Die Abstimmung im Nordosten hat einige Trends bestätigt. Die SPD und Grüne sind weiter im Aufwind. Die CDU verliert und die FDP bricht ein.

Schwerin/Berlin. Nach der Landtagswahl in Mecklenburg- Vorpommern sehen SPD und Grüne rosige Perspektiven, während die FDP immer tiefer in die Krise gerät. Die FDP habe „kein Westerwelle- Problem, sondern ein Marken-Problem“, sagte FDP-Vorstandsmitglied Wolfgang Kubicki nach dem Absturz seiner Partei auf 2,7 Prozent der „Leipziger Volkszeitung“. Als Marke habe die FDP momentan „generell verschissen“. Umfragen zufolge droht den Liberalen in zwei Wochen bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ein ähnliches Debakel. Hier könnte die SPD mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit den nächsten Sieg einfahren.

Nach dem offiziellen vorläufigen Ergebnis legte die SPD von Ministerpräsident Erwin Sellering auf 35,7 Prozent zu (+5,5 Punkte). Die CDU landete bei nur 23,1 Prozent (-5,7) – und das, obwohl die Bundesvorsitzende Angela Merkel sich für ihren Landesverband im Wahlkampf massiv eingesetzt hatte. Auch die Linke konnte mit 18,4 ihr schwaches Ergebnis von 2006 nur wenig verbessern (+1,6). Die noch nie im Schweriner Landtag vertretenen Grünen sprangen auf 8,4 Prozent (+5). Die FDP stürzte auf 2,7 Prozent ab (-6,9). Die rechtsextreme NPD kam auf 6,0 Prozent (-1,3).

Abendblatt.de gibt einen Überblick, was für oder gegen eine rot-schwarze und eine rot-rote Koalition spricht:

Für ROT-SCHWARZ:

- Finanzen: Mecklenburg-Vorpommern macht seit Jahren keine neuen Schulden. Diesen Kurs wollen SPD und CDU konsequent fortsetzen.

- Arbeitsmarkt/Wirtschaft: SPD und CDU sind beide für eine konsequente Förderung der Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt. Gegen ROT-SCHWARZ:

- Arbeitsmarkt/Wirtschaft: Die CDU ist strikt gegen die Einführung eines Mindestlohns, während die SPD für staatliche Vorgaben von mindestens acht bis zehn Euro plädiert. Zudem schwächte die CDU ein von der SPD vorangetriebenes Vergabegesetz mit Standards für öffentliche Aufträge deutlich ab.

- Energiepolitik: Die SPD will das Tempo der Energiewende erhöhen, die CDU hält auch Kohle und Gas weiterhin für wichtige Energieträger.

- Bildung: Die SPD setzt sich für ein längeres gemeinsames Lernen bis Klasse acht und einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung ein. Die CDU widersetzt sich beim Thema Bildung allen weiteren Strukturveränderungen.

Für ROT-ROT:

- Arbeitsmarkt/Wirtschaft: SPD und Linke wollen beide die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns.

- Energiepolitik: Beide Parteien sind sich einig, dass das Tempo der Energiewende erhöht werden muss. Beide wollen sich konsequent für die Förderung erneuerbarer Energien einsetzen.

- Bildungspolitik: SPD und Linke wollen das gemeinsame Lernen um zwei Jahre verlängern.

- Bundesrat: Mit Blick auf eine mögliche künftige rot-grüne Bundesregierung könnte die Bundes-SPD ein Interesse an einem rot-roten Bündnis in Schwerin haben. Damit könnte der Einfluss über den Bundesrat gestärkt werden. Gegen ROT-ROT:

- Arbeitsmarkt: Die Linke hält staatliche Programme für Langzeitarbeitslose ohne Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt für unverzichtbar, die SPD will die Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt konsequent fördern.

- Finanzen: Die Linke ist gegen eine von der SPD befürwortete Schuldenbremse, weil sie damit die Handlungsspielräume des Parlaments zu stark eingeschränkt sieht. Zudem fordert die Linke deutlich mehr Geld für die Kommunen, unabhängig vom Steuereinkommen des Landes.

+++ Leitartikel: Dreifache Reifeprüfung +++

+++ Land der größten Kreise +++

Im neuen Schweriner Landtag stellt die SPD 28 Abgeordnete (zuletzt 22). Die CDU hat 18 (22) Sitze, die Linke 14 (13), die Grünen 6 (0) und NPD 5 (6). Die Wahlbeteiligung lag bei 51,4 Prozent – ein Negativrekord im Nordosten (2006: 59,1). Ein vorläufiges amtliches Endergebnis gibt es erst in zwei Wochen: Weil ein CDU-Direktkandidat gestorben ist, wurde die Wahl im Westen Rügens verschoben. ARD-Wahlforscher rechnen nicht mit größeren Auswirkungen.

