Duisburg. Das Startchancen-Programm des Schulministeriums soll Brennpunktschulen unterstützen. Was Schulleiterinnen fehlt und warum sie wenig Hoffnung haben.

Mehr Personal, ein eigenes Budget und als Fernziel Sanierungsmöglichkeiten: Die Erich-Kästner-Gesamtschule gehört zu jenen 400 Schulen landesweit, die in der ersten Runde des Startchancen-Programms dabei sind. Silke Richter hatte sich anfangs richtig gefreut, dass über die drei Fördersäulen Geld, Personal und Handwerkskraft nach Homberg kommen. Aber der Auftakt im August 2024 wurde verstolpert, weil erst mal nichts passierte, und die Perspektive ist für die Schulleiterin eindeutig: Für dieses Schuljahr wird das nichts mehr.

Denn sichtbar wird sich an ihrer Schule nicht viel tun. Auch wenn die Idee selbst eine zwei plus wert ist, die Ausführung im Jahr 1 ist in ihren Augen klar: ungenügend. Wer jetzt protestieren will, weil diese und andere Schulen in Duisburg immerhin je einen Schulsozialarbeiter einstellen konnten, den lässt Richter kaum Atem holen. Ein Tropfen auf den heißen Stein sei das, schön zwar, aber mehr nicht, und hebe die Endnote allenfalls auf eine 5 minus.

Startchancen-Programm: Gesamtschule mit hohem Sozialindex könnte Hilfe gut gebrauchen

In ihrem Büro hat man deutlich Schlagseite, der Boden hat sich abgesenkt, die Wand hat Risse. Schon länger wird ein Neubau geplant, wie dringend er nötig ist, spürt man sogar im Sitzen.

Die Erich-Kästner-Gesamtschule hat mit dem Sozialindex 8 eine der höchstmöglichen Wertungen, die Kinder stammen aus teils sehr prekären Familien, aus sozialen Brennpunkten. Der geteilte Erziehungsauftrag, wie ihn das Grundgesetz vorsieht, er funktioniert hier nicht, bedauert Silke Richter: Viele ihrer Kinder haben für einen langen Schultag tagtäglich zu wenig gegessen, zu wenig geschlafen, eine positive Einstellung zum Lernen fehlt.

Die Lehrer investieren deshalb viel Zeit in Bindung und Gespräche auch außerhalb des Unterrichts, sie telefonieren Eltern hinterher, weil die Kinder keine warme Jacke haben, nicht zum Unterricht erscheinen. In den Arbeitszeitkonten der Lehrer werde das aber nicht abgebildet, bedauert Richter. Und das Startchancen-Projekt frisst weitere Ressourcen auf.

Duisburg: Startchancen-Gelder fehlen an Erich-Kästner-Gesamtschule
Schulleiterin Silke Richter und die didaktische Leiterin Jutta Falkenberg von der Erich-Kästner-Gesamtschule in Duisburg-Homberg. © FUNKE Foto Services | Karl Banski

Schulen fehlt Geld für Verbrauchsmaterialien in experimentellen Fächern

Die Talentschulen, das auslaufende Vorgängerprojekt des Schulministeriums, spülte in die teilnehmenden Schulen 20 Prozent mehr Lehrkräfte. „Geben Sie mir das Personal, dann brauche ich nichts anderes“, sagt Richter. Ergänzt dann aber, dass ihr Verbrauchsetat in den letzten fünf Jahren auch nicht erhöht worden ist, was umgerechnet eine Reduzierung von 20 Prozent bedeute. Material für experimentelle Fächer wie Chemie könne sie deshalb kaum bezahlen.

Für sie ist völlig klar: Erst müssen die Grundbedürfnisse gedeckt werden, dann kann man sich über die Ausgestaltung Gedanken machen. Das Startchancenprogramm setze nur bei der Ausgestaltung von Unterricht und Schule an.

Die Schulleiterin ärgert, dass solche Programme aufgesetzt werden, ohne das Projektmanagement zu berücksichtigen. „Es braucht Zeit und Leute in der Bezirksregierung, in den Städten, in den Schulen“, findet sie. Ihre didaktische Leiterin Jutta Falkenberg bestätigt: „Es macht mehr Arbeit, als es unterstützt.“ Wann sie wie an die Gelder kommt, sei noch offen. Dass zehn Prozent des Budgets als Overhead-Kosten an die Stadt gehen, sei zwar logisch, aber nicht wirtschaftlich.

Das Startchancen-Programm sei auf zu viele Akteure verteilt. Jeder wolle sich absichern, es gebe Vorschriften ohne Ende. „Es ist nirgends so kompliziert wie bei diesem Programm. Ich habe zig Papiere ausgefüllt, aber noch keinen einzigen Euro bekommen.“

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Als Schulleiterin leite sie ein mittelständisches Unternehmen. Von den Landesbehörden würde sie sich deshalb mehr Subsidiarität wünschen, also ein Zutrauen, was Schulen an ihren Standorten selbst entscheiden können.

Stattdessen müsse sie bei Ausgaben über 1000 Euro drei Angebote einholen, bei Ausgaben über 5000 Euro müsse sie zusätzlich die Stadt beteiligen. „So kann ich das Geld ja nie ausgeben“, fürchtet Richter.

Zu hoher bürokratischer Aufwand

Ähnlich bewertet auch Gabriele Rüken das Projekt. Die Leiterin des Max-Planck-Gymnasiums freut sich über die erste Sozialarbeiterin in der Geschichte der Schule, die über die Startchancen eingestellt werden konnte. Aber der bürokratische Aufwand und die Vergabeverfahren für weitere Unterstützung hält auch sie für sehr komplex.

Aktuell erhebt sie umfangreich Daten der Schule zu Noten, Zentralen Prüfungen, Abitur-Ergebnissen und Lernstandserhebungen. Sie sollen in acht oder zehn Jahren vergleichend zeigen, ob die Startchancen was gebracht haben.

Vandalismus Max-Planck-Gymnasium
Gabriele Rüken, Schulleiterin des Max-Planck-Gymnasiums in Duisburg-Meiderich, bedauert, dass die Umsetzung des Startchancen-Programms so aufwändig ist. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Immerhin hat die Stadt Duisburg jetzt in einer Videokonferenz das weitere Vorgehen dargestellt. Es ergaben sich allerdings weitere Probleme. So sollen die Schulen bei den Geldern, die sie selbst ausgeben dürfen, die Rahmenverträge der Stadt berücksichtigen. „Aber die kenn ich gar nicht“, sagt Rüken.

Ihren (bescheidenen) Traum behält sie allen Widerständen zum Trotz weiter im Blick: „Wir wollen einen Multifunktionsraum ausstatten.“ Es sei selbst am Gymnasium sehr viel Differenzierung nötig, weil die einen Wiederholungen brauchen, die anderen schneller vorangehen. Für die individuelle Förderung wünscht sie allen eine schöne Umgebung.

DAS IST DIE ERICH-KÄSTNER-GESAMTSCHULE

  • 1200 Schülerinnen und Schüler besuchen die Erich-Kästner-Gesamtschule in Duisburg-Homberg. Für sie stehen 120 Lehrkräfte, 26 Integrationshelfer, 13 Referendare, vier Schulsozialarbeiter und drei Kräfte im Multiprofessionellen Team bereit.
  • Für die individuelle Förderung im Ganztag beschäftigt die Schule außerdem über 30 Studierende.

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