Bochum. Von der Dannenbaumstraße aus ist immer gut zu sehen, was bei Opel los ist. Sie ist nur 600 Meter lang und hat einen ganz eigenen Charme. Vorne sieht es nach Arbeit aus, hinten nach grüner Idylle.

Wer von unten kommend in die Dannenbaumstraße in Laer einbiegt, dessen Blick fällt unweigerlich auf die Siedlungshäuser mit ihrem markanten roten Rauputz zur Linken (1). Zwischen ihnen geben die breiten Rasenflächen trotz der wuchtigen Bäume den Blick frei auf den größten Hinterhof der Stadt: die Rückseite des Opel-Werks 1. Eine lange, lange Backsteinwand, hinter der seit 50 Jahren Autos gebaut werden.

Einst mag es laut hier gewesen sein. Schließlich liefen hier Hunderttausende Kadetts und Astras vom Band. Noch wird der Zafira montiert. Aber kaum ein Geräusch dringt herüber zu der Straße, die an diesem Morgen so still und ausgestorben wirkt wie an einem verschlafenen Sonntag. Nur das Surren einer kleinen Zugmaschine verrät die industrielle Nachbarschaft.

Toreinfahrten beflügeln Neugierde

Beim Blick die gerade einmal 600 Meter kurze Straße herunter, gibt es eine Reihe in die Jahre gekommener Wohnhäuser zu sehen. Rechts fallen Häuser ins Auge, die schon bessere Tage erlebt haben. „Problemhäuser“, wie es in der Straße heißt. Die Nummer 30 ist mittlerweile eingerüstet und wird saniert. Ein Bild des Jammers indes bietet die 34, ein dreigeschossiger Backsteinbau, der bestimmt einmal eine richtige Schönheit gewesen ist (2). Nun geben die nur noch zum Teil mit Holz verrammelten Fenster den Blick ins verrußte Innere frei. Die schwarzen Öffnungen wirken wie ein klagender Schrei des Gemäuers.

Dahinter beginnt eine Reihe von Mehrfamilienhäusern mit überbauten Hofeinfahrten. Ein pragmatischer Stil, der zugleich die Neugierde beflügelt. Wie mag es wohl auf den Hinterhöfen aussehen? Eines der Gebäude, über dessen Einfahrt eine „42“ prangt, stammt offenbar aus den 1970er Jahren. Mit seiner klaren Formsprache und der blau-weißen Optik wirkt es wie ein Sinnbild für die Zukunft, die die Dannenbaumstraße damals gehabt haben mag.

Scheiben wie in einer Wirtschaft

An kaum einer anderen Stelle der Stadt dürfte es einen so freien Blick aufs Werk geben wie hier – jedenfalls im Winter und Frühjahr, wenn der Reihe dicht gesäumter Bäume die Blätter fehlen und der Nachbar Opel allgegenwärtig ist. Etwa 100 Meter lang ist der hüfthohe Stahlgitterzaun auf der gegenüber liegenden Straßenseite, dahinter liegt ein gleichermaßen ausladender wie leerer Parkplatz auf dem tiefer gelegenen Werksgelände (3). An dem Zaun mit der abgeblätterten Farbe hängen drei verwitterte, rote Kaugummiautomaten, denen ebenfalls allmählich die Farbe abhanden kommt. Die Sichtfenster verheißen zweifelhafte Köstlichkeiten: Fruity Flavour Gummiballs für 10 Cent, Strawberry Flavour Gummiballs für 20 Cent und Fledermaus Sticks für 50 Cent, deren Mulde unterhalb des Drehdings allerdings defekt ist.

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Vorne rechts, fast schon am Ende der Straße, springt ein Stadthaus ins Auge (4). Die Butzenscheiben im Erdgeschoss erinnern an eine Wirtschaft, wie Lokale einst hießen. Tatsächlich, so verrät Hausbesitzerin Liesel-Milli Riechmann, gab es hier früher eine Wirtschaft – „Burkhardt“, betrieben von ihren Eltern und zuvor von ihren Großeltern. Heute bewohnt sie mir ihrem Mann das Erdgeschoss; sie hat die Fenster, auf deren Sims sie gerade steht, um zu putzen, drin gelassen. Sie verleihen dem Haus seinen besonderen Charakter. Dahinter beginnt der Parkplatz der Altenbochumer Werkstätten und des Berufskollegs für Heilerziehungspflege, die gegenüber untergebracht sind in der ehemaligen Kaue der Zeche Dannenbaum (5). „Dort machen sie eine sehr gute Arbeit“, sagt Liesel-Milli Riechmann und nickt anerkennend. Vom Parkplatz aus starte immer die Fronleichnamsprozession in Richtung Altenbochum.

