Kamp-Lintfort. Vor zehn Jahren, am 21. Dezember 2012, war in Kamp-Lintfort Schicht am Schacht. Bergleute erinnern sich, wie sie die Zechenschließung erlebten.
„Um 10.35 Uhr läutete die Glocke, kündigte das Ankommen des Förderkorbs an. Ungefähr 20 Bergleute steigen aus – die letzten, die im Bergwerk West für die Kohleproduktion zuständig waren. Seit Freitagvormittag ist die Steinkohleförderung auf dem Bergwerk Geschichte.“ So berichtete die NRZ über den 21. Dezember 2012, als auf der Kamp-Lintforter Zeche die Lichter ausgingen. Zehn Jahre ist das her. Die NRZ hat einige, die damals dabei waren, nach ihren Erinnerungen gefragt und nach ihrem Blick auf Kamp-Lintfort nach der Zeit als Bergbaustadt.
Karl-Heinz Stenmans (Werksleiter): „Das war eine sehr bewegende Veranstaltung an diesem 21. Dezember, an der die damalige Ministerpräsidentin Hannelore Kraft teilnahm. Als sie vom Rednerpult runter stieg, fiel sie mir um den Hals und wir kämpften beide mit den Tränen.“
Stenmans war seit 1977 mit dem Bergbau verbunden, seit 1985 in leitender Funktion. „Dabei hatte ich mir das nie träumen lassen, diesen Job auszuüben.“ Eine schöne Karriere, aber eben auch mit der Aufgabe verbunden, am Ende den Laden an der Friedrich-Heinrich-Allee dicht zu machen. „Das war nicht schön.“
Bis Ende 2013 war er noch auf dem Zechengelände unterwegs, organisierte die Reinigung und Verfüllung der Schächte. „Das war unheimlich, ja sogar körperlich unangenehm. Es herrschte Totenstille auf dem Gelände, wo sonst der Bär steppte. In der Kaue, wo sonst immer jemand war, war niemand mehr. Das war emotional sehr angreifend“, erinnert sich der Werksleiter an die letzten Monate im Bergwerk West.
Es sei ein wenig „sein“ Bergwerk gewesen, erklärt er. „Meine Frau sagte immer, du bist zwar mit mir verheiratet, aber da gibt es noch jemanden. Und da hatte sie recht. Ich hatte einen Halbtagsjob, von 7 bis 7“, scherzt Stenmans. Und ja, einmal sei er sogar an Weihnachten noch mal los. „Wenn ich gebraucht wurde, war ich da“, so das Selbstverständnis des Werksleiters. 2014 konnte der Diplom-Bergbauingenieur in den Ruhestand gehen. Mit 59.
Auf dem Weg zur Rentnerstadt?
Für Kamp-Lintfort sah er, wie er zugibt, lange keine rosige Zukunft für die Zeit danach. „Vor allem nach der Pleite von BenQ war ich sicher, dass das eine Rentnerstadt wird, so ohne die zwei größten Arbeitgeber. Aber, da muss ich dem Bürgermeister ein Kompliment machen, der hat den Wandel weg vom Bergbau gut hingekriegt und sichtbar gemacht.“ Die Laga sei bei allen Entwicklungen ein „super Termintreiber“ gewesen und habe Friedrich-Heinrich das Schicksal etwa von Niederberg oder Pattberg erspart, wo lange Zeit gar nichts passierte.
Ob das Ende des Steinkohlebergbaus mit Blick auf den Energiemangel ein Fehler sei? „Vielleicht könnten wir bei der aktuellen Lage am Markt sogar Gewinne erzielen. Aber das wäre einfach nur eine Phase. Die Kohle ist politisch nicht gewollt. Die Ära ist vorbei.“
Friedhelm Vogt (Betriebsratsvorsitzender): „Ich war an diesem Tag sehr nervös und traurig, gleichzeitig aber auch erleichtert, weil niemand arbeitslos wurde und jeder seinen Weg gefunden hat.“ Den Besuch von Hannelore Kraft hat auch er als Höhepunkt gesehen. „Für meine Rede hatte ich tagelang geübt.“
Auch er hat bis Ende 2013 die Restarbeiten begleitet, bevor für ihn Schicht am Schacht war: knappschaftliche Ausgleichsrente mit 55. 1974 hat Vogt auf Rossenray angefangen. Gebürtig in Kamp-Lintfort mit dem üblichen familiären Hintergrund, konnte er kaum anders, als zum Bergbau zu gehen: „Mein Vater war da, mein Opa auch. Meine Heimat war auf Zeche.“ Letztlich, meint er, konnte man noch froh sein, dass es „erst“ 2012 zur Schließung gekommen ist. Man habe sich gut auf das Ende vorbereiten können.
