Deutschland braucht eine Agrarwende, keinen Aktionismus.
Es ist ein Drama der Hilflosigkeit und Inkompetenz, das Behörden und Politiker im aktuellen Dioxin-Skandal aufführen. Da behauptet ein niedersächsischer Staatssekretär im Brustton der Überzeugung, dass belastetes Schweinefleisch unter keinen Umständen in den Handel gelangt sein kann. Nur wenige Stunden später rudert das eigene Landwirtschaftsministerium zurück und teilt mit, dass das Fleisch doch an Supermärkte geliefert worden sein könnte.
Eine kaum bessere Figur gibt derzeit die Bundesagrarministerin Ilse Aigner ab. Tagelang verfügte die Behörde der CSU-Politikerin nur über bruchstückhafte Informationen zum Ausmaß des Skandals. Ein Versagen der Kontrollen konnte und wollte die Ministerin in der vergangenen Woche nicht erkennen. Und das, obwohl der mutmaßliche Verursacher der Dioxin-Verseuchung, die Uetersener Firma Harles und Jentzsch, im vergangenen Jahr genau einmal von staatlichen Prüfern aufgesucht wurde. Gefunden hatten sie bei ihrem turnusmäßigen Besuch nichts.
Nun kündigt Aigner eine Verschärfung der Zulassungsbedingungen für Futtermittelbetriebe an, ein "Dioxin-Monitoring" und härtere Strafen für Betrüger. Das aber ist kaum mehr als Aktionismus angesichts einer industrialisierten und arbeitsteilig organisierten Landwirtschaft, deren weltweite Lieferketten kaum noch zu überschauen sind.
Die wirkliche Lehre aus dem Dioxin-Skandal müsste eine Agrarwende nach dem Vorbild der ökologischen Landwirtschaft sein. Weg von der Massentierhaltung, weg von Futtermitteln, die sich aus den stinkenden Abfällen der Industrie zusammensetzen. Hin zu überschaubaren Betrieben mit artgerechter Tierhaltung und regionalen Kreisläufen, in denen sich Bauern und Händler noch persönlich kennen und langfristige Lieferbeziehungen pflegen.
Eine solche Agrarwende würde aber bedeuten, dass sich die Ministerin mit dem mächtigen Bauernverband und der Lebensmittelindustrie anlegen müsste. Dazu aber ist die CSU-Politikerin im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin Renate Künast (Grüne) nicht bereit. Aigner hat sich bislang eher als Agrarministerin verstanden, die die Interessen der großen Landwirte vertritt. Es wird Zeit, dass sie sich als Verbraucherministerin endlich um die Belange der Kunden kümmert, die sich sichere Lebensmittel wünschen.