Sellering "gutes Beispiel für solide Politik"

Sellering hat die Wahl zwischen einer Neuauflage der großen Koalition mit einer geschwächten CDU oder aber einem Bündnis mit der Linken. Am Rande eines Treffens mit der SPD-Spitze in Berlin sagte er am Montag, er wolle mit beiden Parteien sprechen. Dann müsse man sehen, mit wem Koalitionsgespräche geführt werden. Als Grund für das gute Abschneiden der SPD nannte er die solide und verantwortungsvolle Politik der letzten Jahre. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sah das Ergebnis als klaren Rückenwind für die SPD insgesamt und für die Berlin-Wahl in zwei Wochen.

Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, betonte im rbb-Inforadio, Sellering sei ein gutes Beispiel für solide Politik. „Erwin Sellering hatte das Vertrauen der Menschen für seine unaufgeregte Art, das Land zu regieren.“ Er habe in Mecklenburg-Vorpommern dafür gesorgt, dass keine neuen Schulden aufgenommen werden. „Gerade damit hat er sich wunderbar abgegrenzt zur chaotischen Politik der schwarz-gelben Bundesregierung.“

Vor einer Sitzung der CDU-Gremien in Berlin erklärte Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht das Ergebnis mit „landesspezifischen Gegebenheiten“. Hessens Regierungschef Volker Bouffier sagte, die CDU sei „unter Wert geschlagen worden“. Sie habe in der Regierung mit der SPD gute Arbeit geleistet.

Die Grünen werteten ihren Einzug in den Schweriner Landtag als Etappe zur Regierungsübernahme mit der SPD im Bund. Im Hinblick auf die Bundestagswahl 2013 sagte Parteichefin Claudia Roth: „Ich sehe da große Chancen für Rot-Grün oder Grün-Rot.“ Die Grünen sitzen nun in allen Landesparlamenten. „Deutschland ist ergrünt“, sagte Roth.

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe plädierte für eine Fortsetzung des rot-schwarzen Bündnisses in Schwerin. Linken-Chefin Gesine Lötzsch hingegen warb für Rot-Rot.

Besonders dramatisch ist die Lage bei der FDP. Auf die Frage, für welche Position denn der neue Parteichef Philipp Rösler stehe, sagte Kubicki: „Auf diese Frage kann ich keine vernünftige Antwort geben.“ FDP-Vizechefin Birgit Homburger sieht die Ursachen für das Debakel vor allem in der Bundespolitik und der Debatte um Außenminister Guido Westerwelle. „Ich bin der Meinung, dass diese Personaldiskussion, die da kurzfristig aufgekommen ist, der FDP geschadet hat“, sagte sie am Montag im Südwestrundfunk. Der FDP-Landesvorsitzende Christian Ahrendt, war noch am Wahlabend zurückgetreten.

Linke erneuern Forderung nach NPD-Verbot

Nach dem Wiedereinzug der NPD in den Schweriner Landtag hat die Linke abermals ein Verbot der rechtsextremen Partei gefordert. Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, sagte am Montag in Berlin: „Offenbar verfügt die NPD in diesem strukturschwachen Bundesland ebenso wie in Sachsen über eine weit über Protestwähler hinausgehende Stammwählerschaft.“ Jelpke forderte, die V-Leute des Verfassungsschutzes aus der Partei abzuziehen, um rechtliche Voraussetzungen für ein Verbot zu schaffen.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte Anfang August erklärt, dass er ein neues NPD-Verbotsverfahren ablehnt, weil dann die V-Leute des Verfassungsschutzes aus der Partei abgezogen werden müssten. An der Frage der V-Leute war das erste NPD-Verbotsverfahren im Jahr 2003 gescheitert. Die NPD erreichte bei der Landtagswahl am Sonntag in Mecklenburg-Vorpommern 6 Prozent und zog damit erneut in den Schweriner Landtag ein.

