Oberhausen. Nach der Pandemie wird es nie mehr so sein wie vor der Pandemie – was die Fußgängerzonen in den Innenstädten betrifft. Lösungen sind möglich.
Schon bevor das Centro in der Neuen Mitte, damals das größte Einkaufs- und Freizeitzentrum Europas, vor 25 Jahren eröffnet wurde, waren die Oberhausener mit dem Zustand der Marktstraße, der Einkaufsstraße Alt-Oberhausens, unzufrieden: Wo waren die klassischen Herrenausstatter, die mondänen Möbelgeschäfte, die Traditionskaufhäuser mit exklusiven Waren wie Magis geblieben, die sogar eine Austern-Schlürf-Ecke gehabt haben sollen? Das Centro würde den Tod der Marktstraße bedeuten, da waren sich viele Ur-Einwohner Oberhausens sicher.
Danach ist das angebliche Sterben der berühmten Marktstraße und seiner vielen Nebenstraßen so ausführlich und stetig in bundesweiten Medien beschrieben worden, dass selbst die Heimatpatrioten am Ende überzeugt waren, dass die Marktstraße nur noch aus Leerständen, Ein-Euro-Shops und Spielhallen ohne Passanten und Einkäufern besteht. Die über 50 inhaber-geführten Geschäfte, Eisdielen und Cafés wurden in den Darstellungen ignoriert.
Und jetzt auch noch die Pandemie? Wenn immer mehr Menschen Bankgeschäfte und Einkäufe online erledigen und in dunklen Arbeitszimmern zu Hause zu Einsiedlern werden, scheint das Schicksal der Oberhausener Innenstadt endgültig besiegelt zu sein.
In der Oberhausener Innenstadt wohnen relativ viele Menschen
Liest man Analysen der Immobilien- und Handelsfachleute, spricht man mit Strategen, Architekten und Cityberatern vor Ort, dann muss man allerdings zu einem gegenteiligen Schluss kommen: Die Marktstraße hat ihr Leben nicht hinter sich, sondern sie lebt und hat eine ziemlich gute Basis, um gerade für die Anforderungen der Nach-Corona-Zeit gerüstet zu sein – und noch mehr Leben in die City zu holen. Denn im Vergleich zu den meisten anderen Innenstädten, wie beispielsweise Essen mit seinen Einkaufszonen Kettwiger Straße und Limbecker Straße, hat Oberhausen einen großen Vorteil: Hier leben und wohnen tatsächlich Bürger, im Kern über 13.000 Oberhausenerinnen und Oberhausener, hier gibt es eben nicht nur Büros und Geschäfte. Die Oberhausener City ist nicht wie der Potsdamer Platz in Berlin abends wüst und leer.
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Die Entwicklung der Marktstraße in den vergangenen 30 Jahren haben andere Fußgängerzonen erst noch vor sich. In ihrem Herbstgutachten 2020 sieht der Spitzenverband der Immobilienwirtschaft ZIA die Bedeutung des Handels für die Innenstädte stark schwinden – und die Mieten für Geschäfte purzeln. Die Stadtplaner müssten künftig auf einen Mix der Nutzungsarten setzen: „Der Handel braucht weniger Platz, während die Anteile für Gastronomie, Arbeiten, Freizeit und Wohnen steigen. Projektentwickler setzen immer mehr auf eine Nutzungsmischung, gerade in zentralen Lagen.“
Strategie der Nutzungsmischung – Handel wird weniger
Auch ohne hochtrabenden Masterplan mit vielen blumigen Formulierungen in der Tasche peilt Planungsdezernent Ralf Güldenzopf schon länger den Mix verschiedener Nutzer neben dem Handel an (Gastronomie, Hotel, öffentliche Verwaltung, Büros, komfortablere Wohnungen, Schulungsräume). „Wir verfolgen bereits seit Jahren die Strategie der Nutzungsmischung und eine Erhöhung der Aufenthaltsqualität in der City. Das ist aber nicht mit der Brechstange zu machen.“ Stadtplaner denken in Dekaden – und hoffen auf Sogeffekte.
Der Umbau des Kaufhofs zum Hotel Ana mit der ersten Oberhausener Rooftop-Bar, das Jobcenter mit Dachgarten zum Gemüseanbau, die Erweiterung des Biergartens des deutsch-polnischen Kult-Restaurants Gdanska, die neue Volksbank Rhein-Ruhr, das Weiterbildungsinstitut WBI, die im Bau befindliche neue Polizei-Anlaufstelle, der Umzug des „Zentrums für schulpraktische Lehrerausbildung“ von der Duisburger Straße an die Marktstraße – erste Investitionen lösen weitere Investitionen aus.
So sind mittlerweile 17 Häuserfronten seit 2019 im Fassadenprogramm aufgehübscht worden, die Bäckerei Horsthemke investierte, weil das Hotel eröffnete, der Supermarktbetreiber Edeka steckte eine Million Euro in seine Filiale, Optiker Fielmann runderneuerte für 600.000 Euro über Monate seine Niederlassung. Von 130 Geschäften im Kerngebiet der Oberhausener City stehen gerade mal zehn Prozent leer.
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„Das ist eine ganz normale Quote, die in Shopping-Centern sogar begrüßt wird, um Fluktuation und Veränderungen möglich zu machen“, sagt der frühere Centro-Manager und heutige Oberhausen-City-Berater Michael Grundmann. „Nur für die Oberhausener Innenstadt wird das immer als Weltuntergang dargestellt. Dabei haben wir sogar Anfragen nach freien Geschäftsflächen, die wir nicht erfüllen können – viel steht da im Kern nicht zur Verfügung.“ Im Moment überlegt er, wie man Wünsche von Investoren außerhalb Oberhausens nach neuen Rooftop-Bars im Zentrum (nach dem Vorbild des Hotels Ana) Realität werden lassen kann.
