Abendblatt-Interview mit dem Chef des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts, Professor Thomas Straubhaar.
Hamburg. Die Schuldenkrise in den USA und in der Europäischen Union wird immer bedrohlicher. In Washington einigen sich die oppositionellen Republikaner bislang nicht mit den Demokraten um Präsident Barack Obama auf eine Anhebung der Schuldengrenze. Spätestens vom 2. August an brauchen die USA neuen Spielraum über den bisherigen Schuldenstand von 14,3 Billionen Dollar hinaus, um zahlungsfähig zu bleiben. Nach der Rating-Agentur Moody's drohte am Freitag auch Standard & Poor's damit, die Bonität der USA herabzustufen. Das könnte das Zutrauen in die Zahlungsfähigkeit der größten Volkswirtschaft untergraben und deren Zinslast erhöhen.
In Europa richtet sich das Augenmerk der Finanzinvestoren nach Griechenland und Portugal nun auf Italien. Das Land will seine Schuldenlast mit einem Sparpaket im Volumen von bis zu 79 Milliarden Euro lindern. Im Falle Griechenlands wiederum könnte eine Umschuldung näher rücken - die Europäische Zentralbank (EZB) votiert aber bislang gegen eine solche Lösung.
Im Abendblatt-Interview erklärt Professor Thomas Straubhaar, Chef des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), was zur Stabilisierung des Euro-Raums getan werden kann und wie bedrohlich die Schuldenkrise der USA für die Weltwirtschaft ist.
Hamburger Abendblatt:
Herr Professor Straubhaar, in den vergangenen Tagen ist immer deutlicher geworden, dass die USA genau wie Europa in der Schuldenkrise stecken. Wer ist aus Ihrer Sicht schlechter dran?
Thomas Straubhaar :
Die USA und Europa stehen beide genauso schlecht da, aber die Diskussion läuft völlig anders. Denn die USA sind genauso groß und etwa genauso verschuldet wie Europa. Und in beiden Regionen gibt es einzelne Gliedstaaten, die komplett überschuldet sind. Kalifornien, Illinois oder Texas sind ähnlich pleite wie Griechenland. Doch niemand käme auf die Idee, den Zerfall des Dollar an die Wand zu malen. Wir in Europa reden jedoch von Euro-Krise, weil wir ein Problem haben, das es in den USA so nicht gibt: Uns fehlt die zentrale politische Autorität, die Maßnahmen gegen die Krise beschließen könnte.
Ist der Euro noch zu retten?
Straubhaar :
Ja, natürlich! Wenn man das wirklich will, wird es den Euro noch in 100 Jahren geben. Das ist einzig abhängig von politischen Entscheidungen.
Was müsste denn geschehen, um die Zweifel an der Zukunft des Euro verschwinden zu lassen?
Straubhaar :
Was wir derzeit erleben, ähnelt dem Rennen zwischen Hase und Igel. Man schnürt ein Hilfspaket oder gibt eine weitere Tranche von Stützungskrediten frei, am nächsten Tag gerät ein weiteres Land ins Gerede. Die Politik muss die Handlungshoheit zurückgewinnen. Nötig wäre dazu ein Rettungsschirm, der so groß ist, dass er auch Italien und Spanien noch abdecken könnte. Wenn glaubhaft garantiert werden könnte, dass kein Euro-Land insolvent wird, würde man der Spekulation schlagartig den Boden entziehen.
Wie groß müsste ein solcher Rettungsschirm denn sein?
Straubhaar :
Er müsste sicherlich ein Mehrfaches des bisherigen Volumens haben, im Grunde müsste er aber unbegrenzt groß sein.
Die Bundesregierung lehnt eine Ausweitung des Rettungsschirms strikt ab. Stattdessen setzt man darauf, dass hoch verschuldete Länder sich aus ihren Problemen innerhalb weniger Jahre quasi heraussparen. Kann das gelingen?
Straubhaar :
Das ist eine große politische Illusion. Es ist ausgeschlossen, dass ein Land wie Griechenland sich aus eigener Kraft aus den Schwierigkeiten befreien kann. Das ist nicht anders als bei einem Privathaushalt: Wenn jemand sich für ein Eigenheim verschuldet hat und dann arbeitslos wird, dann erdrückt ihn schon die Zinslast. Er muss aber immer höhere Zinsen zahlen, weil er ein immer schlechterer Schuldner wird - das ist ein Teufelskreis. Zum Glück gibt es dafür die Möglichkeit der Privatinsolvenz.
Das heißt, Griechenland braucht einen Schuldenerlass?
