, dass die 91.000 Quadratmeter die letzte freie Fläche in der Stadt sind, die noch industriell genutzt werden können. Der Wink mit dem Zaunpfahl soll wohl sagen: Bevor Bochum irgendwann auf die Idee kommt, eine Grünfläche für einen möglichen Interessenten aus der Industrie zu opfern, sollte dieses Areal vielleicht dafür vorgehalten werden.
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Vorschlag: Bochum sollte Interesse an Thyssenkrupp-Gelände anmelden
An anderer Stelle muss die Stadt unbedingt ihre Hand draufhalten. Findet Roland Mitschke (CDU) und meint damit Grundstücke von Thyssenkrupp, die der Industriekonzern über kurz oder lang möglicherweise nicht mehr benötigt. Damit ist in erster Linie der Stahlstandort an der Castroper Straße gemeint. Ihn könnte, sollte Thyssenkrupp nach der Modernisierung des Werks an der Essener Straße wie angekündigt dieses Werk aufgeben, Bochum gut für die Entwicklung von neuem Gewerbe gebrauchen. Es sei an OB Eiskirch, so Mitschke, gegenüber dem Land dieses Interesse deutlich zu machen und damit einen gewichtigen Fürsprecher in möglichen Verhandlungen mit dem Unternehmen zu haben.
Denn: „So etwas wie Thelen darf uns nicht noch einmal passieren“, mahnt Mitschke. Der Essener Immobilien- und Flächenentwickler hatte 2016 sämtliche frühere Thyssenkrupp-Flächen in NRW, die der Konzern abgestoßen hat, erworben. Immerhin stolze 1040 Hektar, eine Fläche 15 Mal so groß wie das frühere Opel-Werk in Laer. Auch in Bochum gehörten Grundstücke und Immobilien dazu. Mitschke fordert die WEG im Namen der CDU auf, weiter beharrlich nach Flächenoptionen zu suchen.
Politik meldet Erwartungen an
Und: So anerkennend die Mitglieder des Strukturausschusses bei der Vorstellung von Beecks Plänen auch mit den Köpfen genickt haben – ganz problemlos dürften die Ideen nicht die politischen Hürden nehmen. Grünen-Ratsfrau Jessel weist darauf hin, dass die Erweiterung des Technologiequartiers in einen Grünzug-Bereich reicht. Überhaupt könnte die gesamte Weiterentwicklung des „Technologiequartiers am Campus“ noch für Diskussionen sorgen.
An anderer Stelle hat Wirtschaftsentwickler Beeck der Politik schon jetzt die Hoffnung auf ein spannendes Detail der Stadtentwicklung gestutzt. Mehrere Vertreter hatten darauf hingewiesen, dass bei der Aufbereitung des Zukunftsquartiers Innenstadt-West eine direkte Anbindung an den Imbusch-Platz in der Innenstadt ermöglicht werden sollte. Da dazu aber eine mehrgleisige Strecke der Deutschen Bahn gekreuzt werden müsse und Verhandlungen mit dem Verkehrsunternehmen nach der leidvollen Erfahrung beinahe aller kommunalen Geschäftsträger in Deutschland zäh und eher ein „Marathon als eine Kurzstrecke sind“, so Beeck, wäre an dieser Stelle eine möglichst schnelle Entwicklung nahezu ausgeschlossen.
Ehemalige BVV-Fläche soll ohne Fördergelder entwickelt werden
Gerade dort aber, auf dem ehemaligen Gelände des Eisenbahnzulieferers BVV, möchte Bochum auf die Tube drücken. Dort hält die WEG eine Aufbereitung auch ohne Fördergelder für möglich. „Es werden grundsätzlich dann Fördermittel beantragt, wenn Aufwand und Erlöse in einem deutlichen Missverhältnis stehen“, so WEG-Sprecherin Stefanie Bersin. „Wir hoffen, dass dies bei der Entwicklung dieser Fläche nicht der Fall ist. Das hätte dann Vorteile, da es keine Einschränkungen der potenziellen Unternehmer im Rahmen der Ansiedlung und Vermarktung gäbe.“