1,4 Millionen Menschen bei den Landtagswahlen am Sonntag stimmberechtigt. 14.000 falsche Stimmzettel aufgetaucht. Kandidaten im Portrait.

Schwerin. Zwei Tage vor der Wahl in Mecklenburg- Vorpommern hat Landeswahlleiterin Doris Petersen-Goes die rund 1,4 Millionen Stimmberechtigten zum Urnengang aufgerufen. „Gehen Sie wählen, verzichten Sie nicht auf Ihr gutes Recht“, sagte Petersen- Goes am Freitag in Schwerin. Wer aus „Protest“ nicht wählen gehe, gebe sein Recht aus der Hand. Nicht abgegebene Stimmen verstärkten nur das Gewicht der anderen Stimmen, erklärte die Wahlleiterin und unterstrich: „Nur wenn Sie selber wählen, nehmen Sie Einfluss auf das Wahlergebnis und auf die Entwicklung in unserem Land.“ Wahlen seien die lebensnotwendigen Grundpfeiler des demokratischen Gemeinwesens. Am Sonntag werden im Nordosten ein neuer Landtag sowie die Kreistage und Landräte in den sechs neuen Landkreisen gewählt.

Im Wahlkampf-Schlussspurt hat die Linke in Jamel bei Wismar ein Zeichen gegen Rechts gesetzt. Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi und Spitzenkandidat Helmut Holter suchten am Freitag in der Gemeinde das Gespräch mit Einwohnern. In dem 37-Seelen-Dorf wird etwa die Hälfte der Bewohner dem rechtsextremistischen Spektrum zugerechnet. „Die Gesellschaft darf Jugendliche und Kinder nicht fallen lassen, sondern muss in mehr Bildung investieren“, forderte Gysi. Die NPD will nach ihrem Wahlerfolg von 2006 am Sonntag erneut in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern einziehen.

Unterdessen sind für die Stadt und den Amtsbereich Bützow 14.000 Stimmzettel für die Landtagswahl falsch bedruckt worden. Wie aus einem Bericht der „Schweriner Volkszeitung“ hervorgeht, war auf ihnen der Wohnort eines Direktkandidaten falsch angegeben. Klein Upahl sei mit Groß Upahl verwechselt worden. „Der Fehler ist uns bereits vor zwei Wochen aufgefallen. Wir haben mittlerweile neue Stimmzettel bestellt“, bestätigte Gemeindewahleiterin Gabriele Behning den Lapsus. „Am Sonntag werden die richtigen Stimmzettel da sein.“

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Die fehlerhaften Zettel seien allerdings eine Woche lang an Briefwähler verschickt worden, ehe der Fehler auffiel. Laut Landeswahlleitung sind diese Stimmen dennoch gültig. Die Zettel seien bis auf die falsche Adresse identisch mit den richtigen Unterlagen, sagte eine Sprecherin.

Auch die fehlende Barrierefreiheit vieler Wahllokale in Mecklenburg-Vorpommern hat bei der oppositionellen Linksfraktion im Landtag für Empörung gesorgt. „Bereits anlässlich der Europa-, Bundestags- und Kommunalwahlen 2009 habe ich auf diesen unhaltbaren Zustand hingewiesen“, erklärte die behindertenpolitische Sprecherin der Fraktion, Irene Müller, am Freitag in Schwerin. „Aber die Landesregierung hat nichts unternommen, um den demokratischen Anspruch und das verfassungsmäßige Recht auf die Teilnahme an Wahlen im Land endlich auch für alle Menschen mit Behinderungen umzusetzen.“ Verweise der Landesregierung auf die Zuständigkeit der Kommunen für die Auswahl der Wahllokale reichten nicht aus.

Vielerorts im Land sind Wahllokale für Rollstuhlfahrer und stark Gehbehinderte nicht oder nur sehr schwer erreichbar. So sind in Schwerin lediglich 56 der 73 Wahllokale barrierefrei, im Landkreis Demmin rund zwei Drittel. Behinderten wird in der Regel empfohlen, auf die Briefwahl auszuweichen. Das kritisierte der Vorsitzende des Allgemeinen Behindertenverbandes Mecklenburg-Vorpommern, Peter Braun. „Menschen mit Behinderung wollen wahrgenommen werden“, sagte er. „Wir fordern Teilhabe an der Gesellschaft, also müssen wir auch am Wahlsonntag wählen gehen können.“ (dpa/abendblatt.de)

Zur Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern an diesem Sonntag schicken 16 Parteien und Wählervereinigungen Kandidaten ins Rennen um die 71 Landtagsmandate. Die Spitzenkandidaten der größeren Parteien im Kurzportrait:

Erwin Sellering (SPD)

Als parteipolitischer Spätstarter hat Erwin Sellering (61) zügig Karriere gemacht, die ihn 2008 bis in das Amt des Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern führte. Der 1949 in Sprockhövel bei Bochum geborene Jurist trat erst 1994 – nach seinem Wechsel als Richter von Gelsenkirchen nach Greifswald – in die SPD ein. Zwei Jahre später wurde er in den Landesvorstand gewählt, 2007 zum Landesvorsitzenden. Sellering, der vor seiner Wahl zum Regierungschef schon Justiz- und Sozialminister war, gilt als Pragmatiker. Er führt seit knapp drei Jahren die von seinem Vorgänger Harald Ringstorff gebildete SPD/CDU-Regierung, hält sich aber auch eine Neuauflage von Rot-Rot offen. Wichtig sind ihm solide Finanzen, die Energiewende sieht er als große Chance für das Land. Sellering ist in zweiter Ehe verheiratet und Vater zweier erwachsener Töchter.

