Kreis Wesel. Trockenheit setzt dem Gras auf den Deichen zu – und damit den Schafen. Das und weitere Probleme beschert der Sommer 2022 dem Hochwasserschutz.

Was machen Trockenheit und Hitze mit den Deichen? Viktor Paeßens und Ingo Hülser sind Deichgräfen und in diesem Thema zuhause. Paeßens für den Deichverband Duisburg-Xanten, zuständig für den linksrheinischen Rheindeich im Kreis Wesel, Hülser für den Deichverband Mehrum (vom Voerder Kraftwerk Voerde stromabwärts bis zum Hafen Emmelsum auf der anderen Seite). Treffpunkt Rheinberg im Bereich Hasenfeld mit Blick auf das Kraftwerk: An dieser Stelle ist der Banndeich – also der Hauptdeich – heute 14 Meter hoch. „Es ist einer der höchsten Flussdeiche Europas“, erläutert Paeßens.

Der Rhein hat sich tief in sein Bett zurück gezogen, der auf der Landseite normal am Deichfuß leckende See Polder Hasenfeld ist teils schon trocken gelaufen. Gewässer so nahe am Damm, das ist eigentlich ein Tabu. Es ging nicht anders: Der See ist eine voll gelaufene Bergsenkung, hervorgerufen durch den Steinkohleabbau dort, wo früher eine kleine bäuerliche Siedlung stand. Er ist durch einen Ringdeich, Spundwände und ein Pumpensystem gesichert, damit er nicht überlaufen kann, wenn das Wasser drückt.

Hier ist das Niedrigwasser von Vorteil: Die Deichschützer können jetzt feststellen, ob Nutrias aktiv waren und den wegen der Bodensenkung so ungewöhnlich hohen Deich gefährden. Normalerweise schützt das Wasser ihre Bauten vor Blicken. Anders als Maulwürfe und Wühlmäuse können diese Höhlenbauer, deren Ahnen vor rund 100 Jahren aus Pelztierfarmen entkamen, dem Deich gefährlich werden. Hier und überall entlang der Deiche im Kreis Wesel lassen sich die Nutrias bei niedrigen Wasserständen besser bekämpfen. Ein Punkt für das Niedrigwasser.

Die Deichgräfen Viktor Paeßens (links) und Ingo Hülser sorgen sich aktuell um die Grasnarbe auf dem Rheindeich. Sie schützt das Bauwerk wie ein dichter Mantel. Doch es ist zu trocken.
Die Deichgräfen Viktor Paeßens (links) und Ingo Hülser sorgen sich aktuell um die Grasnarbe auf dem Rheindeich. Sie schützt das Bauwerk wie ein dichter Mantel. Doch es ist zu trocken. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Es bleibt wohl der einzige: Große Sorge bei langer Trockenheit bereitet den Deichverbänden der Schutz der Grasnarbe. Die ist wichtig, um das Wasserschutzbauwerk zu sichern – und zuständig für die fachgerechte Pflege sind Schafe. Aktuell, erläutern Hülser und Paeßens, sei es für die Schäfer schwierig, dass ihre Tiere genügend Futter finden, es stehen nur noch wenige, trockene Stängel. „Schafe sind die beste Medizin für die Deiche“, sagt Hülser. 700 Tiere hat der Schäfer, der diesen Rheinabschnitt beweiden lässt. Anders als Kühe, stärken Schafe beim Fressen die Graswurzeln und futtern sie somit unermüdlich zu einem festen, schützenden Mantel für den Damm.

Rheindeiche im Kreis Wesel: Schäfer fahren jetzt stundenlang Wasser zu ihren Herden

Hält die Trockenheit länger an, bekommt dieser Mantel bis zu 30 Zentimeter tiefe Risse. Auch damit werden Schafe gut fertig: „700 Tiere, jeweils vier Hufe – sie treten die Risse einfach zu und Maulwurfhügel gleich mit“, rechnet Hülser vor. Ihre Verdauung sorgt zudem für Düngung. Allerdings sollte es schon etwas zu futtern geben, und zu trinken: Linksrheinisch steht der Deich nahe am Strom, an vielen Stellen haben die Tiere Zugang zum Fluss. Anders auf der rechten Rheinseite. In der Zuständigkeit des Deichverbands Mehrum liegt der Damm deutlich weiter vom Rhein entfernt. Das verschafft dem Wasser Platz – und sorgt für ein Problem: „Die Schäfer tun derzeit kaum noch etwas anderes, als den ganzen Tage Wasser zu ihren Tieren zu fahren“, sagt Hülser.

Beim Thema Schaf sind die Deichgräfen schnell bei einem Reizthema: „Dass der Wolf an den Deich kommt, kann man nicht verhindern“, prophezeit Paeßgens, die Männer sind sich einig: Der Wolf vertreibe die Schäfer aus der Region. Finden die Hochwasserschützer keine Schäfer mehr, „dann haben wir ein ernstes Problem“ sagt Hülser. Schuld ist nicht allein der Wolf. Für die harte Arbeit der Schäfer mehr oder weniger rund um die Uhr gibt es lediglich das – derzeit spärliche – Futter, die Pacht entfällt. „Wir müssen für so viele sinnlose Dinge zig tausend Euro bezahlen, und für die Schäfer ist nichts übrig? Diesen Weg werden wir auf Dauer nicht durchhalten. Wir müssen in Zukunft Geld in die Hand nehmen“, fordert Paeßens.

Störfaktor Mensch am Rhein im Kreis Wesel – Erholungssuchende ohne Einsicht

Sommer am Niederrhein bedeutet auch: „Menschen sitzen am Rhein, laufen kreuz und quer, es entstehen regelrecht Pfade auf dem Deich“, nennt Paeßens ein weiteres Problem. Sie grillen, hinterlassen Dreck und Müll, haben Hunde. Davon abgesehen, dass Hunde die Schafe beunruhigen: „Der Kot ist eine Katastrophe für die Schafe“, erläutert Paeßgens. Er enthält Finnen, Würmer, die die Schafe krank machten. Doch jeder komme zum Deich und lasse seine Vierbeiner laufen. Anleinen, Kot aufnehmen – das ist die Ansage der Deichgräfen. Beide sind Landwirte, haben selbst Hunde. „Die Leute haben fast kein Verständnis dafür, 50 Prozent der Angesprochnen drohen mir Prügel an“ – Viktor Paeßgens ist sauer über soviel Ignoranz. Es sei ein wenig besser geworden, seit die RVR-Ranger hier die Leute ansprechen.