Euro-Finanzminister stemmen sich mit einer Erklärung gegen die Angst vor der Pleite eines weiteren Euro-Staates: Italien unter Zugzwang.
Brüssel. Die Angst vor dem Schuldenvirus greift um sich. Die Euro-Staaten wollen ein Übergreifen der Schuldenkrise auf andere Staaten wie Italien unter allen Umständen verhindern. In Brüssel berieten EU-Spitzenpolitiker am Montag über die Lage in dem drittgrößten Euro-Land, das doppelt so hoch verschuldet ist wie die EU erlaubt. Die Finanzminister der 17 Euro-Länder arbeiteten außerdem eine Erklärung aus, um die hoch nervösen Finanzmärkte ruhig zu stellen. Darin wollten sie dem Schuldensünder Griechenland rasch ein neues Hilfspaket von bis 120 Milliarden Euro zusagen, berichteten Diplomaten. Zugleich sollten Italien und andere hochverschuldete Länder aufgefordert werden, ihre Haushalte weiter in Ordnung zu bringen. Kanzlerin Angela Merkel drängte die Regierung von Silvio Berlusconi am Montag zu Fortschritten beim Sparen.
Das neue Aufflammen der Krise beschäftigt seit Tagen die Märkte, die fürchten, dass nun auch noch Italien – das drittgrößte Land in der Währungsunion – Hilfe benötigen könnte. Bislang erhalten bereits Griechenland, Irland und Portugal Unterstützung von den Europartnern und dem Internationalen Währungsfonds IWF. Die Sorgen um die Schuldenberge in Italien schickten den deutschen Leitindex Dax am Montag auf Talfahrt wie seit März nicht mehr. Die Börse in Mailand schloss mit einem Verlust von knapp vier Prozent.
Zehnjährige italienische Staatsanleihen verloren mehr als drei Prozent ihres Wertes, während Versicherungen gegen einen Zahlungsausfall so teuer waren wie nie zuvor. Auch Finanztitel bekamen dies zu spüren: Die Aktien von Italiens größter Bank UniCredit büßten mehr als sechs Prozent ihres Wertes ein, in Frankfurt stürzten die Titel der Commerzbank um fast neun Prozent und die der Deutschen Bank um mehr als drei Prozent. Der Euro fiel zeitweise unter die wichtige Marke von 1,40 Dollar.
Merkel fordert rasches Handeln
Merkel forderte Italien auf, schnell einen Sparhaushalt zu verabschieden. Dies wäre ein ganz wichtiges Signal, betonte sie. „Ich habe festes Vertrauen, dass Italien genau einen solchen Haushalt verabschieden wird.“ Sie habe am Sonntag mit Berlusconi telefoniert.
Der italienische Staat sitzt auf einem Schuldenberg von rund 120 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsproduktes – obwohl die EU die Obergrenze auf 60 Prozent festgelegt hat. Nur Griechenland ist mit 150 Prozent noch höher verschuldet. Sollte Italien wegen unbezahlbar hoher Zinsen vom Kapitalmarkt abgeschnitten werden, wären die Folgen weitaus gravierender als beim kleineren Griechenland. Der Euro-Rettungsschirm wäre mit einer faktischen Staatspleite dieser Größe überfordert.
Das niederländische EZB-Ratsmitglied Nout Wellink schlug deshalb jüngst vor, die Garantiesumme des Pakets auf 1,5 Billionen Euro zu verdoppeln. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erteilte solchen Ideen jedoch eine Absage. Dies seien Gerüchte, die mit der Realität nichts zu tun hätten. Sein Kabinettskollege Philipp Rösler äußerte sich ähnlich. Neue Rettungsmechanismen seien kein Thema, sagte der Wirtschaftsminister der Zeitung „Die Welt“.
Schäuble und sein niederländischer Amtskollege Jan Kees de Jager äußerten sich zuversichtlich, dass Italien sein Sparprogramm durchhalten werde. Er glaube nicht, dass das Land zum nächsten Problemfall werde, sagte Schäuble. „Und ich habe keinen Zweifel, dass Italien die richtigen Entscheidungen trifft.“ Das vom Kabinett verabschiedete Sparpaket über 40 Milliarden Euro muss noch durch das Parlament.
