Nach dem Insolvenzantrag prüft nun ein Verwalter, ob der Betrieb eingeschränkt weitergehen kann. Verbraucher steigen unterdessen auf “Bio“ um.
Kiel. Nach dem Insolvenzantrag des in den Dioxin-Skandal verwickelten Futterfett-Herstellers Harles und Jentzsch aus Uetersen prüft der vorläufiger Verwalter, ob der Betrieb eingeschränkt weitergehen kann. Es werde untersucht, ob der Bereich der Nicht-Futterfette unter Aufsicht des Hamburger Rechtsanwalts Heiko Fialski fortgeführt werden könne, sagte ein Sprecher des Insolvenzrechtlers am Donnerstag. Hierdurch könnten gegebenenfalls die Interessen der betroffenen Gläubiger und Arbeitnehmer des Unternehmens besser gewahrt werden als bei einer sofortigen Betriebsstilllegung, hieß es.
Unterdessen stellt sich Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsministerin Juliane Rumpf (CDU) heute persönlich verunsicherten Verbrauchern: Sie wird am Telefon der Verbraucherzentrale Fragen beantworten. Zu den ungeklärten Fragen gehört beispielsweise, ob in Deutschland das Fleisch von rund 150 mit dioxinverseuchtem Futter gemästeten Schweinen in den Handel gelangte. Das niedersächsische Agrarministerium prüft dies.
Für Schleswig-Holstein hat das Landwirtschaftsministerium nach bisherigem Stand ausgeschlossen, dass mit Dioxin belastetes Schweinefleisch in den Handel kam. Die Staatsanwaltschaft setzt indes ihre Ermittlungen gegen Harles und Jentzsch fort. Zuletzt hatten sich Hinweise darauf verdichtet, dass bei der Produktion vorsätzlich und systematisch gepanscht worden sein könnte. Die Firma steht nicht nur im Verdacht, gegen das Lebens- und Futtermittelrecht verstoßen zu haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt auch wegen des Verdachts auf Betrug und Verstoß gegen die Abgabenordnung.
Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) hält ein kriminelles Vorgehen für wahrscheinlich. Für die Landtagsfraktionen von CDU und FDP machten Erläuterungen der Kieler Ressortchefin Rumpf vor dem Umwelt- und Agrarausschuss deutlich, „welche kriminelle Energie“ hinter dem Vorgehen von Harles und Jentzsch stehe. Das Ministerium in Kiel hatte die Firma offen für den Dioxin-Skandal verantwortlich gemacht. So habe das Unternehmen viel zu spät und „unter Missachtung geltenden Rechts“ die Behörden über problematische Analyse-Ergebnisse informiert.
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Ist „Bio“ die sichere Alternative?
Eier und Schweinefleisch mit Dioxin, das will niemand auf dem Teller haben. Viele greifen deshalb lieber zu vermeintlich sicheren Bio-Produkten. Im derzeitigen Skandal steht „Bio“ zwar tatsächlich für „Reinheit“, weil die verseuchten Futtermittel im ökologischen Landbau gar nicht benutzt werden dürfen. Doch prinzipiell ausgeschlossen ist eine Belastung auch bei Bio-Produkten nicht. Gegen kriminelle Energie sei kein System gefeit, betonen die Verbände unisono.
„Aber man kann bei „Bio“ sagen, dass die Kontrollen besser sind und man schneller auf Probleme stößt“, erläutert der Lebensmittelsicherheitsexperte der Umweltschutzorganisation Greenpeace, Manfred Santen. „Und die Messlatte liegt von den Anforderungen her wesentlich höher.“
Auch Gerald Herrmann vom Münchner Beratungsunternehmen Organic Services unterstreicht: „Es gibt keinen Bereich der Lebensmittelwirtschaft, der solch rigiden Kontrollverfahren unterliegt wie der Öko-Bereich.“ Dies beziehe die komplette Produktionskette ein, vom Zukauf von Futtermitteln bis zur verpackten Ware.
Zwar gibt es inzwischen nicht mehr nur die ideologisch eingeschworenen Bio-Bauern und -Händler der ersten Stunde, sondern auch bundesweit agierende Ketten. Doch ist allen der Grundgedanke gemeinsam, dass Wirtschaften im Einklang mit der Natur stattfinden müsse. „Es wird viel gemacht, weil jeder davon abhängt, dass die Glaubwürdigkeit des Ökolandbaus erhalten bleibt“, sagt Herrmann.
Schließlich sägt keiner gerne an dem Ast, auf dem er sitzt – erst recht nicht, wenn er so reiche Früchte trägt. Denn trotz einer beginnenden Konsolidierung des Marktes legt die Bio-Branche weiter zu. Um rund fünf Prozent stieg der Umsatz im vergangenen Jahr nach ersten Schätzungen, 2011 soll es weiter aufwärtsgehen.
Mit dem rasanten Wachstum, das bis 2009 über lange Zeit hinweg zuverlässig zweistellig war, kommen aber auch Gefahren. „Je größer die Branche wird, desto mehr schwarze Schafe gibt es“, schildert Santen nüchtern.
Auch Herrmann, der Bio-Unternehmen und Regierungen etwa zu ihren Export-Chancen berät, sagt mit Blick auf die zunehmende Zahl der Produktionsländer: „Dort, wo der Ökolandbau noch jung ist, sind die Gefahren größer.“ Doch würden diese Kinderkrankheiten schnell behandelt und auskuriert, weil die wenigen belasteten Produkte durch die engmaschigen Kontrollen rasch auffielen.
Und wenn doch einmal etwas schiefgeht – so wie im vergangenen Jahr, als auch in Bio-Eiern Dioxin gefunden wurde – sind die Auswirkungen auf die Konsumenten geringer, weil die Strukturen in der Bio-Branche wesentlich kleinräumiger sind. „Zentralisierte Produktionsformen sind immer anfälliger. Wenn an einer Stelle, wie hier am Eingang, etwas schiefläuft, verteilt sich das auf alle“, erklärt Greenpeace-Fachmann Santen den Unterschied.
„In einer so durchschlagenden Weise würde das bei uns wohl nicht passieren“, bekräftigt auch der Vorsitzende des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft, Felix Prinz zu Löwenstein. Ihm tun vor allem die Kollegen leid, die wegen der kontaminierten Futtermittel nun in existenzielle Nöte gerieten.
Auch wenn der Umsatz von Bio-Eiern um bis zu einem Drittel in die Höhe geschnellt ist, wird die Branche langfristig wohl nicht von den Dioxin-Funden profitieren. Die Erfahrung lehre, dass die Menschen nach Lebensmittelskandalen bereits nach wenigen Wochen zu ihrem alten Einkaufsverhalten zurückkehrten. „Der Verbraucher vergisst schnell.“