Müssen mehr Immobilieneigentümer auf angepeilte Miethöhe verzichten?
Grundmann liebt es, Klartext zu reden und keine irrealen Illusionen zu verbreiten. Die von so vielen Oberhausenern geschätzte frühere Einkaufswelt auf der Marktstraße wird nicht mehr wiederkommen – im Gegenteil. „Wir werden bis zu 30 Prozent des stationären Handels an die Online-Branche verlieren.“ Eine Schlüsselfrage sei dabei, ob die über 120 verschiedenen Eigentümer der City-Immobilien ausreichend begreifen, wie sehr sich die Zeiten geändert haben. „Wir müssen die Hauseigentümer überzeugen, leere Geschäfte nicht einfach als Löcher leer stehenzulassen, bis vielleicht doch noch das nächste Schuhhaus bereit ist, die anvisierte Miete zu zahlen, sondern auf ein paar Prozent der Miete zu verzichten, um beispielsweise Gastronomen aufzunehmen.“ Auch die einzelne Immobilie müsse – krisensicherer – als Mix betrachtet werden: oben das Penthouse, dazwischen Kanzlei oder Arztpraxen, darunter ein Café.
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In diesem Sinne entwickelt derzeit der Oberhausener Architekt Moritz Ebbers vom Büro Meier-Ebbers das einst so lang leerstehende frühere Magis-Kaufhaus von Peek&Cloppenburg, in dem derzeit der Textilhändler mal wieder ein nachgefragtes Outlet-Geschäft mit übrig gebliebener Ware betreibt.
P&C denkt durchaus daran, das Haus ganz anders zu nutzen oder die Immobilie mit sinnvollem Konzept zu verkaufen. Unten ein Frequenzbringer, darüber Büros oder Wohnungen? Oder gar eine Rooftop-Bar, die zweite? Mal sehen, Ebbers setzt sich selbst keine Denkverbote.
Gestaltungssatzung für bessere Optik der Marktstraße notwendig
Wenn Architekt Ebbers durch das Zentrum seiner Heimatstadt schlendert, fällt seinem fachlich-ästhetisch geschulten Blick gleich die mangelhafte Liebe der Händler, Eigentümer, aber auch der Stadt selbst auf, die Innenstadt so schön zu gestalten, dass man sich hier gerne aufhält.
Ein Durcheinander an Werbeschildern, fehlendes Grün auf Plätzen, kaum Bänke zum Sitzen und Plaudern – die zwei Kilometer lange Marktstraße wirkt immer noch trotz aller Reinigungsanstrengungen ungemütlich-unaufgeräumt, zudem haben die Plätze im Zentrum kein klares Nutzungsprofil. „Die Stadt benötigt eine Gestaltungssatzung mit Vorschriften, wie Läden außen aussehen müssen. Den Weg muss man vorgeben. Man sollte sich ein Beispiel an Münster, Aachen, Bonn oder Krefeld nehmen.“
Außerdem müssten die Plätze neu betrachtet und eindeutig definiert werden: Wo trinkt man sein Bier unter schattigen Bäumen? Wo finden die Märkte statt? Wo Kultur-Spektakel? Wo ist der Treff der Nachbarn mit viel Grün und Bänken? Strategiedezernent Ralf Güldenzopf schlägt in die gleiche Kerbe: „Derzeit versuchen wir, alles an allen Stellen zu machen, doch so etwas funktioniert nicht. Allein mit Kunst und Kultur überall kann das nicht klappen.“
Mehr Bewohner und mehr Gastro-Szene – klappt das?
In den 80er und 90er Jahren galt die Oberhausener Innenstadt bei jungen Erwachsenen im gesamten westlichen Ruhrgebiet als attraktiver Ort, um den Abend und die Nacht zu verbringen: Clubs wie das legendäre Raskalnikov, Restaurants, Live-Musik im Café Transatlantik, Brötchen Josef, das Druckluft, das Lichtburg-Kino – hier war immer was los. Und erst recht in der nahen Turbinenhalle, im Druckluft, im Zentrum Altenberg und den Disco-Zelten „Blue Moon“ und „Music Circus“.Heute sind Anwohner allerdings viel Lärm-sensibler als früher. Wenn man noch mehr Bewohner in die Innenstadt lockt und zugleich die Gastro-Szene weiter ausbaut, drohen Konflikte zwischen Mietern und der abendliche Feierszene. Die Stadt achtet aber durchaus darauf: So darf die Rooftop-Bar im Hotel Ana nur bis 21.30 Uhr Gäste bedienen – und muss dann schließen. Architekt Moritz Ebbers glaubt jedoch an einer friedlichen Koexistenz: „Wenn das Ausgeh-Angebot attraktiver wird, dann freut das auch die Bewohner der City.“
Eines seiner Beispiele, wie wichtig eine klare Vorstellung ist, wo was aus der Innenstadt werden soll: Die untere Marktstraße könnte man zum Standort von mietbaren Büros machen. „Wer künftig im Home-Office arbeitet, will trotzdem Menschen sehen, mal einen Kaffee trinken, Lebensmittel einkaufen und nicht immer in der kleinen City-Wohnung sitzen. In der Nähe könnte man Büros für diese Klientel anbieten.“
Nur eines sollten sich die Oberhausener nach Ansicht des Strategiedezernenten abschminken: Den nostalgischen Blick zurück mit Zukunft verwechseln. „Wir können nicht ständig dem alten Warenhaus Kaufhof nachtrauern und die Innenstadt, wie sie vor 50 Jahren gewesen ist, wieder aufbauen. Aber wir schaffen etwas Neues, was dem heutigen Bedarf der Menschen entspricht.“