Kreis Wesel. Sinkt die Temperatur im Rhein nicht bald, drohen viele Wasserlebewesen zu verenden. Im Kreis Wesel leiden auch anderswo Tiere und Pflanzen.

Sinkende Flusspegel und anhaltende Dürre bedeuten für die Natur Stress pur. Manches wird sich wieder erholen, anderes verändert sich dauerhaft. Im Rhein ist es aktuell für seine Bewohner eng: Weniger Wasser bedeutet, dass eine Vielzahl von Tieren zusammenrücken muss, erläutert Professor Jochen Knoop von der Bundesanstalt für Gewässerkunde. Fischkrankheiten wie Rotseuche oder Schwimmblasenwürmer übertragen sich schneller. Hinzu kommt die steigende Wassertemperatur: „Fische und Wirbellose können ihre Temperatur nicht selbst regulieren, sie übernehmen die Umgebungstemperatur“, erklärt der Zoologe.

Noch neun Tage Frist für Fische und Wirbellose im Rhein

Die Faustformel laute: Je zehn Grad höherer Temperatur verdreifacht sich die Stoffwechselrate. „Das bedeutet, dass die Tiere die dreifache Energie verbrauchen.“ Normalerweise, so der Fachmann, liege die Temperatur im Rhein bei 15 bis 18 Grad, aktuell aber bei 25 bis 28 Grad. Die Tiere verbrauchen ihre Reserven, wechseln in den Hungerstoffwechsel und werden immer schwächer. „Eine Regel ist: Liegen die Temperaturen mehr als 40 Tage höher als 25 Grad, setzt ein Massensterben unter Muscheln und Fischen ein.“

In neun Tagen (vom 17. August gerechnet) läuft diese Frist aus. 2003 gab es ein Massensterben von Aalen und Muscheln. Aussterben würden diese Arten nicht, sagt Knoop. Zunächst erliegen die älteren Tiere der Erschöpfung. Körbchenmuscheln im Rhein beispielsweise haben eine Lebenserwartung von fünf Jahren, es würden zunächst die Fünfjährigen verenden.

Es gibt auch Gewinner der Situation: Vögel wie die Uferläufer finden derzeit auf den großen Flächen am getrockneten Ufer viel Nahrung. Auch Nabu-Kreisvorsitzender Peter Malzbender beobachtet, dass die Vögel sich Fischbrut und Kleinstlebewesen aus den Restwasserflächen holen.

Auch Säugetiere und Greifvögel sind in Gefahr

Wegen des knappen Nahrungsangebotes – es gibt zu wenig Mäuse – ziehen Eulen in diesem Jahr wenig Nachwuchs auf. Im Bild eine junge Schleiereule.
Wegen des knappen Nahrungsangebotes – es gibt zu wenig Mäuse – ziehen Eulen in diesem Jahr wenig Nachwuchs auf. Im Bild eine junge Schleiereule. © Harald Fielenbach

Trockenheit und Hitze, das betrifft nicht nur den Rhein. Harald Fielenbach, Vorsitzender der Nabu-Ortsgrupe Moers und Neukirchen-Vluyn nennt das Schwafheimer Meer und das Biotop an der Steinbrückenstraße in Hülsdonk als besonders betroffen. „Es finden sich immer wieder verendete Tiere“, sagt er, Igel, Hasen und sogar das Rotwild litten unter zu wenig Trinkwasser, sie dehydrieren. Greifvögel und Eulen haben nur wenig Nachwuchs, weil es ein schlechtes Mäusejahr sei. Maulwürfe hungern, weil Regenwürmer sich tief in die Erde zurückziehen, zudem stürzten zunehmend ihre Bauten ein.

Auch die Zusammensetzung der Biotopbewohner ändere sich: Südeuropäische Tiere wie der Bienenfresser, eine Vogelart, und die Wimperfledermaus siedelten sich an, andere wie Sumpfohreule und Kammmolch verschwinden, wenn Feuchtgebiete trocken fallen. Das seien irreversible Veränderungen, sagt Fielenbach. Und weil zahlreiche alte Bäume absterben, gehe zusätzlicher Lebensraum für zahlreiche Tiere verloren.

Maritime Neophyten sind in den Auen im Vormarsch

Martina Erzner von der Biologischen Station im Kreis Wesel blickt eher auf die Pflanzenwelt, die ebenfalls im Wandel ist. Auewälder am Rhein trocknen aus, üblicherweise schlammige Böden bekommen tiefe Risse, die heimische Landschaft verändert sich. „Aktuell geht es fast allen Biotopen schlecht“, sagt sie. Zwar vertragen Auewälder mal Trockenheit, dann wieder Nässe, allerdings seien die Bäume durch den zu tiefen Grundwasserstand ohnehin gestresst. „Mit solchen Extremen können auch angepasste Biotope nicht gut umgehen.“ Die Diplom-Geografin schränkt ein, dass es weitere störende Faktoren gibt.

Der Rhein ist eine Wasserstraße für die Schifffahrt. „Aus Gründen der Verkehrssicherheit werden immer mal wieder Bäume gefällt.“ Das sorge für Lücken in den Auewäldern, die Trockenheit verhindere, dass sie sich automatisch wieder füllen. „Neophyten wie der Eschenahorn siedeln sich dann an.“ Der kann besser die klimatischen Veränderungen vertragen als Silberweide und Schwarzpappel, die klassischen Bäume der Auewälder. Die alte Pflanzenzusammensetzung geht verloren.

Röhrengräser machen mediterranen Pflanzen wie Taube Trespe Platz. Die Folge: Das Röhricht kommt nicht mehr hoch, „die Landschaft ist nicht mehr so blühend, wie wir es gewohnt sind. Sie ähnelt eher Steppengras.“ Das sei eine schleichende Entwicklung, die sich auch auf die Insektenwelt auswirke. Mit einer Beurteilung hält sich Erzner zurück, eventuell handele es sich lediglich um die Anpassung der Natur an die klimatischen Bedingungen. „Es gibt keine einfachen Antworten.“

Kurze Blütezeit macht den Insekten zu schaffen

Durch die vertrockneten Flächen und die deshalb verkürzte Blütezeit finden Insekten weniger Nahrung, „unsere Landschaft ist nicht an solche Bedingungen angepasst“, sagt Paul Schnitzler von der Biologischen Station im Kreis Wesel. Belastbare Zahlen darüber gebe es aktuell nicht. Zecken, die keine Insekten sondern Spinnentiere sind, lieben es feucht und warm. Aktuell hat die Trockenheit sie in tiefe Bodenschichten zurückgedrängt, verrät Zoologe Jochen Knoop. Das macht Waldspaziergänge für Mensch und Tier vorerst ungefährlicher.

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