Bochum. European Homecare betreut Geflüchtete in Einrichtungen von Stadt und Land. Für Kritiker wie Awo- und SPD-Chef Yüksel ist das „nicht hinnehmbar“.

Zum ersten Mal in Bochum hat im Sommer 2024 ein privates Unternehmen die Betreuung einer Flüchtlingseinrichtung übernommen. Seit Juni ist der Essener Sozialdienstleister European Homecare (EHC) für die Unterkunft mit 350 Plätzen am Nordbad im Stadtteil Harpen zuständig. Aus Sicht der Stadt ist das kein Problem. Bislang habe es keine Beanstandungen gegeben, so Sprecher Peter van Dyk. Allerdings äußert der Initiativkreis Flüchtlingsarbeit Bochum große Bedenken.

Initiativkreis Flüchtlingsarbeit Bochum kritisiert Vergabe an Privatunternehmen

„Die Betreuung von Schutzsuchenden in unserer Stadt sollte nicht von den Gewinnmargen eines Rüstungskonzerns abhängig sein“, heißt es in einem offenen Brief des Initiativkreises. Er bezieht sich auf Recherchen u.a. des TV-Magazins Monitor. Demnach sei EHC mittlerweile im Besitz von Serco, einem „Rüstungskonzern“. Und das ist aus Sicht von Serdar Yüksel, Vorsitzender der Awo Ruhr-Mitte, die dem Initiativkreis angehört, nicht hinnehmbar: „Solche Anbieter gehören nicht in die Kommunen. Da werden die Wohlfahrtsverbände mit ruinösem Wettbewerb rausgekickt und European Homecare bekommt zudem eine Monopolstellung.“

Tatsächlich gehört EHC seit 2024 zur Serco-Gruppe, wie EHC-Sprecher Lutz Hahn bestätigt. Aber Serco sei anerkannte Dienstleisterin in den Bereichen Migration, Justiz, Raumfahrt und Verteidigung. „Serco ist kein Rüstungsunternehmen und ist weder im Waffenhandel noch in der Produktion von Waffen oder Munition tätig. Die unterstützenden Dienstleistungen im Verteidigungsbereich umfassen Standortverwaltung, Ingenieurwesen, Logistik, Wartung und Ausbildung.“

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Die Awo ist selbst betroffen von der Neuvergabe, sie hatte zuvor drei Jahre lang die Betreuungsarbeit am Nordbad übernommen. „Aber dass European Homecare nicht in unsere Stadt gehört, sage ich nicht nur als Awo-Vorsitzender, sondern auch als Landtagsabgeordneter und Vorsitzender der SPD Bochum“, so Yüksel. „Die Vergabe an European Homecare halte ich aus politischen Gründen und wenn man sich diese Organisation anguckt, für nicht hinnehmbar“ Dem Unternehmen wirft er vor, „Geld mit dem Elend der Menschen im Krieg zu verdienen und dann sozusagen mit dem Endprodukt des militärischen Engagements, nämlich den Geflüchteten, Renditen zu erzielen“.

Awo-Chef kritisiert, es dürfe nicht nur der Billigste zum Zuge kommen

Es gehe aber auch um die Arbeitsplätze in den Wohlfahrtsorganisationen. Es könne nicht sein, dass nur „der Billigste zum Zuge kommt. Bei uns bekommen alle Tariflöhne der Arbeiterwohlfahrt. Wir haben eine Altersvorsorge, die wir für unsere Mitarbeiter bezahlen. Diese guten Arbeitsplätze werden dadurch konterkariert, indem nur nach billig vergeben wird.“

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European Homecare wehrt sich gegen die Vorwürfe. „European Homecare bietet keine Dumpingpreise“, so der Sprecher, sondern reiche „auskömmlich kalkulierte und hochwertige Angebote“ ein. Die Beschäftigten erhielten ortsübliche Löhne, die sich an Tarifverträgen orientierten. Und: „In öffentlichen Ausschreibungen entscheidet schon lange nicht mehr allein der Preis darüber, welches Unternehmen den Zuschlag erhält.“

Das gelte auch für die Ausschreibung in Bochum, in der Preis und Qualität im Verhältnis von 40 zu 60 Prozent den Ausschlag gegeben hätten. „Wer sich hier im Wettbewerb durchsetzen will, muss also vor allem Qualität bieten, aber natürlich zu vernünftigen Preisen im Sinne der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler“, so Hahn. Dass ein unterlegener Mitbieter versuche, „die EHC-Arbeit in Misskredit zu bringen“, zeuge von schlechtem Stil.