Das Bergwerk lebt – auch ohne Kohle
Mit Stolz erfüllt es ihn, wenn er heute auf die ehemalige Bergbaustadt schaut: „Wir haben immer gesagt, das Bergwerk soll weiterleben – auch ohne Kohle. Dieses Ziel haben wir erreicht. Aber das das so toll wird...“ Dazu hat Vogt als politisch engagierter Mensch sein Scherflein beigetragen und mitgeholfen, frühzeitig die Weichen zu stellen. Auch er hatte die mahnenden Beispiele Niederberg und Pattberg im Blick: „Wir wollten keinen Zaun drum und ein Schild ,Betreten verboten’.“ Der Erhalt des Lehrstollens war ihm sehr wichtig. „Und der Förderturm. Das war ganz schön knapp damals bei dem Bürgerentscheid. Ich dachte, es ist vorbei.“
Gleichwohl will er nichts romantisieren: „Es gab auch Schattenseiten und Sorgen. Oft stand die Frage im Raum: Geht man, bleibt man? Habe ich morgen noch Arbeit? Das waren Existenzängste.“ Er stellt aber als Gewerkschaftler auch fest: „Ich bin niemals gegen meinen Arbeitgeber auf die Straße gegangen. Immer nur gegen die Politik.“
35 Jahre hat Vogt in der Altsiedlung gewohnt. Als auch für ihn die letzte Schicht zu Ende war, hat er seine Sachen gepackt und ist nach Norddeutschland gezogen. „Alle haben gesagt, du kommst wieder. Aber ich fühle mich sauwohl hier.“ Obwohl: Im Arbeitszimmer stehen die Heilige Barbara und eine Grubenlampe. In der Garage hängen Arschleder und sein Grubenwehr-Helm. „Niemals geht man so ganz“, stand damals auf den T-Shirts, die er und Stenmans bei der internen Abschiedsfeier in der Lohnhalle getragen haben. Stimmt. Zum Weihnachtsmarkt unterm Zechenturm war der Neu-Ostfriese wieder da.
Christoph Landscheidt (Bürgermeister): „Ein bewegender und feierlicher Moment.“ Gleichwohl: Als Bürgermeister fand er die Zeit davor viel beeindruckender. „1993 bin ich nach Kamp-Lintfort gekommen. Da hatte der Sinkflug des Bergbaus schon begonnen. Und es war gut, dass Stimmen im Rat, die sagten, bloß nicht an das Ende denken, nicht gehört wurden. Der damalige Bürgermeister Karl Flügel hat gesagt: ,Wir sind nicht die Totengräber des Bergbaus’. Das hat Spielräume eröffnet, frühzeitig über die Nachnutzung nachzudenken.“
Dann aber kam der nächste Schlag: BenQ ging pleite. „Als die das so grandios vor die Wand gefahren haben, habe ich mal kurz gedacht, in dieser Stadt gehen die Lichter aus.“ So mancher hat Kamp-Lintfort in dieser Zeit den Rücken gekehrt. „Da bestand die Gefahr, dass die Stadt ausblutet. Also musste eine Perspektive her.“ Und, so sagt der Bürgermeister: „Es ist mein Job, optimistisch zu sein.“
Und dann wird alles in Schutt und Asche gelegt
Und es ging ja tatsächlich weiter: Dieprahm zog Unternehmen an, der Zuschlag für den Hochschulstandort kam, die Bewerbung für die Laga war schon lange im Blick. „Das Ende des Bergbaus war einerseits ein Desaster, aber auch eine Chance“, glaubt Landscheidt. Dennoch kann er auch die Gedanken manches Bergmannes nachvollziehen, als es an den Abriss von Friedrich-Heinrich ging: „Das Bergwerk hat ihr Leben begleitet, sie waren mit dem Werk verbunden. Da, wo sie jahrzehntelang geschuftet haben, wurde alles kaputt gemacht und zerstört.“
Landscheidt ist „heilfroh“, dass es gelungen ist, den Förderturm zu erhalten: „Was wäre der Weihnachtsmarkt, was wäre die Laga ohne dieses Wahrzeichen gewesen?“
Michael „Jimmy“ Hartwich (Elektriker/Betriebsrat): Der Mann mit dem Fußballer-Spitznamen erinnert sich an zwei Abschiede: den politischen, wie er sagt, und an die interne Feier ein paar Tage später. „Traurig“ war er bei beiden. „Ergreifend“ fand er, dass Hannelore Kraft in Kamp-Lintfort ihr Manuskript beiseite gelegt habe und frei gesprochen.
Sein Traumberuf war es nicht, als er 1981 eine Lehre als Elektriker auf Friedrich-Heinrich anfing. „Ich habe immer an meinem Mofa rumgeschraubt und wollte Zweiradmechaniker werden. Aber da waren die Verdienste nicht so toll.“ Im Nachhinein gesehen, hat er alles richtig gemacht: „Ich bereue das nicht. 37 Jahre Bergbau waren eine tolle Zeit.“ Er hatte zwischenzeitlich Sorge, dass es eine Brachfläche mitten in der Stadt geben könnte. „Rossenray gibt ja bis heute ein ganz trauriges Bild ab.“ Sehr froh ist er, dass der Lehrstollen erhalten werden konnte: „Der Grundgedanke ist im Betriebsrat geboren.“ Er hänge sehr dran, sagt er. Als Gästeführer erinnert er mit Stolz an die Zeit des Bergbaus in Kamp-Lintfort.
Schade ums Kauengebäude
„Schade, dass das alte Kauengebäude abgerissen wurde.“ Denn da hat er noch einmal Abschied genommen von der Zeche, nach den Restarbeiten im Jahr 2013: „Ich habe meinen Kauenkorb leergeräumt. Da standen mir die Tränen in den Augen. Ich habe nicht geschafft, alles mitzunehmen. Nur die Markennummer war mir wichtig.“ Und der Zechenturm ist der Familie, die in dritter Generation mit Friedrich-Heinrich verbunden war, wichtig: „Sogar für meine Kinder, die nix mit dem Bergbau zu tun haben, sagen immer: Das ist für mich Heimat.“