Gladbeck. Die deutsche Nationalmannschaft steht im Achtelfinale der EM. In Gladbeck steigt die Euphorie. Wir haben uns unter Fußballbegeisterten umgehört.
Schon vor dem Wittringer Schloss lässt sich erahnen, es könnte voll werden. Wer bei Sonnenschein mit seinem Zweirad zum Public Viewing im Schlossgarten angereist ist, der muss suchen, um noch einen Platz bei den Fahrradständern zu ergattern. Die Brücke zur Halbinsel ist in Fahnen aller Teams der Europameisterschaft geschmückt, das zweite Spiel der deutschen Nationalmannschaft kann kommen. Im Schlosshof gibt es Mittwochabend gleich mehrere Verkaufsstände für die Fans – es gibt Bier, Cocktails und Bratwürstchen im Balkan-Style. Alles natürlich ausgerichtet zur großen Leinwand hin, die das Restaurant im Wasserschloss Wittringen aufgebaut hat.
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Chef Goran Kosevic steht selbst an der Essensausgabe und macht mit einer Mini-Vuvuzela Stimmung. 250 Gäste schätzt er, haben sich zur Partie der DFB-Elf gegen Ungarn kurz vor Anstoß bei ihm eingefunden. „Damit bin ich zufrieden“. Beim Auftaktspiel gegen Schottland seien es noch weniger gewesen. „Das war aber auch wetterbedingt“, stellt er fest. Die Laune des Gastwirts trüben nur „seine Kroaten“, wie Kosevic sagt. Weil die wieder nicht gewonnen haben, stehen sie im Turnier kurz vor dem Aus. Den Deutschen aber drückt er fest die Daumen, bis zum Finale will er möglichst noch fünf Mal Public Viewing mit Beteiligung der deutschen Mannschaft veranstalten.
Beim 1:0 für Deutschland bricht in Wittringen kollektiver Jubel aus
Vier Minuten vor sechs erheben sich fast alle, die in Wittringen bei der EM mitfiebern. „Einigkeit und Recht und Freiheit…“, tönt es aus den Verstärkern, die für Stadionatmosphäre sorgen. In der 22. Spielminute trifft Jamal Musiala zum 1:0 für Deutschland. Kollektiver Jubel bricht aus, der Sommerhit Major Tom legt sich über die Menge. Ein Moment lang wirklich „völlig losgelöst“. Als das Tor kurze Zeit später noch einmal vom Videoschiedsrichter bestätigt wird, klatscht das Publikum erleichtert.
Auf einer Bierbank rutscht Andreas Lindemann nervös umher, der Gladbecker ist, wie seine Tochter und ihre Freundin, mehr als passend gekleidet. Alle drei tragen wie die Spieler beim zweiten Gruppenspiel den pinkfarbenen Auswärtsdress von Deutschland. „Das hat meiner Tochter gefallen, da haben wir es gleich alle bestellt“, erzählt der Vater. Ihm macht die Atmosphäre im Schlosshof richtig Spaß: „Fußball in der Gemeinschaft zu gucken ist immer schöner als alleine zu Hause. Die Location hier bietet sich an. Mit dem Wetter ist es perfekt.“ Wie groß bei Andreas Lindemann die EM-Euphorie ist, ist für ihn schnell geklärt: „Bei uns hängt die Deutschland-Fahne draußen, wir sind Vorreiter.“
„Wir werden noch weit, weit kommen, wenn die Mannschaft so konzentriert Fußball spielt“
Jan Bystron ist heute schon zum zweiten Mal im Biergarten live dabei, er war beim Eröffnungsspiel mit seinen Freunden ebenfalls Teil der Fangemeinde. Für ihn ist „die Stimmung hier super und wir freuen uns immer, wenn wir die Jungs spielen sehen können.“ Auf die Frage, ob auch er eine neue Euphorie wahrnimmt, kann der Gladbecker Handballer erst nicht antworten, ein Torschrei liegt ihm und seinen Kollegen auf den Lippen. Dann legt er los: „Du hörst es selbst, alle sind voll dabei. Alle sind Fußball gucken, es gibt keinen, der zu Hause sitzt.“ Bystron ist sich jetzt schon sicher: „Wir werden Europameister, ganz klar.“
Beim Rudelgucken des SV Zweckel sind zur Halbzeit schon die Brötchen aus
Ortswechsel. Die Platzanlage des SV Zweckel platzt zur Halbzeit aus den Nähten. Zwei Mal mussten die Verantwortlichen schon Brötchen für den Grill nachordern. Rund 100 Zuschauer, verteilt auf eine Leinwand draußen und einen Fernseher im Vereinsheim, halten den Fußballklub aus dem Gladbecker Norden auf Trab. Der zweite Vorsitzende Timon Reschke findet es „Hammer“ und gibt offen zu, mit so einem Andrang nicht gerechnet zu haben.
In der 67. Spielminute geht das Tablett beim Rudelgucken herum, Kapitän Ilkay Gündogan hat soeben zum 2:0 getroffen. Für jedes Tor der Deutschen Elf heißt es für jeden Erwachsenen, der mag, ein Schnäpschen aufs Haus. Doppelter Grund zur Freude. Auch Marc Bahl, Trainer der ersten Mannschaft vom SV Zweckel, guckt sich die Partie gegen Ungarn bei seinem Verein an. Er ist nach Abpfiff und dem vorzeitigen Sichern des Achtelfinale-Tickets überzeugt, dass die Euphorie im eigenen Land sogar das Sommermärchen 2006 toppen kann. „Ich glaube, die Stimmung kann noch größer werden als bei der letzten Weltmeisterschaft in Deutschland. Wir werden noch weit, weit kommen, wenn die Mannschaft so konzentriert Fußball spielt.“
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