Bottrop. Der zu zwölf Jahren Haft verurteilte Peter Stadtmann könnte das Gefängnis verlassen. Ein Rückblick auf einen der größten Medizin-Skandale.
Er war ein bunter Hund, wie man so sagt, unterwegs in der Stadtgesellschaft, Förderer des Bottroper Hospizes, Sponsor von Fußball-Trikots, hat sich nicht selten ablichten lassen mit dem Oberbürgermeister, dem Sparkassen-Vorstand oder Kommunalpolitikern. Bis zum großen Fall des Peter Stadtmann: Am 29. November 2016 durchsuchen Polizeibeamte, Vertreter der Staatsanwaltschaft und Gesundheitsbehörden seine Alte Apotheke und sein Zyto-Labor in der Bottroper Innenstadt sowie seine Privat-Villa im Kirchhellener Ortsteil Overhagen. Kurz darauf wird Peter Stadtmann verhaftet und kommt in Untersuchungshaft.
Das Gefängnis hat er seitdem nicht mehr verlassen, außer zu seinen Freigängen, die ihm seit geraumer Zeit gewährt werden. Nun aber könnte der Bottroper Apotheker aus der Haft entlassen werden.
Einer der größten Medizin-Skandale in der Geschichte der Bundesrepublik
Mit der Durchsuchung seiner Lebens- und Arbeitsräume im November 2016 beginnt einer der größten Medizin-Skandale in der deutschen Geschichte, aufgedeckt durch den langjährigen Freund und Mitarbeiter Peter Stadtmanns, den Whistleblower Martin Porwoll.
Ein Jahr lang ermitteln die Behörden, bevor Ende 2017 vor der XXI. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichtes Essen der Prozess gegen den damals 47-Jährigen startet. Auf 820 Seiten listet Staatsanwalt Rudolf Jakubowski damals die Vorwürfe in der Anklage auf.
Peter Stadtmann soll in 61.980 Fällen gegen das Arzneimittelgesetz verstoßen haben. Im Laufe des Prozesses geht es nicht nur um seine Arbeitsweise, sondern auch um seinen luxuriösen Lebensstil – die Mode-Firma Prada schickt ihm Dankesschreiben für seine vielen Bestellungen, in seiner Villa führte eine Rutsche ins Schwimmbad im Untergeschoss –, seine dominante Mutter und sein Sexleben (unter Ausschluss der Öffentlichkeit).
Zwölf Jahre Haft für Bottroper Skandal-Apotheker
Am Ende wird man dem Apotheker 14.537 gepanschte Medikamente nachweisen sowie 59 Fälle von Betrug. Die Kammer verurteilt ihn im Sommer 2018 zu zwölf Jahren Haft. Für viele Opfer ein zu mildes Urteil. Bis heute ist unklar, wie viele Menschen durch die zu niedrig dosierten Krebsmedikamente gestorben sind oder mehr als ohnehin schon gelitten haben.
Die Berichterstattung über Peter Stadtmann
- Apotheker Peter Stadtmann: Die Chronik eines Skandals
- Das sind die Verkaufspreise der Stadtmann-Immobilien
- Warum Stadtmann noch 2024 das Gefängnis verlassen könnte
- Apothekerskandal: Diese Opfer gehen leer aus
- Schmerzensgeldprozess: „Daran ist unsere Familie zerbrochen“
- Betroffene über Antrag auf Freilassung: „Ich bin richtig wütend“
- Luxus-Villa von Peter Stadtmann verkauft
- Ist Peter Stadtmann zurück in Bottrop?
Peter Stadtmann wird zunächst in Wuppertal inhaftiert und später in die JVA Bielefeld verlegt, in die größte Haftanstalt Europas für den offenen Vollzug. Während seiner Haft geht sein Anwalt jeden juristisch möglichen Weg, um sowohl das Urteil gegen den Apotheker als auch das gegen ihn ausgesprochene lebenslange Berufsverbot anzufechten. Die Mühen – bis hoch zum Bundesverfassungsgericht – bleiben erfolglos.
Ebenso Peter Stadtmanns Versuch, bereits nach etwas mehr als der Hälfte seiner Haftstrafe das Gefängnis verlassen zu dürfen. Zwar ist der frühere Apotheker erst im Sommer 2018 verurteilt worden. Die gut eineinhalb Jahre, die er bis dahin in Untersuchungshaft verbracht hat, werden aber auf seine Strafe angerechnet. Regulär endet seine Haft also Ende 2028.
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Bereits vergangenes Jahr, weniger als sieben Jahre nach seiner Verhaftung, hatte Stadtmanns Anwalt einen Antrag auf vorzeitige Haftentlassung gestellt – und schließlich wieder zurückgezogen. Aus welchem Grund, ist unklar, da der Advokat jegliche Stellungnahme zum Fall Peter Stadtmann ablehnt.
Insolvenzverfahren: 12,5 Millionen Euro Insolvenzmasse
Nun, nach zwei Dritteln der Haftstrafe, wird seine Entlassung von Amts wegen geprüft. Bei der Prüfung berücksichtigt werden folgende Aspekte: „die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind“.
Unterdessen läuft immer noch das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Skandal-Apothekers. 12,5 Millionen Euro Insolvenzmasse sind zusammengetragen worden. Wie sie verteilt werden und vor allem, wie viel davon die Opfer bekommen, ist noch unklar. Auch die Krankenkassen hatten Ansprüche erhoben.
Bottroper Apotheker-Skandal: Die Folgen für die Opfer
Vor dem Essener Landgericht sind bislang 28 Verfahren von Opfern auf Schmerzensgeld gelaufen. In zwölf Verfahren haben Opfer Ansprüche erfolgreich geltend machen können, in 15 Verfahren sind die Klagen abgewiesen worden; ein Verfahren ist noch anhängig. Rechtskräftig ist noch keines der Urteile.
Unterstützung vom Land bekommen die Opfer durch den von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann aufgesetzten Zehn-Millionen-Euro-Hilfsfonds. Allerdings war es für viele schwierig, Zahlungen zu erhalten, weil unklar ist, seit wann tatsächlich unterdosierte Krebsmedikamente durch Peter Stadtmann hergestellt und an Patientinnen und Patienten gegeben wurden. Zudem lässt sich kaum feststellen, wie die genauen medizinischen Auswirkungen der Unterdosierungen bei den einzelnen Betroffenen ausgefallen sind.
Doch womöglich wären viele Bottroperinnen und Bottroper, die den Kampf gegen den Krebs verloren haben, heute noch am Leben, wenn sie die richtigen Medikamente bekommen hätten.