Initiativkreis fordert, die Vergabekriterien für Flüchtlingsbetreuung zu verändern

Aus Sicht der Wohlfahrtsverbände und anderer Mitglieder des Initiativkreises Flüchtlingsarbeit Bochum sollte die Stadt ihre Ausschreibungs- und Vergabekriterien anpassen. „So könnte das Kriterium der Gemeinnützigkeit der Vertragspartner verhindern, dass ein Rüstungskonzern den Zuschlag erhält“, heißt es im besagten offenen Brief. Auch der Nachweis einer „sozialräumlichen Vernetzung“ solle eine Rolle spielen. Ehrenamtliche leisteten mit Aufgaben wie Hausaufgabenhilfe, Sozialbetreuung und der Veranstaltung von Festen nicht nur unschätzbare Dienste bei der Betreuung von Flüchtlingen. „Das sollte berücksichtigt werden“, sagt Serdar Yüksel und wirft Sozialdezernentin Britta Anger vor, sie sei verantwortlich dafür, dass dies bislang nicht geschehen ist. „Für den Frieden in einer Stadt ist es wichtig, dass es eine Anbindung an die Bürgerschaft gibt“, so der Awo- und SPD-Chef. Diese Anbindung hätten die Wohlfahrtsorganisationen, nicht aber private Unternehmen.

Aus Sicht der Kritiker hätte es längst eine Überarbeitung der Vergabekriterien geben müssen; auch auf Landesebene. Es sei alarmierend, dass EHC in NRW bereits in knapp 20 Einrichtungen des Landes und der Städte für die Flüchtlingsbetreuung zuständig ist, so etwa in Bonn, Köln, Düsseldorf, Essen und Marl.

Das Unternehmen argumentiert derweil, Rechtsform und Eigentumsverhältnisse hätten keinen Einfluss auf die Dienstleistung. „Unsere Erfahrung ist, dass weder Gemeinnützigkeit noch Gewinnorientierung ein sicheres Indiz für die Qualität der durch ein Unternehmen erbrachten Leistung sind“, sagt Sprecher Lutz Hahn.

Stadt Bochum argumentiert, Unternehmen dürfen nicht ausgeschlossen werden

Die Stadt beruft sich unterdessen auf gültige Bestimmungen. „Nach derzeitiger Rechtsauffassung ist jede Einschränkung des Bieterkreises nur mit einer auftragsbezogenen ausführlichen Begründung möglich, um keine Wettbewerbsnachteile zu erzeugen. Eine Ausschreibung kann nicht so formuliert werden, dass private Anbieter gänzlich ausgeschlossen werden“, sagt Stadtsprecher Peter van Dyk.

Das Argument, nur der billigste Anbieter habe eine Chance, sei nicht stichhaltig. „Die Bewertung der Angebote erfolgt im Verhältnis 60 Prozent Qualität zu 40 Prozent Preis, sodass nicht nur finanzielle Aspekte eine Zuschlagserteilung ausmachen.“ Bei den jüngsten Ausschreibungen sei „die Gewichtung von Qualifikation des Personals sowie das Vorliegen umfangreicher Schutzkonzepte und auch der Bezug in den Sozialraum“ sogar noch deutlich hervorgehoben worden.

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In Bochum ist der Essener Sozialdienstleister nicht nur am Nordbad zuständig. Es hat auch die Ausschreibung der Bezirksregierung für die Betreuung in der neuen Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) des Landes in Riemke gewonnen und soll zudem als Awo-Nachfolger die Arbeit in der städtischen Einrichtung an der Höntroper Straße übernehmen. „Dagegen haben wir Widerspruch vor der Vergabekammer eingelegt“, sagt Serdar Yüksel. Für Freitag, 17. Januar, war dazu eine Anhörung vor der Kammer angesetzt. Sollte sie die Rechtmäßigkeit der Vergabe an EHC bestätigen, will sich die Awo Ruhr-Mitte damit nicht abfinden, sondern „bis in die letzte Instanz durchfechten“. Der nächste Schritt wäre der Gang vor das Oberlandesgericht.

Grüne werfen Yüksel Lobbyismus vor

Für die Grünen in Bochum riecht die von SPD- und Awo-Chef Serdar Yüksel geäußerte Kritik an der städtischen Vergabepraxis bei der Betreuung von Flüchtlingsunterkünften nach „Lobbyismus in eigener Sache“.

Allerdings: Auch sie seien „nicht glücklich darüber, dass bei der Vergabe der Betreuungsleistungen in städtischen Flüchtlingsunterkünften nun schon zum zweiten Mal European Homecare zum Zuge kommt“. Das liege, so Fraktionschef Sebastian Pewny, weniger an der Unternehmenskonstruktion, sondern vielmehr an Erfahrungen mit Qualitätsmängeln in anderen Städten in der Vergangenheit. Es sei zu befürworten, wenn die Awo als Mitbewerber überprüfen lässt, ob das Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde.

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