Essen. Erstmals, so scheint es, kommen in diesem Wahlkampf auch Bürger zu Wort. Marietta Slomka ist für die neue ZDF-Dokureihe „Wie geht´s, Deutschland?“ durch die Republik gereist und hat eine Bestandsaufnahme gemacht. Anschließend diskutierten ihre Interviewpartner live mit Spitzenpolitikern.
Altersarmut, Kinderbetreuung, Wohnungsnot, Steuererhöhungen, Arbeitsplatzsicherheit – diese Themen bewegen die Deutschen im Moment ganz besonders. Darum lag auf ihnen auch der Fokus der ersten Sendung der ZDF-Dokureihe „Wie geht´s, Deutschland?“ mit Marietta Slomka und Mitri Sirin. Die Moderatorin hat dafür Menschen in ganz Deutschland besucht und sie nach ihren Nöten und Wünschen befragt.
Angesichts so viel Realismus hatten es die Spitzenpolitiker aller großen Parteien bei der anschließenden Live-Diskussion sichtlich schwer, ehrlich zu wirken. Am leichtesten fiel dies noch Sigmar Gabriel (SPD). Er forderte, dass Politiker, die ihre Wahlversprechen nicht einhielten, zurücktreten sollten, und erntete damit großen Applaus.
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Es sind Schicksale, die echt sind. Die Rentnerin, die ohne den 400-Euro-Job nicht über die Runden kommt. Die Mittelstandsfamilie, die trotz 80.000 Euro Jahreseinkommen jede Ausgabe zweimal überdenken muss. Der Leiharbeiter, der sich wie ein Angestellter zweiter Klasse vorkommt. Die alleinerziehende Mutter, die sich nichts sehnlicher wünscht als einen Vollzeitjob.
Die Eltern, die ohne eine Ganztagskita ihren Schichtdienst nicht schaffen würden. Diesen Menschen sollten die Politiker live Rede und Antwort stehen. Leider diskutierten sie sie aber lieber untereinander, anstatt mit ihren Wählern zu sprechen. Und jeder weiß: Politiker im Wahlkampf-Modus sind nur schwer abzuschalten.
Ursula von der Leyen redet Marietta Slomka in Grund und Boden
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Sechs Vertreter der großen Parteien waren angetreten: Ursula von der Leyen (CDU, Bundesarbeitsministerin), Sigmar Gabriel (SPD), Rainer Brüderle (FDP), Katrin Göring-Eckhardt (Bündnis 90/Die Grünen), Gregor Gysi (Die Linke) und Christine Haderthauer (CSU). Jeder hatte sein Wahlprogramm in der Tasche, das er oder sie auch eifrig verteidigte. So legte sich Gregor Gysi besonders beim Thema Zeitarbeit ins Zeug und forderte einen Lohn von 110 Prozent für Leiharbeiter, damit die Unternehmen diese wirklich nur als Notlösung betrachten.
Rainer Brüderle sprach sich gegen jegliche Steuererhöhung aus, deutete aber an, eine Zwangsrente für Selbstständige in Betracht zu ziehen. Sigmar Gabriel predigte den Schuldenabbau um jeden Preis („Ja, wir werden auch Steuern erhöhen.“) und Ursula von der Leyen lobte die Errungenschaften der jetzt endenden Legislaturperiode. Besonders die Arbeitsministerin machte es Moderatorin Marietta Slomka nicht leicht, das Konzept der Sendung durchzuziehen. Sie redete ununterbrochen weiter, oder in Gysis Worten: „Die ist nicht zu bremsen.“
Brüderle musste den Begriff Energiewende umschreiben
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Angenehmer fiel hingegen der SPD-Vertreter auf. Zwar vergaß auch Gabriel beim Reden oft Punkt und Komma, aber seine Forderung, dass Politiker, die ihre Wahlversprechen nicht einhielten, zurücktreten sollen müssten, erntet viel Zuspruch beim Studiopublikum.
Auch Rainer Brüderle sorgte für erheiternde Momente. Bei einem der vielen Spiele, die die Politiker absolvieren mussten, um ihre Alltagstauglichkeit zu beweisen, sollte Brüderle den Begriff „Energiewende“ umschreiben. Das Publikum musste raten und zeigte dabei viel Humor. „Wenn man viel sagt, Erwartung hat und nix rauskommt?“ versuchte Brüderle sich an einer Umschreibung. Das Publikum antwortete unisono: „FDP!“
Wie ihre Wahlentscheidung nun ausfallen wird, darüber waren sich die Zuschauer im Studio laut einer Umfrage auch nach dieser Sendung nicht im Klaren. Dennoch fanden sich in diesen zweieinhalb Stunden mehr Aha-Momente, als in den vergangenen Wahlkampf-Diskussionen.