Essen/Königswinter. Isabell Probst hat als Lehrerin gekündigt – trotz Verbeamtung. Heute hilft sie anderen Lehrkräften beim Jobwechsel. Worauf es dabei ankommt.

  • Laut einem aktuellen Bericht der Ministerin für den Landtags-Schulausschuss zählen zu den insgesamt 930 Lehrkräften, die im vergangenen Jahr den Schuldienst verließen, auffällig viele junge Pädagogen.
  • Isabell Probst betreibt die Karriereberatungsplattform „Schulfrei Campus“. Sie berät Lehrkräfte, die mit dem Gedanken spielen, aus ihrem Beruf auszusteigen. Zuvor war die 42-Jährige aus Königswinter selbst Lehrerin an einem Gymnasium. Dann kündigte sie ihren Job – trotz Beamtenstatus.
  • Mit Laura Lindemann hat sie über belastete Lehrkräfte, existenzielle Entscheidungen und das geringe Selbstbewusstsein von Beamten auf dem Arbeitsmarkt gesprochen.

Frau Probst, Sie helfen Lehrkräften, die aus dem Beruf aussteigen wollen. Melden sich derzeit viele bei Ihnen?

Zu uns kommen Lehrerinnen und Lehrer, die sich in einer Krise befinden. Grundsätzlich ist es nicht unser Anliegen, den Menschen zu einer Kündigung zu raten. Aber die Zahl derer, die mit dem Gedanken spielen, steigt an, ja. Im letzten Jahr hatten wir 700 zahlende Kundinnen und Kunden und 1500 Erstgespräche. 2019 waren es noch keine 100 Kunden. In der Coronazeit wurde die Zahl drastisch nach oben katapultiert.

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Wie arbeiten Sie mit den Menschen?

Unsere Arbeit ist vielschichtig. Oft arbeiten wir mit den Lehrkräften an ihren Unsicherheiten oder negativen Glaubenssätzen und helfen ihnen dabei, Entscheidungen für ihre Zukunft zu treffen. Da geht es um Persönlichkeitsentwicklung. Es kommen aber auch Menschen mit einem klaren Kündigungsplan zu uns. Diesen helfen wir etwa bei Formulierungen für den Lebenslauf, geben rechtliche Hinweise oder überlegen gemeinsam, welche berufliche Laufbahn sie als Quereinsteiger künftig einschlagen können. Die Kurse gehen in der Regel sechs Monate und sind digital. Wir stellen Lernmaterialien und Infovideos bereit, bieten online Live -Trainings in der Gruppe an oder stellen potenzielle neue Arbeitgeber vor.

Mit welchen Problemen kommen die Lehrkräfte zu Ihnen?

Sie kommen, weil sie am Limit sind. Viele tragen schon seit vielen Jahren eine berufliche Krise mit sich herum, die sie immer weiter verschleppt haben. Durch höhere Stressbelastung, immer mehr Aufgaben und Konflikte wird auch ihr Leidensdruck immer größer. Einige stehen kurz vor einem Burnout.

Hinzu kommt, dass viele Lehrkräfte nicht mehr hinter ihrer Arbeit stehen. Die meisten stecken viel Herzblut in den Job, wollen das Beste für die Kinder erreichen. Doch oft müssen sie feststellen, dass sie ihren Ansprüchen an sich selbst nicht mehr gerecht werden können. Und dann fragen sie sich: Ist es das wert, die eigene Gesundheit zu riskieren? Die Ehe? Oder gar die Beziehung zu den eigenen Kindern?

Sie arbeiten deutschlandweit. Inwieweit trifft die Verzweiflung auf Lehrkräfte in NRW zu?

Überproportional viele unserer Kundinnen und Kunden kommen aus NRW. Und das liegt nicht nur daran, dass es das bevölkerungsreichste Bundesland ist. Viel mehr hat es damit zu tun, dass es hier die größten urbanen Ballungszentren gibt und die Lage an den Schulen oft besonders desolat ist. Die Situation an einer Grundschule im Ruhrgebiet lässt sich nicht mit einer Grundschule in Unterfranken vergleichen.

Wie viele Ihrer Kundinnen und Kunden gehen am Ende tatsächlich aus dem Beruf?

Es gibt eine hohe Kündigungsbereitschaft, aber leicht fällt es natürlich keinem. Etwa 60 Prozent stellen nach ihrem Coaching einen Antrag auf Entlassung. Und die anderen bleiben oft aus finanziellen Gründen im Beruf. Die Menschen sind größtenteils zwischen 30 und 50 Jahre alt, haben Kinder oder müssen ein Eigenheim abbezahlen. Bei vielen ist das Ausscheiden eine existenzielle Entscheidung.

Vor allem für verbeamtete Lehrkräfte aus NRW ist das kein leichter Schritt. Hier ist das Beamtenrecht leider veraltet. Wenn sie kündigen, behält das Land ihre Pension ein. Stattdessen bekommen sie einen Bescheid von der Rentenversicherung, der etwa 50 Prozent geringer ausfällt. Für viele Beamte kann ein Berufswechsel also finanziell vernichtend sein. Insgesamt sind 90 Prozent unserer Kunden verbeamtet.

Warum kommen dann trotzdem so viele Beamte zu Ihnen ins Coaching?

Gerade deshalb. Beim Beamtenstatus geht es um viel mehr als um die Altersvorsorge. Oft sind Beamte in ihrer Laufbahngestaltung weniger flexibel als Angestellte. Schon im Referendariat geben viele die Verantwortung über ihre berufliche Laufbahn an ihren Dienstherrn ab. So lernen sie nicht, Entscheidungen für sich zu treffen. Während sie in den Klassenzimmern Autoritäten sind und die Schüler auf den Arbeitsmarkt vorbereiten, haben viele ihr eigenes berufliches Selbstbewusstsein allerdings an der Schultür abgegeben.

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Häufig müssen sich ehemalige Lehrkräfte auf dem Arbeitsmarkt rechtfertigen, warum sie aus dem Beamtenverhältnis, „dem goldenen Nest“, ausgestiegen sind. Sie werden oft schlicht nicht ernst genommen. Bei unseren Coachings sollen sie neues Selbstbewusstsein erhalten und lernen, sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten.

Zahlen des NRW-Schulministeriums zeigen, dass im vergangenen Jahr in NRW 320 der insgesamt 154.628 Beamtinnen und Beamten auf eigenen Antrag aus dem Schuldienst entlassen wurden. Das ist doch noch ein recht geringer Anteil.

Es ist wichtig zu differenzieren, zwischen denen, die erwägen aus dem Beruf auszusteigen und denen, die es tatsächlich machen. Die Zahl der Lehrkräfte, die überhaupt mit dem Gedanken spielt, ist deutlich gestiegen. Und eigentlich bedenklich ist doch die Beobachtung, dass viele Menschen über einen anderen Weg aus dem Lehrerberuf ausscheiden: durch Dienstunfähigkeit und Frühpension.

Was wünschen Sie sich in dem Zusammenhang von der Politik?

Ein erster, wichtiger Schritt wären sogenannte Exit-Interviews. Es ist doch das Mindeste, eine Person, die eine Lebenszeitverbeamtung kündigt, nach dem Warum zu fragen. Das wäre ein Zeichen von Wertschätzung den Lehrerinnen und Lehrern gegenüber.

Info: Das sind die Kosten

Die Kosten für ein Programm beginnen bei 1300 Euro. In der Regel zahlen Kundinnen und Kunden rund 2000 Euro für ein 6-monatiges Programm. Dieses kann für 99 Euro im Monat verlängert werden.

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