Bochum. 2019 rief Bochum den Klimanotstand aus. Viele kritisieren, dass trotzdem zu wenig getan wird. Die WAZ startet einen Umweltcheck. Heute: Radwege.
Vor fast zwei Jahren, am 6. Juni, rief der Stadtrat den „Klimanotstand“ aus. „Die Kommune wird die Auswirkungen auf das Klima sowie die ökologische, gesellschaftliche und ökonomische Nachhaltigkeit bei jeglichen davon betroffenen Entscheidungen berücksichtigen“, hieß es in einer Resolution. Seither passiert aber aus Sicht vieler Beobachter nicht genug, um dem Klimawandel gegenzusteuern.
Die WAZ wird – wie zuletzt im März 2020 – im Juni einen zweiten „Umweltgipfel“ mit Vertretern der Stadt, Vereine und Initiativen veranstalten. Bis dahin beleuchten wir einzelne Problemfelder. Heute: die Verkehrswende durch mehr und sicherere Radwege, um mehr Menschen aufs Rad zu bringen und so CO2 einzusparen.
ADFC Bochum: „Man muss auch Zeichen setzen wollen!“
„Von einem sichtbaren, spürbaren Klimaschutzmanagement, in dem Verkehr, insbesondere Radverkehr, vorkommt, kann man nicht sprechen“, sagt der ADFC Bochum. Auf WAZ-Anfrage erklärte er, wie er die Wirklichkeit zwei Jahre nach Beginn des „Klimanotstands“ sieht: „Es fehlt an mutigen Entscheidungen. Mutig wäre die Umwidmung von Fahrspuren zu geschützten Radfahrstreifen. Man muss auch Zeichen setzen wollen!“
Auch interessant
Die Stadt habe zuletzt zwar einiges für die Radfahrer getan. Aber: „Zu vieles bleibt immer noch unvollendet oder halbherzig oder nicht fachlich entsprechend der Regelwerke ausgeführt.“
An diesen Beispiel-Stellen kommt der Radwegausbau nicht richtig voran
– Wittener Straße stadteinwärts ab Ferdinandstraße keine Radverkehrsanlage.
– Es fehlt ein einheitliches, leicht verständliches Design für (Rad-) Verkehrsanlagen.
– Zu viele Experimente mit unterschiedlichsten Führungsformen verwirren eher und veranlassen Radfahrer, Gehwege zu nutzen.
– Ferdinandstraße nur in Richtung Wittener Straße, Radfahrstreifen, der an der Düppelstraße endet und den Radfahrer im Einmündungsbereich sich selbst überlässt, Gegenrichtung ganz ohne Radverkehrsanlagen.
„Die Liste ist lang. Mit der Umsetzung tut sich die Stadt recht schwer. Zu vieles bleibt halbherzig“, sagt ADFC-Sprecher Georg Puhe. Erstes Prüfkriterium bei Um- und Neuplanungen sei der MIV (motorisierter Individualverkehr). Das aber „sei eine definitiv falsche Herangehensweise“.
ADFC Bochum: Notstand impliziert sofortiges Handeln
Auch interessant
„Politiker halten an tradierten Mobilitätsformen fest und tun sich schwer mit Veränderungen: Die Wittener Straße im Zentrum Altenbochums muss fahrradfrei bleiben, so forderte es 2019 die Politik, Radverkehr in Fußgängerzonen Wattenscheids wurde abgelehnt etc. – Von Notstand keine Spur.“ Ein Notstand aber impliziere „sofortiges Handeln“. Das entspräche auch dem Tenor des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hatte vor wenigen Tagen den Gesetzgeber angemahnt, Klimaschutzziele kurzfristiger und konkreter festzuzurren.
Zurzeit liegt der Anteil des MIV in Bochum laut ADFC bei 56 Prozent. Gleichzeitig sei jede zweite Autofahrt kürzer als fünf Kilometer. Da gäbe es „ein großes Umstiegspotenzial“. Ganz wichtig dabei: „Nur dort, wo Fußgänger und Radfahrer sich sicher fühlen, wird das Auto nicht mehr zwangsläufig die häufigste Verkehrsmittelwahl darstellen.“
Nur furchtlose Radfahrer trauen sich auf die Wittener Straße und den Südring in Bochum
Erfahrene, furchtlose Radfahrer trauen sich zum Beispiel auch auf den Südring oder die turbulente Wittener Straße, wo es großteils keine Radwege gibt, unerfahrene aber nicht. Sie nutzen weiter das Auto. Zuletzt lag der Radverkehrsanteil in Bochum bei nur rund sieben Prozent (Stand Ende 2019). Tendenz: stark steigend.
Ein gutes Beispiel, warum die Stadt beim Ausbau der Radwege so zögert, sind die Pläne zur Königsallee. Nur der Bereich zwischen Wasserstraße und Königsallee soll Radstreifen erhalten; die Strecke bis zur Innenstadt aber nicht. „Das hilft Radfahrern nicht weiter“, sagt Dominik Balt vom Bündnis „Radwende Bochum“, zur WAZ. Die Planung sei „unzureichend“.
Kompletter Ausbau aller Radialen in Bochum ist noch lange nicht in Sicht
Als die Stadt den Klimanotstand ausgerufen habe, sei er „hoffnungsvoll gestimmt“ gewesen. Es gab „eine
ganze Menge positive Ankündigungen“. Zwei Jahre später nun aber könne man „nicht zufrieden mit der Entwicklung sein“. Der von der Radwende geforderte Ausbau aller Radialen – und dies komplett – liegt noch in ganz weiter Ferne. Beispiel Hattinger Straße: Dort wird vorerst nur ein Mini-Stück in der Innenstadt fahrradfreundlich.
Stadt vermisst Anerkennung für schon Erreichtes
Stadtbaurat Dr. Markus Bradtke hatte vor kurzem gegenüber der WAZ zum Radwegeausbau erklärt: „Wir haben noch Luft nach oben.“ Allerdings vermisse er auch Anerkennung für die vollendeten und die bereits festgezurrten Projekte wie etwa den Radwegausbau an der Hattinger und Castroper Straße sowie der Königsallee. „Wir haben schon einiges erreicht“.
In diesem Jahr plant die Stadt nur den Bau von rund 1,6 Kilometern neuer Radwege - viel zu wenig, sagen Kritiker.
Die Radwende wird gerade bei Nicht-Radfahrern mitunter kritisch beäugt, weil sie zu viel fordere – wie zuletzt etwa einen Winterdienst für Radwege. Balt sagt aber: „Wie sind bestrebt, machbare Lösungen zu finden.“ Man fordere „keine unrealistischen Dinge“.
„In Großstädten sollte nicht das Auto das Symbol von Freiheit sein, sondern das Fahrrad“
Seit 2016 ist die Stadt Mitglied der Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Städte. Deren Ziel ist es: Jeder vierte Verkehrsteilnehmer soll mit dem Rad fahren. Balt sagt deshalb: „Wir geben nicht auf und bleiben dran, machen Druck, damit sich schneller etwas bewegt.“
Der ADFC will keine Spaßbremse sein, im Gegenteil. Klimafreundlichkeit könne Freude machen, die Städte lebenswerter, sagt er. ADFC-Vorsitzende Gerlinde Ginzel: „In Großstädten sollte nicht das Auto das Symbol von Freiheit sein, sondern das Fahrrad, denn damit ist man wirklich unabhängig - von Investitionskosten, Betriebskosten, breiten Straßen und passendem Parkraum.“