Details des Notplans umstritten
Die Details des neuen Griechenland-Notplans sind zwischen den Ländern nach wie vor umstritten, dazu zählt insbesondere die geplante Beteiligung von Banken und Versicherungen an den Kosten der Rettungsaktionen. Vor allem Deutschland, die Niederlande und Finnland verlangen, dass die Privatgläubiger einen „substanziellen Anteil“ an dem Paket stemmen. Doch die Ratingagenturen spielen nicht mit und wollen auch ein freiwilliges Mitziehen der Banken als einen teilweisen Zahlungsausfall bewerten – und das wollen die Europäer verhindern. Wegen der Meinungsverschiedenheiten dürften sich die Arbeiten bis Ende August oder Anfang September hinziehen, sagte de Jager. „Europa ist bereit, die Eurozone zu verteidigen“.
Zu einem Krisengespräch trafen sich bereits vor der Ministerrunde EU-Spitzenvertreter bei EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. Dabei ging es auch um Italien. „Wir haben unsere Meinungen über die jüngsten Entwicklungen in der Euro-Zone ausgetauscht“, sagte Van Rompuy nach dem Gespräch. Auch die Umsetzung des zweiten Hilfspakets für Athen sei besprochen worden. An der Sitzung nahmen EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, EU-Währungskommissar Olli Rehn, EZB-Präsident Jean-Claude Trichet und Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker. Van Rompuy führt die Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs.
Spekulationen über eine Aufstockung des laufenden Euro-Rettungsschirms wiesen mehrere Minister zurück. „Davon kann überhaupt keine Rede sein“, sagte Finanzminister Wolfgang Schäuble. Diese Gerüchte hätten mit der Realität nichts zu tun. Nach einem Bericht von „Welt Online“ hatte die Europäische Zentralbank (EZB) eine Verdopplung auf 1,5 Billionen Euro gefordert, weil ihrer Ansicht nach der bestehende Schirm als Schutzmauer um Italien nicht ausreiche.
Griechenland brachte derweil eine „Treuhandanstalt“ zum Verkauf seines Tafelsilbers an den Start. Der griechische Finanzminister Evangelos Venizelos Evangelos gab in Athen die Führung einer griechischen „Kasse zur Verwertung staatlichen Vermögens“ bekannt. Sie soll in den kommenden vier Jahren Staatsbesitz im Wert von 50 Milliarden Euro verkaufen.
Die Ressortchefs unterzeichneten in Brüssel auch den Vertrag zur Schaffung des neuen Krisenfonds für Euro-Wackelkandidaten (ESM). Er soll zum 1. Juli 2013 die derzeitige europäische Finanzfeuerwehr EFSF ablösen. Der Fonds wird eine Kapitalausstattung von 700 Milliarden Euro haben, von denen 80 Milliarden bar eingezahlt werden.
Rückkauf von Hellas-Bonds im Gespräch
Griechenland könnte mit Hilfe der Euro-Länder über ein umfangreiches Rückkaufprogramm von Staatsanleihen zu Dumpingpreisen geholfen werden. Diskutiert werde ein Konzept, dass der griechische Staat auf dem Sekundärmarkt Staatsanleihen zurücknimmt und dafür im Durchschnitt 50 Prozent des Nominalwertes zahlt, berichtete die „Financial Times Deutschland“. Das Geld für den Rückkauf der Bonds solle über den Euro-Schutzschirm EFSF kommen. Ein solcher Schritt würde eine Art Schuldenschnitt bedeuten. Der Zeitung zufolge wäre eine Mehrheit der Euro-Länder bereit, in diesem Zusammenhang auch zu akzeptieren, dass die Anleihen zeitweise als „teilweiser Zahlungsausfall“ eingestuft würden.
Die Euro-Finanzminister hatten bei ihrem jüngsten Treffen angesichts der drohenden Staatspleite Griechenlands auch eine Umschuldung nicht mehr, wie früher, ausgeschlossen. Die EU-Staats- und Regierungschefs werden wegen der Krise womöglich am Freitag zu einem Sondergipfel in Brüssel zusammentreffen. EU-Währungskommissar Olli Rehn sagte, die Krise sei jetzt systemisch, also auf die gesamte Euro-Zone übergeschwappt. Die gesamte europäische Wirtschaft sei in Gefahr. Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte erklärt, es müsse schnell etwas geschehen, um wieder Vertrauen an den Finanzmärkten zu schaffen. Die Schuldentragfähigkeit Griechenlands müsse wiederhergestellt werden.
Mit Material von dpa/reuters