Straubhaar :
Man wird eine Umschuldung machen müssen, dazu gehört dann auch ein Schuldenschnitt, den man auch Schuldenerlass nennen kann. Europa hat es leider versäumt, schon vor Jahren Regeln für eine Staatsinsolvenz aufzustellen. Finanzielle Unterstützung muss es aber auch in einem solchen Fall weiter geben.
Wie lange müssten die Hilfskredite weiter fließen?
Straubhaar :
Es kann Jahrzehnte dauern, bis die strukturellen Mängel behoben sind. Man müsste den Beamtenapparat verschlanken, Steuern wirksam eintreiben und viele Staatsunternehmen privatisieren. Es gäbe aber langfristig eine realistische Chance, bei erneuerbaren Energien, Transport und Logistik oder in der maritimen Wirtschaft wettbewerbsfähiger zu werden und den Tourismussektor zu stärken.
Hätte man damit nicht die Transferunion zementiert?
Straubhaar :
Es kann keine gemeinsame Währung ohne eine Transferunion geben. Das ist eine Erfahrung, die man auch in den USA, der Schweiz oder Deutschland gemacht hat. In den USA hat man mehr als ein Jahrhundert lang geglaubt, ohne solche Transfers auszukommen, bis man sie doch einführte.
Was wäre aber, wenn sich etwa Griechenland nicht an die "Spielregeln" hielte und nicht hart genug daran arbeitete, als Gegenleistung für die Hilfen die Finanzen in den Griff zu bekommen?
Straubhaar :
Dann müsste man in der Tat die Daumenschrauben anziehen und dort zum Beispiel europäische Steuereintreiber einsetzen. Das kann so weit gehen, dass die Finanzautonomie völlig entfiele und das Land gewissermaßen unter eine Art Zwangsverwaltung gestellt würde. Auch das ist nicht anders als in existierenden Bundesstaaten. Aber für all dies gibt es eben bislang keine Regeln.
Können Sie Menschen verstehen, die meinen, im Hinblick auf die Währungsunion sei ein Ende mit Schrecken besser als ein Schrecken ohne Ende?
Straubhaar :
Angenommen, man würde in einer Kurzschlusshandlung Griechenland fallen lassen. Dann würden die Finanzmärkte erzwingen, dass innerhalb von Monaten Portugal und Irland den gleichen Weg gehen. Danach wären Spanien und Italien das nächste Angriffsziel. Wir bekämen dann eine schwere Wirtschaftskrise, die alles weit in den Schatten stellt, was eine Transferunion uns kosten könnte. Ein Ende der Währungsunion wäre mit Sicherheit die teuerste aller Alternativen.
Sie haben die Finanzmärkte angesprochen. Ist die Kritik der Politiker an den Rating-Agenturen berechtigt?
Straubhaar :
Klar ist: Die Rating-Agenturen haben die Schuldenkrise nicht verursacht. Sie gießen mit ihren Herabstufungen aber nun Öl ins Feuer und verschärfen die Krise. Darum sollte man auf ihr Urteil jetzt nicht hören. Die Europäische Zentralbank hat das völlig richtig erkannt.
Wer wird schneller aus der Staatsschuldenkrise herauskommen - Europa oder die USA?
Straubhaar :
In Europa ist die Diskussion sehr rückwärtsgewandt. Hier beschäftigt man sich etwa mit der Frage, ob man nicht zur D-Mark zurückkehren sollte. Man hat keine Perspektiven. US-Präsident Obama hat wenigstens eine Vorstellung davon, wie man das Problem anpacken sollte. Er will ein Gesundheitssystem schaffen, in dem alle Amerikaner eine faire Chance haben, im Krankheitsfall behandelt zu werden. Obama will ein großes Infrastrukturprogramm auflegen und er will in großem Stil Solarstrom in den Wüstenstaaten der USA erzeugen - ein Projekt, in das ich große Erwartungen setze.
Was würde aber geschehen, wenn China seine Drohung wahr macht und die Finanzierung der USA einstellt?
Straubhaar:
Das kann China gar nicht tun. Natürlich will man ein Signal setzen, dass man nicht tatenlos zusehen möchte, wie der Dollar in den Keller geht. Schließlich sitzt Peking auf billionenschweren Devisenreserven in Dollar, die dann an Wert verlören. Aber China ist genauso auf Amerika angewiesen wie Amerika auf China. Die Asiaten brauchen den riesigen amerikanischen Absatz-, aber auch Zulieferermarkt. Allerdings ist Peking sehr daran interessiert, dass der Euro als zweite Reservewährung immer wichtiger wird. Schon das müsste eigentlich alle Kritiker des Euro mundtot machen.