Mecklenburg-Vorpommern wählt einen neuen Landtag, die Koalition bleibt wohl dieselbe: Erwin Sellering und Lorenz Caffier verstehen sich zu gut.
Berlin. Noch immer klingt jedes Wort, das Erwin Sellering spricht, ziemlich nach Westfalen, nach seinem Geburtsort Sprockhövel und nach den Jahren als Verwaltungsrichter in Gelsenkirchen. Den Wessi in seiner Sprache und Stimme wird der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern nicht mehr los. Sellering hat es nicht mehr nötig, sich zu verstellen. Gäbe es eine Direktwahl an diesem Sonntag, würden die Wähler im Nordosten dieses Landes den seit drei Jahren regierenden SPD-Mann locker mit zwei Dritteln Mehrheit wieder ins Amt hieven. Der Regierungschef kann sich vermutlich aussuchen, mit wem er in Zukunft regiert. Die SPD liegt in den Umfragen zwischen 34 und 37 Prozent klar vorn, die CDU folgt mit 27 bis 28 Prozent, die Linke steht bei 16 bis 19 Prozent.
Dass der Wahlkampf so einfach für Sellering werden sollte, hatte auch seine Partei vor drei Jahren noch nicht zu träumen gewagt. Sellering war 2008 schließlich noch ein Unbekannter, im Bund sowieso, aber auch im Land ohne Verankerung, als er die Nachfolge des leutseligen Harald Ringstorff antrat. 14 Jahre zuvor war Sellering noch als Parteiloser ans Verwaltungsgericht Greifswald gewechselt. Erst hier wurde er SPD-Mitglied, und von da an ging es bergauf: 1996 Vizepräsident des Verwaltungsgerichts, 1998 Abteilungsleiter in der Schweriner Staatskanzlei, 2000 Aufstieg zum Justizminister, 2003 Vize-Landesvorsitzender der SPD, 2006 Berufung zum Sozialminister, 2007 Wahl zum SPD-Landesvorsitzenden. Ein Jahr später war er am Ziel.
+++Sellering geht als Favorit in das Wahl-Wochenende+++
+++Der neue Landtag muss alte Probleme lösen+++
In der Bundespolitik gilt Sellering nach wie vor als weitgehend unbedeutend. In Talkshows tritt er so gut wie gar nicht auf, er hält sich mit stimmungsmachenden Forderungen zurück und ist in den großen überregionalen Debatten fast nie auf Konflikte aus. Die große Bühne überlässt er lieber seiner Sozialministerin Manuela Schwesig, die auch dank seiner Förderung SPD-Vizevorsitzende werden konnte. Und doch gab es ein Ereignis, mit dem Erwin Sellering, der Unauffällige, im vergangenen Jahr für Schlagzeilen sorgte: als der damals 60-Jährige seine 33 Jahre alte Freundin Britta Baum vor den Traualtar führte. Eine Nachricht, die sogar mehr Beachtung fand als Sellerings Forderung nach dem sofortigen Truppenabzug aus Afghanistan.
Im Wahlkampf setzte er auf die leisen Töne. Treffen mit Senioren, Bürgergespräche in Einkaufspassagen, Marktbesuche, ein Grußwort am Landeswandertag - der Ministerpräsident fühlt sich am wohlsten, wenn er ganz volksnah die ostdeutschen Seele streicheln kann. CDU-Herausforderer Lorenz Caffier will das genauso können, und eigentlich müsste es der Innenminister leichter haben als Sellering. Aber der aus Sachsen stammende und damit qua Herkunft deutlich besser mit der ostdeutschen Mentalität vertraute CDU-Landeschef kommt bei den Wählern nicht richtig an. Nur 17 Prozent würden den gelernten Diplom-Ingenieur für Forsttechnik direkt wählen. Dabei hat Caffier die Entwicklung des Bundeslandes so eng begleitet wie kaum ein zweiter Politiker. Seit 1990 sitzt der Pfarrerssohn im Schweriner Landtag.
Anderthalb Jahrzehnte lang blieb er auf dem Posten des parlamentarischen Geschäftsführers, bis er 2006 Innenminister wurde. 2009 übernahm er den CDU-Landesvorsitz.