Sanierung im Mai abgeschlossen

Und damit sind wir fast schon am Ende der Straße, die mit der Brücke über den Nordhausen-Ring endet. Noch ist die Verbindung nach drüben zur Laerstraße gesperrt, im Mai wird die Sanierung abgeschlossen sein und der lästige Umweg über die Wittener Straße der Vergangenheit angehören. Links liegt ein Fußweg zwischen Brücke und Werkstätten, der herüber führt zum Werk I. Ein Schild verrät, dass sich von hier aus früher die Teilnehmer von Werksbesichtigungen auf den Weg machten. Auf der anderen Straßenseite führt ein Weg hinter die Häuser. „Tun sie mir den Gefallen und gehen sie mal hinten herum“, sagt Liesel-Milli Riechmann. „Sie werden überrascht sein.“

Stimmt. Der Weg eröffnet den Blick auf Hinterhöfe und Gärten, am Ende liegt ein neu gestalteter Spielplatz. Es ist die andere, die versteckte Seite der Dannenbaumstraße und der Einstieg in den Park Laer, hinter dem die Wittener verläuft. Aber das ist eine andere Straße.

„Hier bleibe ich – das ist meine Heimat“ 

Liesel-Milli Riechmann macht sich nichts vor. Es mag attraktivere Gegenden in der Stadt geben. „Aber das hier ist meine Heimat. Ich bleibe hier“, sagt sie – fast ein bisschen trotzig. Am Ende der Dannenbaumstraße steht ihr Elternhaus, Hausnummer 52, schräg gegenüber der Altenbochumer Werkstätten. Dass Opel der ehemaligen Kaue der Zeche Dannenbaum nicht sein Gesicht gelassen und Ornamente in der Fassade buchstäblich zugekleistert hat, darüber kann sie sich noch immer ereifern. „Aber Sie müssten mal innen schauen, da ist noch einiges erhalten geblieben.“

Geschichtsbewusst ist die 74-Jährige. Heimatgeschichtsbewusst. „Eine Schande“ ist es aus ihrer Sicht, dass das Haus Nummer 34 aus der Wendezeit vom 19. zum 20. Jahrhundert buchstäblich verfällt. Ebenso eine „Schande“ sei es, dass sich niemand von der Stadt gemeldet habe, nachdem sie eine Unterschriftenliste bei Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz abgegeben hatte.

Zeche Dannenbaum gab den Straßennamen

Die Dannenbaumstraße (Dannen/baum = Tanne – wie Dahl = Tal) verbindet die Wittener mit der Laer-/ Mettestraße in Laer, bis zur Eingemeindung des Ortsteils nach Bochum hieß sie Alleestraße. Der heutige Name ist der Zeche Dannenbaum entlehnt, die bis zur Opel-Ansiedlung zu den wichtigsten Bochumer Bergbaubetrieben zählte.

Ursprünglich als Stollenbetrieb angelegt, wurde auf „Dannenbaum“ nachweislich bereits Mitte des 18. Jahrhunderts Kohle gefördert. 1859 ging man zum Tiefbau über, die Schächte Dannenbaum 1 (1861) und Dannenbaum 2 (1875) nahmen die Förderung auf. 1889 und 1898 wurden zwei weitere Schächte abgeteuft. Später ging das Bergwerk in den Besitz der Deutsch-Luxemburgischen Bergwerks- und Hütten-A.G. ein („Deutsch-Lux“), am Ende gehörte es zur Gelsenkirchener Bergbau AG.

1957 wurde auf Dannenbaum eine Förderung von 239 500 Tonnen Fettkohle erzielt, die Belegschaftsstärke lag bei 1547 Mitarbeitern. 1958 erfolgte im Zuge der Kohlekrise der Verbund mit Zeche Prinz Regent, 1960 die Stilllegung. Auf dem Gelände von Dannenbaum ½ befindet sich heute das Gelände des Opelwerks I. Das Kauen- und Bürogebäude blieb erhalten. JBS