Lorenz Caffier (CDU)

Der politische Umbruch 1989 hat den Pastorensohn und Diplom- Landtechniker Lorenz Caffier (56) in die Politik gespült. Er gehörte für die DDR-CDU noch kurz der frei gewählten Volkskammer an und zählt zu den wenigen Politiker, die schon seit 1990 im Landtag sitzen. Bevor er 2006 zum Innenminister berufen wurde, war er 16 Jahre lang Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion. Als Schatzmeister und später als Generalsekretär war er emsiger Parteiarbeiter, ehe ihn die Landes-CDU 2009 zum Vorsitzenden und damit zu ihrem Hoffnungsträger wählte. Seit 1994 wartet die Union im Nordosten bei Landtagswahlen auf einen Sieg. Die Verantwortung für die umstrittene Kreisreform und eine eher verunglückte Plakatkampagne zum Wahlkampfauftakt machen es aber auch für Caffier schwer. Der gebürtige Dresdner lebt seit vielen Jahren in Neustrelitz, er ist verheiratet und hat vier Kinder.

Helmut Holter (Linke)

Helmut Holter (58) gilt das Aushängeschild der Linken Mecklenburg-Vorpommerns und soll sie zurück in die Regierungsverantwortung führen. Der in Moskau geschulte ehemalige Mitarbeiter der SED-Bezirksleitung Neubrandenburg hatte die Nachfolgepartei PDS regierungsfähig gemacht. 1998 wurde in Schwerin die bundesweit erste rot-rote Landesregierung gebildet. Acht Jahre lang war Holter Arbeitsminister, bei Gewerkschaften wie Arbeitgebern geachtet. Für seinen Kurs hat er in der Landespartei heute breite Rückendeckung, Kritiker wurden an den Rand gedrängt. Holter gilt als Pragmatiker, der zu radikalen Forderungen aus der Bundespartei auf Distanz bleibt, und damit weiter potenzieller Partner für die SPD ist. Mit ihr strebt er einen „Politikwechsel“ an. Der studierte Betonbauingenieur stammt aus Ludwigslust, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Gino Leonhard (FDP)

In der krisengeschüttelten FDP fällt Gino Leonhard (38) die Herkulesaufgabe zu, die Liberalen bei der Landtagswahl über die Fünf-Prozent-Hürde zu hieven. Von ihrem Spitzenergebnis 2006, als die FDP mit 9,6 Prozent eine glanzvolle Rückkehr ins Parlament feierte, scheint die Partei weit entfernt. Der frühere Schiffsmechaniker muss dabei nicht nur gegen das derzeit schlechte Image der FDP ankämpfen, er ist den Wählern auch weitgehend unbekannt. Zwar machte Leonhard schon mit 24 als Bürgermeister auf Hiddensee erste politische Erfahrungen, als Landtagsabgeordneter aber blieb er blass. Nur weil die zerstrittene Landes-FDP dem bisherigen Fraktionschef Michael Roolf die Zustimmung versagte, rückte er von Platz zwei auf den Spitzenplatz der Landesliste vor. Leonhard ist verheiratet und hat eine Tochter. Er lebt auf Rügen, wo er auch geboren wurde.

Silke Gajek/Jürgen Suhr (Grüne)

Die Grünen treten traditionell mit einer Doppelspitze zur Wahl an. Silke Gajek (49) steht dabei in der Tradition der DDR-Bürgerrechtler und Pazifisten. Jürgen Suhr (51), in jungen Jahren Mitglied der FDP, ist im Westen groß geworden und eher den pragmatischen Öko-Intellektuellen zuzuordnen. Beide wollen schaffen, was all ihren Vorgängern misslang: die Grünen auch in Mecklenburg- Vorpommern in den Landtag zu bringen. Doch auf den Sog der Bundespartei wollen sich die Nordost-Grünen nicht verlassen. Als Geschäftsführerin einer Selbsthilfekontaktstelle bringt Gajek vor allem soziale Fragen in die Debatte. Suhr fordert mehr Tempo beim Umsatteln auf erneuerbare Energiequellen wie Wind und Sonne und profiliert sich als Kritiker des Atommüll-Zwischenlagers Lubmin bei Greifswald. Die Schwerinerin Gajek ist verheiratet und hat einen Sohn. Suhr lebt mit Frau und drei Kindern in Stralsund.

Udo Pastörs (NPD)

Udo Pastörs (58) beherrscht die Inszenierung und die Klaviatur des Tonfalls: Im Gespräch mit dem Bürger gibt sich der gelernte Uhrmacher und frühere Goldhändler weltgewandt und verständnisvoll, seine rechte Ideologie geschickt verpackt. Vor Gesinnungsgenossen werden die Worte lauter und deutlicher. Ein Auftritt im Saarland brachte dem am Niederrhein geborenen und seit gut zehn Jahren mit seiner Frau im westmecklenburgischen Lübtheen lebenden Rechtsextremisten eine Bewährungsstrafe wegen Volksverhetzung ein. Für Attacken gegen die parlamentarische Demokratie und Verbalangriffe gegen Ausländer oder die europäische Nachkriegsordnung erhielt der frühere Zeitsoldat im Landtag die mit Abstand meisten Ordnungsrufe. Wie 2006 will Pastörs die rechtsextreme NPD erneut in den Landtag führen, rechte Kameradschaften sollen dabei helfen.