Anders als bei Sellering sorgte Caffiers Wahlkampf für überregionale Schlagzeilen - wenn auch eher unfreiwillig. Mit dem Slogan "C wie Zukunft" zogen er und seine Partei reichlich Häme auf sich. Der Wahlkampf-Gag brachte ihm Aufmerksamkeit, nur nicht mehr Popularität. So gerieten die vergangenen Wochen zum Wahlkampf ohne Gegner. Direkte Angriffe zwischen Sellering und Caffier blieben aus. Die CDU, die mit der SPD in einer großen Koalition zusammenarbeitet, möchte auch nach dem 4. September in dieser Koalition regieren. Die SPD hat genauso wenig Interesse, den Regierungspartner zu vergraulen.
Sellering konnte es sich sogar im Fernsehduell am vergangenen Dienstag leisten, seinen Innenminister ausdrücklich zu loben und dessen Loyalität und Verlässlichkeit hervorzuheben. Und nach den Schwächen des Ministerpräsidenten gefragt, suchte Caffier bemerkenswert lange nach einer Eigenschaft, die Sellering nicht habe. Am Ende fiel ihm "Ausdauer" ein.
Fehlende Ausdauer, zumindest im Wahlkampf, konnte man Caffier zuletzt kaum vorwerfen. Gleich neunmal, wie er stolz betont, wird er bis zum Wahlkampfschlussspurt an diesem Sonnabend mit Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgetreten sein. Obwohl Merkel hier ihren Wahlkreis hat, fehlt dem CDU-Landesverband der Kanzlerinnen-Bonus. Die Bürger im Merkel-Land messen die Parteien allein an der regionalen Krisenbewältigung. Und Krisen gibt es hier genug. Mit nur 71 Menschen pro Quadratkilometer bietet kein anderes Bundesland so viel Platz für so wenig Bürger. Es müssen straffere Verwaltungsstrukturen her, an denen Caffier seit Jahren arbeitet. Die Kreisgebietsreform hat ihm als zuständigen Minister allerdings Feinde eingebracht.
Im Wahlkampf trat Caffier als Sachpolitiker auf, der lieber Themen als Emotionen anspricht. Arbeitsplätze schaffen, das Image als Billiglohnland loswerden, Abwanderung und Überalterung eindämmen, das sind seine Inhalte. Auch in Sellerings Wahlkampf spielten sie eine große Rolle. Nur der Regierungschef würzte sie noch mit der Forderung nach einem allgemeinen Mindestlohn. Es gebe inzwischen Arbeitgeber, die Mindestlöhne gut fänden, so Sellering. Caffier ist klar gegen den Mindestlohn. Doch mit Sellering darüber zu streiten, kommt für den loyalen Minister nicht infrage.
Selbst Sellerings größte Angriffsfläche - seine Weigerung, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen - löst bei Caffier seit jeher nicht den Hauch von Kritik am Regierungschef aus. Stets windet sich der CDU-Spitzenkandidat, wenn er auf den Unrechtsstaat angesprochen wird. Ein Rechtstaat sei die DDR nicht gewesen. Mehr traut er sich nicht zu sagen. Man könne bei diesem Thema nicht mit Ja oder Nein, Schwarz oder Weiß antworten, schiebt er entschuldigend hinterher.
Als Sellering wegen seiner Haltung zuletzt beim Mauerbau-Jubiläum in Bedrängnis geriet und vom Stasi-Unterlagenbeauftragten Roland Jahn zu hören bekam, er gebe den Ostversteher und biedere sich beim Wahlvolk an, schwieg Caffier bedächtig. Er hätte natürlich dem Ministerpräsidenten vorwerfen können, sich so das Koalitionstürchen zur Linkspartei offen zu halten. Er hätte Sellering unter Druck setzen können, in der Koalitionsfrage Farbe zu bekennen. Aber Angriff ist Caffiers Sache nicht.
In der Bundes-SPD gibt man sich entsprechend sorgenfrei. Es sei ja wohl klar, wer am Ende in Schwerin die Nase vorn habe. Nur ob man angesichts dieser Lage noch die eigenen Wähler mobilisiere, so Parteikreise, das sei jetzt die eigentliche Sorge. (abendblatt.de)