„Wir haben verschissen.“ Wolfgang Kubicki weiß nicht, wofür der FDP-Chef steht. Es gibt Planspiele, die Koalition in Berlin platzen zu lassen.
Hamburg/Schwerin. Da sitzt er – und muss Trost spenden: Der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler versuchte am Montag, den Mecklenburger Spitzenkandidaten Gino Leonhard in Berlin wieder aufzubauen. Doch die Lage ist mies. In den Ländern und im Bund gleichsam. Rösler, der gerade die 100-Tages-Frist als Nachfolger von Guido Westerwelle hinter sich gebracht hat, wird die Diskussion um den ehemaligen Vorsitzenden, das Pech und den Sinkflug der FDP nicht los. Im Bund würde es vermutlich gerade für den Wiedereinzug in den Bundestag reichen. Da krebst die FDP um fünf Prozent Zustimmung. Aus dem Landtag von Mecklenburg-Vorpommern sind Röslers Young Boys herausgeflogen. In Berlin bei der Abgeordnetenhauswahl am 18. September wird es eng. Und die größte Kritik kommt aus dem eigenen Lager – vor allem an Rösler selbst. Er ist im Urteil der Bürger zu einem der unbeliebtesten Politiker Deutschlands geworden.
Wolfgang Kubicki, Fraktionschef in Schleswig-Holstein, sagte in der „Leipziger Volkszeitung“: Die Meinung der Bürger sei eben, die FDP habe „generell verschissen“. Er sieht keine Perspektiven für die Liberalen.
Die FDP habe „kein Westerwelle-Problem, sondern ein Marken-Problem“, so Kubicki. Wer 14 Tage vor einer Landtagswahl eine Diskussion beginne „ohne Sinn und Verstand und damit dokumentiert, dass es vielen in der Partei nur um sich selbst geht und nicht um die gesellschaftliche Mitte, der muss sich dann nicht wundern über eine solche Blamage, bei der die FDP schwächer ist als Linke und Rechtsradikale“.
Auf die Frage, für welche Position denn der neue FDP-Chef Philipp Rösler stehe, sagte Kubicki: „Auf diese Frage kann ich keine vernünftige Antwort geben.“ Bei der Wahl im Nordosten war die FDP zum vierten Mal in diesem Jahr aus einem Landesparlament geflogen. In Schleswig-Holstein wird im Mai kommenden Jahres ein neuer Landtag gewählt.
Der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, Lasse Becker, hat das schlechte Abschneiden der FDP in Mecklenburg-Vorpommern auch auf ein Versagen der schwarz-gelben Koalition zurückgeführt. Die Bundesregierung habe in den vergangenen Jahren „zu wenig konkret geliefert“ und sei nicht die Probleme der Menschen angegangen, sagte er im ZDF-„Morgenmagazin“. Auch die Personaldebatte sei nicht hilfreich gewesen. Becker forderte seine Partei auf, sich nicht weiter nur auf das Thema Steuersenkung zu konzentrieren. Der Schutz der Bürgerrechte, die Eurorettung und soziale Aufstiegschancen seien ebenfalls wichtige Themen der Liberalen, sagte er.
Generalsekretär Christian Lindner sagte beim traditionellen Gillamoos-Volksfest im niederbayerischen Abensberg, die Liberalen dürften sich jetzt nicht „wegducken“. Vielmehr gelte das Motto: „Steh auf, wenn du ein Liberaler ist.“ Lindner attackierte zugleich SPD und Grüne wegen deren Haltung in der Europapolitik. Er mahnte, es dürfe keine Transferunion geben.
Am Sonntagabend auf der Wahlparty im Berliner Dehler-Haus konnte man eindeutige, noch anonyme Kommentare einfangen: „Intrigantenstadl“, „dumm“, „selber schuld“. Die Demontage des einstigen Chefs und 2009-Rekordsiegers Westerwelle kommt nicht gut an. „Wer wählt eine Partei, die so mies mit den eigenen Leuten umgeht?“, meinte ein Vorstandsmitglied. Westerwelle hatte zunächst den erfolgreichen Nato-Einsatz beim Sturz des Gaddafi-Regimes in Libyen stur ignoriert. Rösler griff nachvollziehbar durch, zollte den Alliierten Respekt und Dank. Westerwelle musste nachziehen. Das hätte der Schlusspunkt sein können.
Aber Rösler machte weiter. „Minister auf Bewährung“ und „positives Potenzial“ lauteten zweideutige Aussagen des Vizekanzlers über Westerwelle in Interviews. Die Vermutung liegt nahe, dass Rösler wohl Führungsstärke zeigen wollte und der Außenminister als „Sündenbock“ zum Rücktritt gedrängt werden sollte. Westerwelle aber kämpfte und bekam auf der Fraktionsklausur in der vergangenen Woche Rückendeckung, unter anderem vom mächtigen NRW-FDP-Chef Daniel Bahr. Ein möglicher Westerwelle-Sturz auf Schloss Bensberg wurde dem Vernehmen nach abgeblasen – könnte aber bald wieder auf die Tagesordnung rücken, wenn der Druck auf Rösler intern zu groß wird.
Bei seiner Wahl Anfang Mai hatte der 38-Jährige Aufsteiger seinen Leuten versprochen, dass „ab heute“ die FDP wieder liefern wolle. Einzelne FDP-Leute sollen schon das Szenario durchgespielt haben, die Koalition mit der Union in der Euro-Schuldenkrise platzen zu lassen. Bei Neuwahlen, so das Kalkül, könnte die FDP dann als „Protest-und-Steuerzahler-Partei“ klar über fünf Prozent kommen. (abendblatt.de/dapd/dpa)