Bottrop. Opfer und Angehörige des Bottroper Skandal-Apothekers Peter Stadtmann klagen auf Schmerzensgeld. Rund 30 Prozesse starten am Landgericht Essen.
Gut vier Jahre nach der Verurteilung des früheren Bottroper Apothekers Peter Stadtmann zu zwölf Jahren Haft, haben am Donnerstag am Essener Landgericht die ersten beiden von rund 30 Zivilprozessen begonnen, in denen Opfer des Apothekers oder ihre Angehörigen den heute 52-Jährigen sowie den zuständigen Insolvenzverwalter auf Schmerzensgeld verklagen. Ein Vergleich scheint ausgeschlossen und trotz Bemühen des Gerichts, das Verfahren schleunig zu führen, wird es sich hinziehen. Denn die Beurteilung der Einzelfälle ist schwierig; das zeigten die ersten Erläuterungen des vorsitzenden Richters Dr. Stefan Ostheide.
Schmerzensgeld im Bottroper Apotheker-Skandal wegen Belastungsstörung
So ging es am Donnerstagmorgen zunächst um die Klage einer Bottroperin, deren Vater im Juni 2016 nach der Behandlung mit Medikamenten aus der Alten Apotheke verstarb. Sämtliche Präparate, die gegen seine Brustkrebsbehandlung eingesetzt wurden, hatte er von Peter Stadtmann erhalten.
Der Apotheker war im Oktober 2018 zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden, weil er nachweisbar Krebsmedikamente in mindestens 14.500 Fällen gepanscht und gestreckt hatte. Das Urteil fiel allerdings nicht wegen Körperverletzung, sondern wegen Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz und wegen Betrugs.
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Die Bottroper Klägerin erhob nun keine Ansprüche als Erbin ihres Vaters, sondern wegen der posttraumatischen Belastungsstörung, die sie durch seinen Tod und seine „Nicht-Behandlung“ erlitten habe, wie ihr Rechtsanwalt Manuel Reiger erklärte. Richter Stefan Ostheide machte klar, dass der eigene Schaden geltend gemacht werden könne, das sei in einem anderen, ähnlichgelagerten Prozess schon einmal höchstrichterlich beschlossen worden. Allerdings müsse dafür nachgewiesen sein, dass „die psychische Beeinträchtigung über das übliche Maß in Vergleichsfällen hinausgeht“.
Bottroper Klägerin fordert 40.000 Euro Schmerzensgeld
Vereinfacht gesagt heißt das, die Klägerin müsse belegen, dass ihre Belastungsstörung über normale Trauer im Todesfall eines Angehörigen hinausgeht. „Wir müssen prüfen“, so Richter Ostheide, „ob wir die erhebliche psychische Belastung im rechtlichen Sinne sehen.“ Dafür bedarf es eines Gutachtens, das sich wiederum hinziehe.
40.000 Euro Schmerzensgeld fordert die Tochter des Opfers – eine Summe, die Richter Ostheide bereits als zu hoch einordnete und von einer realistischen Größenordnung von 10.000 Euro sprach. Diese Summe war bereits im Februar im ersten Schmerzensgeldprozess einer Witwe zugesprochen worden, deren Mann nach der Behandlung mit Medikamenten aus Stadtmanns Apotheke gestorben war.
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Ob die Opfer, denen Schmerzensgeld zugesprochen wird, allerdings überhaupt welches erhalten, ist fraglich. Denn das Vermögen von Peter Stadtmann ist Teil eines noch laufenden Insolvenzverfahrens. „Eine Zahlung aus der Insolvenzmasse ist aktuell nicht möglich“, stellte der Anwalt des Insolvenzverwalters, Dr. Carsten Jakobs, klar. Peter Strüwe, Anwalt von Stadtmann, sagte: „Mein Mandant ist vermögenslos.“ Auch deshalb lehnen beide Anwälte den Vorschlag des Richters ab, sich in einem Vergleich zu einigen. Der Ex-Apotheker hat zwischenzeitlich Prozesskostenhilfe beantragt.
Über 120 Millionen Euro Forderungen gegen Apotheker Peter S. eingegangen
Bislang sind im Insolvenzverfahren Forderungen von über 120 Millionen Euro aufgelaufen, unter anderem von Krankenkassen, allerdings sind bisher nur 680.000 Euro anerkannt worden. Peter Stadtmann gehörten in Bottrop zahlreiche Immobilien, darunter seine Luxus-Villa in Kirchhellen-Overhagen mit einem Ursprungswert von elf Millionen Euro sowie mehrere Wohn- und Geschäftshäuser in der Innenstadt.
Rechtsanwalt Manuel Reiger, der insgesamt 28 Klagen auf Schmerzensgeld eingereicht hat, wies beim Termin am Donnerstagmorgen zudem darauf hin, dass Peter S. aus einer wohlhabenden Familie stamme und im Falle des Todes der Eltern als einziges Kind Alleinerbe sein könnte. „Er kehrt nach seiner Haft in ein wohlhabendes Leben zurück“, sagte Reiger.
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Bottroper Angehöriger: „Unsere ganze Familie ist daran zerbrochen“
Laut Landgerichtssprecherin Dr. Cordelia Bender werden die übrigen Klagen nun im Zwei-Wochen-Rhythmus behandelt, oft mit mehreren Terminen pro Tag. Teils klagen Betroffene selbst, teils die Angehörigen von Verstorbenen.
So wie auch der Witwer einer Bottroperin, die nach einer Brustkrebserkrankung und Medikamentierung mit Präparaten aus der Alten Apotheke im September 2013 verstorben ist. Er klagt auf 15.000 Euro Schmerzensgeld. Auch hier sieht Richter Dr. Ostheide Probleme, die außergewöhnliche psychische Belastung nachzuweisen, betont gleichzeitig einmal mehr die Sensibilität des Themas. Der Sohn des Klägers und der Verstorbenen, der im Zuschauerbereich den Gütetermin verfolgt, sagt: „Ich war 26 Jahre alt, als meine Mutter gestorben ist. Mein Schmerz ist stark, unsere ganze Familie ist daran zerbrochen.“
Fortsetzung des Verfahrens
Die Anwälte der Beklagten und der Klägerin haben nun vier Wochen Zeit zur Stellungnahme. Das Verfahren wird am 15. Dezember fortgeführt.
Die Zivilprozesse sind losgelöst von den Landeshilfen, die Opfern des Apotheker-Skandals zugute kommen sollen. Jüngst hatte das NRW-Gesundheitsministerium erklärt, die Frist für Anträge des aktuell anspruchsberechtigten Personenkreises zu verlängern. Außerdem soll im Parlament über eine „möglichst gerechte Verteilung der übrigen Mittel an weitere Opfergruppen“ beraten werden.
Damit können sich auch Opfer Hoffnungen auf Gelder aus dem Zehn-Millionen-Euro-Fonds machen, die bislang leer ausgingen.