Mehr als 13.000 Beschäftigte verlieren ihre Jobs. “Wir hatten so sehr gehofft, dass es vielleicht doch noch eine Zukunft für uns gibt.“
Hamburg/Berlin. Haldis Thierolf wirkt geschockt. "Das ist ein Tiefschlag", sagt die resolute, 57 Jahre alte Hamburger Betriebsratsvorsitzende von Schlecker und hält mühsam ihre Tränen zurück. "Wir hatten so sehr gehofft, dass es vielleicht doch noch eine Zukunft für uns gibt." Doch die Hoffnung ist verflogen. Gerade hat Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz den in Berlin tagenden Betriebsräten verkündet, dass die pleitegegangene Drogeriekette endgültig abgewickelt wird.
Damit werden nach monatelangem Ringen voraussichtlich rund 13.200 Mitarbeiter in Deutschland ihre Jobs verlieren. Auch die noch verbliebenen rund 100 Schlecker-Beschäftigten in den 30 Filialen der Hansestadt sind von der Entscheidung betroffen. Bis Ende Juni werden sie wohl ihre Kündigungen erhalten.
Zu ihnen zählen auch die zwei Mitarbeiterinnen eines Hamburger Markts, die kurz vor 13 Uhr per Fax vom endgültigen Aus für die Kette erfahren haben. "Dazu kann man eigentlich nicht viel sagen. Was denn auch? Das ist einfach ein richtiges Scheißgefühl", sagt eine der beiden, die ihren Namen nicht nennen will. Seit drei Jahren arbeitet sie in dieser Filiale, für Schlecker insgesamt seit 18 Jahren. Nie habe sie bei ihrer Arbeit schlechte Erfahrungen gemacht. "Das hier ist einfach mein Job!"
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Noch sind die Regale in dem Geschäft gefüllt, die Kunden gehen ein und aus und lassen sich von den beiden Frauen über Haarfärbemittel und Hautcremes beraten. Doch bald werden überall Rabatt- und Prozentzeichen an den Produkten kleben. "Ich glaube, dann werde ich das alles erst richtig verstehen. Noch ist bei mir gar nicht richtig angekommen, dass alles vorbei ist."
Bis zum Schluss hatten die Schlecker-Beschäftigten noch auf eine Rettung in letzter Sekunde vertraut. Doch der Milliardär und Karstadt-Eigner Nicolas Berggruen zog sein Gebot für die Drogeriekette bereits in der Nacht zum Freitag zurück. Abgeschreckt wurde der Investor sowohl von den rund 4500 Kündigungsschutzklagen bereits entlassener Mitarbeiter als auch von den anhaltenden Verlusten des taumelnden Unternehmens. "Diese beiden Probleme waren die K.-o.-Pille", sagte Insolvenzverwalter Geiwitz. Zudem habe Berggruen angesichts weiterer, harter Einschnitte beim Personal um sein Image in Deutschland gefürchtet.
Das letzte noch verbliebene Angebot des US-Finanzinvestors Cerberus soll preislich so inakzeptabel gewesen sein, dass es die am Freitagvormittag tagende Gläubigerversammlung rundheraus ablehnte und stattdessen für die Zerschlagung des Konzerns stimmte. "Ich bedaure diese Entscheidung im Hinblick auf die vielen, zum Teil langjährigen Schlecker-Mitarbeiter sehr, die jetzt ihren Arbeitsplatz verlieren", sagte Geiwitz. Er kündigte an, die Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Sozialplan kurzfristig aufzunehmen.
Der größte Schlecker-Gläubiger, der Hamburger Kreditversicherer Euler Hermes, bezeichnete das endgültige Aus für die Kette als alternativlos. "Man kann nur retten, wenn auch ein Retter da ist", sagte ein Sprecher des Unternehmens. Schlecker schuldet den Hamburgern, die Kredite von Lieferanten absicherten, noch rund 300 Millionen Euro. Auch ein Teilverzicht auf die noch ausstehenden Forderungen wäre aus Sicht von Euler Hermes kein gangbarer Weg gewesen, da die vorgelegten Konzepte nicht tragfähig gewesen seien.
Eine Zukunftsperspektive haben nun nur noch die Mitarbeiter der profitablen Schlecker-Auslandsgesellschaften, die rund 1100 Beschäftigten der besonders großen Schlecker-XL-Märkte sowie die etwa 3990 Mitarbeiter der Tochter IhrPlatz. Die beiden Letztgenannten sollen gemeinsam an einen Investor verkauft werden. Dabei dürfte es sich um den Münchner Investor Dubag handeln. Ein unterschriftsreifer Vertrag soll bereits vorliegen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte den von der Entlassung betroffenen Mitarbeitern Hilfe bei der Arbeitssuche zu. "Wir werden über die Bundesagentur für Arbeit und natürlich vor allem über die regionalen Arbeitsämter sicherlich alles daransetzen, dass die Beschäftigen die Chance bekommen, schnell wieder eine Arbeit zu bekommen." Eine Bereitschaft zu einem weitergehenden Engagement ließ sie allerdings nicht erkennen.
Die Gewerkschaft Ver.di forderte hingegen auf einer Demonstration vor dem Bundeskanzleramt in Berlin die Einrichtung eines Sonderfonds, um die Folgen des Schlecker-Untergangs für die Beschäftigten abzufedern. Ver.di-Chef Frank Bsirske machte vor allem die FDP für das Aus verantwortlich, da die Liberalen nach der ersten Entlassungswelle die Einrichtung einer Transfergesellschaft verhindert hätten. "Die Politik der maßlosen Arroganz darf nicht obsiegen", sagte Bsirske. "Wir dürfen uns nicht vorführen lassen von den Brüderles und Röslers dieser Welt."
In Hamburg forderte die Gewerkschaft auch die Konkurrenten von Schlecker auf, entlassene Mitarbeiter einzustellen. Ein erstes Angebot kam am Freitag von der Kette Budnikowsky, wo man sich die Übernahmen von bis zu 30 Schlecker-Beschäftigten vorstellen kann. 15 Mitarbeiter des Wettbewerbers hat Budni in den vergangenen Monaten bereits eingestellt.