Die sieben Kreuzchen, die bei den Wahlen am Sonntag in Mecklenburg-Vorpommern zu setzen waren, haben die Wähler und die Wahlbehörden gleichermaßen herausgefordert. Die Ergebnisse lagen deutlich später vor als bei anderen Wahlen, gab Landeswahlleiterin Doris Petersen-Goes am Montag zu. „Genaue Erkenntnisse, warum das so war, habe ich noch nicht“, sagte sie am Montag der dpa in Schwerin. Möglicherweise lag es an der gleichzeitigen Wahl des Landtags sowie der Kreistage und Landräte der sechs neuen Großkreise. Nur die Städte Schwerin und Rostock sind kreisfrei. Zudem stimmten die Einwohner über die Namen der neuen Kreise ab.

Die Wahlbeteiligung erreichte mit 51,4 Prozent einen Tiefstand. Wären mehr als die Stimmzettel der rund 700 000 Wähler auszuwerten gewesen, hätte die Auszählung noch länger gedauert als bis etwa 02.00 Uhr bei der Landtagswahl und etwa 04.00 Uhr bei den Kommunalwahlen.

„Ich hatte den Eindruck, vier Stimmzettel sind zu viel, sie waren für manche nicht mehr zu durchschauen“, sagte Petersen-Goes. Dabei habe sich die Landeswahlleitung bemüht, vorab in den Medien über die Stimmabgabe zu informieren.

Wie aus Wahllokalen zu hören war, hatten viele Stimmberechtigte Schwierigkeiten beim Ausfüllen der vier Stimmzettel. Die Unsicherheiten schlugen sich bei der Auszählung nieder. Im Zweifelsfall mussten die Wahlvorstände über die Gültigkeit oder Ungültigkeit eines Stimmzettels entscheiden. In einigen Wahlbezirken mussten zudem noch die Briefwahl-Stimmen ausgezählt werden.

An Problemen bei der technischen Übermittlung der Daten lag die Verzögerung Petersen-Goes zufolge nicht. Auch habe es genügend Wahlhelfer gegeben, rund 15 000 waren im Einsatz. Die Wahllokale hätten die Ergebnisse per Fax an die Gemeindewahlbehörden übermittelt, die sie an die Erfassungszentren in den Kreisen weiterleiteten. Von dort gingen sie über ein eigenes Netz an das Rechenzentrum des Statistikamtes. Probleme habe es aber für die Internetnutzer durch die Überlastung des Servers gegeben. Die Schwierigkeit bestand am Montag weiter.

"Besondere Verantwortung" für Sellering

Landesregierung und Landtag haben nach Ansicht des Greifswalder Oberbürgermeisters Arthur König (CDU) eine besondere Verantwortung gegenüber dem neu gebildeten Landkreis Vorpommern-Greifswald. Der Kreis sei mit mehr als 100 Millionen Euro Schulden der problematischste Landkreis, sagte König am Montag. Zudem habe der Kreis mit neun Prozent den landesweit höchsten Anteil an NPD-Wählern. „Der Landkreis hat die höchste Verschuldung und die höchste Abwanderungsrate.“ Dies habe auch mit der geografischen Lage des Kreises zu tun. Landesregierung und Landtag müssten nun Ideen und Lösungsvorschläge einbringen.

Die finanziellen Probleme des Kreises könnten nicht allein über Kreisumlagen durch die Hansestadt Greifswald gelöst werden, sagte König. Eine besondere Verantwortung trage Ministerpräsident Erwin Sellering, der bei der Landtagswahl das Greifswalder Direktmandat gewonnen hatte. „Er hat seinen Wahlkreis hier. Er kennt die Region. Ich hoffe, dass er sich stark macht.“

Der am Sonntag neu gewählte Landtag Mecklenburg-Vorpommerns sollte nach einer Forderung des Beamtenbundes umgehend seine Verkleinerung in Angriff nehmen. „Es kann nicht sein, dass seit der Wende über 100 000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut wurden und auf der „Arbeitgeberseite“ - im Parlament - nichts passiert“, kritisierte der Landesvorsitzende der Beamten-Gewerkschaft, Dietmar Knecht, am Montag.

Die Zahl der Mandate solle in den nächsten fünf Jahren verringert werden. „Die Legislatur muss mit einem verkleinerten Landtag beendet werden“, forderte der Gewerkschafter. Seit 1994 hat der Landtag 71 Sitze, in den vier Jahren davor waren es 66. Eine Verkleinerung des Parlaments verlangt auch der Bund der Steuerzahler unter Hinweis auf die geringere und weiter sinkende Einwohnerzahl im Land. Der Präsident des Landesrechnungshofs, Tilmann Schweisfurth, hatte vor einem Jahr eine Reduzierung auf 50 bis 60 Abgeordnete vorgeschlagen.