Neben Brasilien gilt Europameister Spanien als großer WM-Favorit. Der Kader ist ausgeglichen besetzt und hat kaum Schwächen.

Madrid. Die «Rote Furie» ist auf den Geschmack gekommen: Anderthalb Jahre nach dem EM-Titelgewinn hat sich die spanische Fußball-Nationalmannschaft das Ziel WM-Sieg auf die Fahnen geschrieben. Am Selbstvertrauen sollte die Mission nicht scheitern, denn mit dem Triumph bei der EURO haben die Iberer das Etikett des ewigen Geheimfavoriten, der am Ende an sich selbst scheitert, abgelegt. Für viele Experten ist Spanien daher der Top-Kandidat auf den WM-Thron.

«Ich bin Champions-League-Sieger, habe den Weltpokal geholt und wurde Europameister. Aber dieser WM-Titel ist das Größte, den will ich haben», sagte Torhüter Iker Casillas und sprach damit aus, wovon 45 Millionen Spanier träumen. Die Zeiten, in denen übermächtige Profiklubs und die Rivalität der verschiedenen Regionen keine große Identifikation mit La Seleccion zuließen, sind vorbei. Zehn Siege in zehn Qualifikationsspielen haben das Nationalmannschafts-Fieber noch einmal gesteigert.

Allerdings liest sich die WM-Bilanz ernüchternd: Bislang kamen die Iberer bei elf ihrer zwölf Teilnahmen nicht über das Viertelfinale hinaus. Nur 1950 in Brasilien reichte es zu Platz vier - als Letzter der zweiten Gruppenphase. Bei der WM 2006 in Deutschland musste Spanien nach dem 1:3 im Achtelfinale gegen Frankreich die Heimreise antreten. Doch der EM-Titel hat gezeigt, dass Spanien nicht nur schön, sondern auch erfolgreich spielen kann. Statt des kauzigen Luis Aragones betreut jetzt der ausgeglichene Vicente del Bosque das Team, aber der Kader, die Spielidee und der Erfolg sind geblieben. Seit drei Jahren haben die Spanier nur ein Spiel (0:2 gegen die USA beim Confed-Cup) verloren.

Das schnelle Kurzpassspiel, in Spanien «Tiki-Taka» genannt, hat dem auf Geniestreiche von Einzelkönnern abzielenden «Samba-Fußball» der Brasilianer und dem spielzerstörenden «Catenaccio» der Italiener den Rang abgelaufen. «Von der gesamten Spielanlage sind die Spanier einen Tick besser. Spanien stellt derzeit die beste Mannschaft in der Welt», sagte Bundestrainer Joachim Löw.

Der Kader scheint keine Schwächen zu haben. Im Tor ist Casillas, der beim 2:1 gegen Argentinien jüngst sein 100. Länderspiel absolvierte, längst zu einem der besten Keeper der Welt gereift. Im Abwehrzentrum räumen Carles Puyol und Gerard Pique mit der Barmherzigkeit eines Schlachters alles ab. Die schnellen und trickreichen Sergio Ramos und Joan Capdevila verkörpern den modernen Außenverteidiger nahezu in Perfektion.

Das Prunkstück ist jedoch das Mittelfeld, in dem nicht einmal ein Ausnahmekönner wie Cesc Fabregas einen Stammplatz hat. Wenn Andres Iniesta, Xavi oder Xabi Alonso den Ball zirkulieren lassen, bleibt dem Gegner oft nur die Rolle des staunenden Zuschauers. Und ganz vorne verfügt das Team in Fernando Torres und EM-Torschützenkönig David Villa über einen Traum-Angriff, nach dem sich jeder Trainer der Welt die Finger leckt. Wo also liegt die Achillesferse dieser unverwundbar scheinenden Spanier? In der Bürde des Favoriten, glaubt zumindest Argentiniens Nationalcoach Diego Maradona: «WM-Favorit zu sein ist nicht immer gut, da bislang selten ein Favorit am Ende auch triumphiert hat.»