Bochum. Wie das Cochlea Implantat Zentrum Ruhrgebiet das Leben des Jungen veränderte. Auch das seiner Schwester Tabea. Aber deren Weg ist mühsamer.

Dass die Frau Professor als Obelix verkleidet durch die Klinik trabt und eine Logopädin im Streifenkegel-Kostüm ihr den Weg weist: überraschend. Dass Kinder, die gehörlos geboren wurden oder früh ertaubten, mit den beiden „stopptanzen“: sensationell. Denn dazu muss man ja hören können! Karnevalsparty für die Kleinsten – im Cochlea-Implantat-Zentrum Ruhrgebiet.

Sara Döge ist mit ihren drei Kindern (zwei Piraten und einer Katze) aus Herne angereist: Hanna (10), die hörend zur Welt kam, sowie Tabea (7) und Daniel (1,5), die taub geboren wurden. „Uns ist nichts aufgefallen, Tabea war ein ganz unauffälliges Baby, selbst der Kinderarzt hat nichts bemerkt“, erinnert sich die Mutter. Erst als ihre Tochter nicht zu reden, nicht einmal zu brabbeln anfangen wollte, in dem Alter, in dem es ihre große Schwester längst getan hatte, dachten die Eltern, „da stimmt was nicht“.

Als Tabea fast zwei war, stand fest: Sie ist taub, ein Gendefekt, von dem die Eltern nichts ahnten. „Irgendwann hat uns eine Ärztin nach Bochum ins CI-Zentrum geschickt, das war unser Glück“, erzählt Döge. Hier erhielt die Familie Klarheit, hier wurde Tabea operiert, hier erhielt sie eine „Hörrehabilitation“.

Cochlea System wandelt akustische und elektrische Signale um

Sara Döge (36) mit ihren Kindern (v.l.) Hanna, Daniel und Tabea. Nur Hanna, die Älteste wurde hörend geboren. Die beiden Jüngeren tragen Cochlea-Implantate, Innenohr-Prothesen.
Sara Döge (36) mit ihren Kindern (v.l.) Hanna, Daniel und Tabea. Nur Hanna, die Älteste wurde hörend geboren. Die beiden Jüngeren tragen Cochlea-Implantate, Innenohr-Prothesen. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Das Cochlea-Implantat-Zentrum Ruhrgebiet, 2022 zertifiziert, ist Teil der HNO-Klinik der Ruhr-Uni am St. Elisabeth Hospital. Um die 110 Patienten werden hier jährlich mit einem CI, einer Innenohr-Prothese versorgt, damit ist es eines der größten in NRW. Der jüngste Patient bisher war sechs Monate alt, der älteste 88 Jahre.

Tabea erhielt beidseits ein CI. Prof. Stefan Dazer, Leiter der HNO-Klinik am „Eli“, erklärt, wie das Hightech-Wunderwerk funktioniert: Das CI-System wandele akustische in elektrische Signale um, die es über Elektrodenträger, die in die Hörschnecke im Innenohr, die Cochlea eingeführt werden, direkt an den Hörnerv weiterleite. Dazu werde das eigentliche Implantat im Schädelknochen operativ verankert und magnetisch mit Sendespule und Audioprozessor außen am Kopf verbunden. Der Hörnerv leitet die empfangenen Signale ans Gehirn. Und das interpretiert sie als akustisches Ereignis. Von außen sichtbat sind nur Sendespule und Audioprozessor, sie sitzen hinter den Ohren, verschwinden nahezu in Tabeas langen blonden Haaren. Bruder Daniel zeigt sie dagegen gern: Passend zum Kostüm trägt er heute nämlich Piraten-Abdeckungen über seinen Spulen.

Es macht vieles so viel leichter, wenn man ein Kind ruft und es hört…
Sara Döge

Es dauerte tatsächlich mehr als ein Jahr, bis Tabea nach der Operation Gefallen am Hören fand. Es klang zunächst wohl nur „blechern“ in ihren Ohren. Doch jetzt hört und spricht sie. Noch nicht wirklich gut, aber ihre Familie versteht, was sie meint. Den Moment, damals im Zoo, als Tabea erstmals auf ein Geräusch, ein Klopfen reagiert habe, den werde sie nie vergessen, sagt Sara Döge: „Es macht vieles so viel leichter, wenn man ein Kind ruft und es hört…“

Info: Cochlea Implantat

In Deutschland leben rund 50.000 Menschen, die gehörlos sind und weitere 250.000, deren Hörvermögen zu mindestens 50 Prozent eingeschränkt ist. 40.000 von ihnen tragen ein Cochlea Implantat.

Bundesweit sind bislang von der Deutschen Gesellschaft für Hals-, Nasen und Ohrenheilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie 40 Fachkliniken als CIVE, als „CI-versorgende Einrichtung für Erwachsene und Kinder“ zertifiziert. Im Ruhrgebiet gibt es neben dem Bochumer CI-Zentrum Ruhrgebiet nur ein weiteres an der Uniklinik Essen, das CIC. Zum Team gehören immer auch Therapeuten und Techniker, alle arbeiten gemeinsam an der komplexen „Hörrehabilitation“ nach der Implantation.

Die Kosten übernimmt für gehörlos geborene Kinder inzwischen in voller Höhe die Krankenkasse.

