Die Investmentbank Lehman Brothers stand Monate vor ihrer Insolvenz auf wackeligen Beinen. Auch Hamburger Anleger wurden geprellt.
New York. Die US-Investmentbank Lehman Brothers stand schon Monate vor ihrer schicksalhaften Insolvenz auf wackeligen Beinen. Mit Bilanztricks kaschierte das Institut seine Probleme und führte so Anleger, Geschäftspartner und Aufsichtsbehörden in die Irre. Zu diesem Ergebnis kommt ein 2200 Seiten starker Untersuchungsbericht, den der zuständige Insolvenzrichter am späten Donnerstagabend in Manhattan freigab.
Der eigens eingesetzte Ermittler Anton Valukas kommt zu dem Schluss, dass die Investmentbanker mit geschickten Buchungen einen Teil der Risiken aus den Büchern verschwinden ließen. Nach außen hin präsentierte sich Lehman Brothers damit als gesundes Unternehmen. Intern brodelte es indes. Der damalige US-Finanzminister Henry Paulson warnte Bankchef Richard Fuld nach dem Bekanntwerden erster Milliardenverluste, dass das Überleben von Lehman Brothers auf dem Spiel stehe.
Die Pleite von Lehman Brothers im September 2008 gilt als Höhepunkt der Finanzkrise. Ab diesem Zeitpunkt verloren die Banken jegliches Vertrauen untereinander. Eine Kettenreaktion an Pleiten auf dem Finanzmarkt setzte ein. Nur das massive Eingreifen der Regierungen hielt die weltweiten Märkte notdürftig am Laufen. Die Zeche zahlen die Bürger bis heute.
Das Ergebnis der mehr als einjährigen Recherche von Rechtsanwalt Valukas wirft nicht nur ein schlechtes Licht auf die damalige Bankführung, sondern auch auf die Buchprüfer von Ernst & Young. Ihnen wirft der Ermittler vor, dass sie von den Bilanztricks gewusst, aber nichts unternommen hätten.
Lehman Brothers hatte den Großteil des eigenen Geldes in langfristige Anlagen gesteckt. Um für neue Geschäfte flüssig zu bleiben, nahm die Bank mit diesen Vermögenswerten als Sicherheit kurzfristige Kredite auf. Diese sogenannten Repo-Geschäfte sind ein normaler Vorgang in der Finanzwelt. Unter dem Codenamen „Repo 105“ pervertierten die Lehman-Banker das Verfahren jedoch: Sie gaben für die Kredite höhere Sicherheiten als sie üblicherweise hätten geben müssen. In den Büchern sah es durch diesen Trick nun so aus, als ob Lehman die Vermögenswerte verkauft hätte. Der Schuldenberg schrumpfte damit rein optisch um 50 Milliarden Dollar. Tatsächlich handelte es sich aber weiter nur um einen Kredit, den die Bank manchmal nur Tage später wieder zurückzahlen musste.
Selbst intern wurden Zweifel an dieser Praxis laut. In einer E- Mail bezeichnete ein hochrangiger Lehman-Manager das Ganze als „Augenwischerei“. Und der sogenannte Bilanzpapst des Unternehmens, Herbert McDade, räumte in einer anderen E-Mail ein: „Ich weiß sehr wohl, dass es nur eine andere Droge ist, auf der wir sind.“ Bankchef Fuld selbst bestreitet vehement, von der Praxis gewusst zu haben.
Für seinen Bericht sichtete Ermittler Valukas zusammen mit seinem Stab mehrere Millionen Dokumente und führte mehr als 100 Interviews, unter anderem mit dem aktuellen Finanzminister Timothy Geithner und Notenbank-Chef Ben Bernanke. Die Untersuchung habe aber keine direkten Konsequenzen. Sie dürfte vielmehr als Grundlage für anstehende Gerichtsverfahren um die Lehman-Pleite dienen.
Lehman Brothers hatte sich wie viele andere Finanzunternehmen mit kompliziert konstruierten Hypothekenpapieren verspekuliert. Bereits ein Jahr vor dem Zusammenbruch deuteten sich die Probleme auf den globalen Märkten an und wuchsen dann rapide. Die Banken fingen an, sich gegenseitig zu misstrauen. Am Ende, auch das stellte Valukas fest, verlangten unter anderem die Citigroup und JP Morgan von Lehman Brothers derart hohe Sicherheiten für neue Kredite, dass die Investmentbank kapitulieren musste. Ihr ging das Geld aus.
Lehman Brothers wurde im Eilverfahren zerschlagen. Das Kerngeschäft in Nordamerika sicherte sich die britische Barclays Bank zu einem Schnäppchenpreis. Sie macht damit heute wieder üppige Gewinne. Übrig blieben Zehntausende Geschädigte, darunter auch viele deutsche Kleinanleger.