Die Indikationsstellung habe sich in den letzten Jahren „extrem“ verändert, erklärt Prof. Christiane Völter, Leiterin des CI-Zentrums in Bochum. Die Patienten seien zunehmend auch älter oder es werde nur einseitig implantiert, weil ein Patient etwa nach einem Hörsturz nur auf einem Ohr nichts höre, oder weil er auf einer Seite prima mit einem Hörgerät klarkomme.

Nicht jedem indes kann mit einem Cochlea Implantat geholfen werden. Wenn der Hörnerv oder die Hörschnecke fehlgebildet seien, „muss man sehr genau schauen“, erklärt Völter. Darüber hinaus müsse der Patient „Reha-fähig und -willig“ sein. Die Risiken des Eingriffs selbst seien gering, versichert sie.

Weil CI-Träger ein Leben lang in der Nachsorge bleiben, haben sich in vielen Fachzentren echte „CI-Familien“ gefunden, die auch privat in Kontakt sind. Eleni Bernecker vom Bochumer Förderverein etwa organisiert Treffen und WhatsApp-Gruppen, schwärmt vom „Schwarmwissen“, das da geteilt werde.

Fun Fact: Es gibt inzwischen sogar Barbie- und andere Puppen mit CI.

Nach der Implantation müssen CI-Träger das Hören erst (wieder) lernen, erklärt Dazert, „wie eine komplizierte Fremdsprache“. Die Reha, die auf die OP zwingend folge, dauere bei Kindern drei Jahren, die Nachsorge: ein Leben lang, ergänzt Christiane Völter, Leiterin des Bochumer CI-Zentrums. Sie ist Professorin für Hörrehabilitation, Fachärztin für HNO sowie für Phoniatrie/Pädaudiologie – und heute der Obelix.

Heute Obelix, immer: Leiterin des CI-Zentrums Ruhrgebiet. Prof. Christiane Völter ist Fachärztin für HNO, Phoniatrie und Pädaudiologie. Für die Karnevalsparty mit ihren jüngsten Patienten kostümierte auch sie sich.
Heute Obelix, immer: Leiterin des CI-Zentrums Ruhrgebiet. Prof. Christiane Völter ist Fachärztin für HNO, Phoniatrie und Pädaudiologie. Für die Karnevalsparty mit ihren jüngsten Patienten kostümierte auch sie sich. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Wenn Tabeas „Lauschies“ mal ausfallen, werde sie heute richtig unwirsch, erzählt Döge und lacht. Sie sei so glücklich, sagt die Hernerin, dass ihre Tochter heute glücklich sei, freue sich über jeden Fortschritt, den sie mache. Und Tabea mache täglich Fortschritte. Da lacht auch das Mädchen und erzählt, dass es schon zur Schule gehe, in die Fuchsklasse (der Bochumer Matthias-Claudius-Schule)!

„Hören bedeutet, am Leben teilzunehmen“

„Aber ein Bilderbuchverlauf sieht anders aus“, räumt Tabeas Mutter ein. Das sehe sie an Daniel, dessen Taubheit gleich beim Neugeborenen-Screening auffiel. Er bekam sofort Hörgeräte und sechs Monate darauf CIs. Heute ist er anderthalb, ein aufgeweckter kleiner Kerl „und ein richtig cooler Typ“ – findet Mechthild Bergmann, seine Logopädin im CI-Zentrum. „Sie sollten mal sehen, wie der reinkommt und lässig die Hand zum Hallo hebt…“

Party im „Eli“: Und der kleine Leo (3) mittendrin. Viele Familien von CI-Trägern halten auch privat Kontakt, teilen ihr „Schwarmwissen“. Die Klniki lädt regelmäßig zu gemeinsamen Unternehmungen ein.
Party im „Eli“: Und der kleine Leo (3) mittendrin. Viele Familien von CI-Trägern halten auch privat Kontakt, teilen ihr „Schwarmwissen“. Die Klniki lädt regelmäßig zu gemeinsamen Unternehmungen ein. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Daniel, erklärt Dazert, könne vielleicht nie Astronaut oder Tiefseetaucher werden – aber ein völlig normales Leben führen, sich körperlich und geistig entwickeln wie andere Kinder, eine Regelschule besuchen. „Hören“, betont der HNO-Spezialist, „bedeutet am Leben teilzunehmen.“ Am besten gleich im ersten Lebensjahr sollte betroffene Kinder ein CI erhalten, sagt Völter. „Wer lange taub war, braucht länger, bis er Sprache versteht.“

Aber selbst wenn nicht jeder zum „High-Performer“ werde, sei durch die OP viel gewonnen. „Auch Patienten, die nur ein Sprachverständnis von 30 Prozent erreichen, berichten, dass sich ihre Lebensqualität deutlich verbessert habe, dass etwa Hören nicht mehr so anstrengend sei wie vor der OP.“

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Vom Lippenlesen zum Telefonat

Mechthild Bergmann, die Logopädin, erinnert sich begeistert an eine frühere Patientin. Als sie die taube Frau vor Jahren kennenlernte, verstand die kein einziges Wort, las von den Lippen ab, brauchte zum Kommunizieren ihre Schwester. Dann erhielt die Frau ein CI und ging bei Bergmann in die Reha. „Gestern hab ich mal wieder mit ihr telefoniert...“, erzählt die Logopädin– und freut sich, wenn man begreift, welchen Unterschied das macht.

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