Neurowissenschaft: Hören, Verstehen, Reden - auch für ganz alltägliche Gespräche vollbringt unser Gehirn Höchstleistungen.
Babys können nur durch Mimik, Gestik und Laute zeigen, was sie bewegt. Doch um zu vermitteln, was genau in jedem von uns vorgeht, um Zusammenhänge zu begreifen und zu erklären, brauchen wir die Sprache. Und während wir zuhören, im Geiste Worte formulieren und dann aussprechen, wirken im Gehirn Netzwerke in unterschiedlichen Hirnregionen zusammen.
Mit der funktionellen Magnetresonanztomographie können Neurowissenschaftler genau darstellen, in welchen Bereichen des Gehirns Sprache lokalisiert ist. "Das Sprachsystem befindet sich vorwiegend in der bei Rechtshändern dominanten linken Hirnhälfte, zum Teil auch in der rechten", erklärt PH. D. Annette Baumgärtner, Logopädin und Neurolinguistin im Institut für Systemische Neurowissenschaften am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE).
Bei einem Gespräch werden zunächst die Worte des Gegenübers übers Ohr aufgenommen, in Signale umgewandelt und in die beiden Schläfenlappen des Gehirns geleitet. "Über den primär akustischen Cortex hört man, was der andere sagt. Im Schläfenlappen wird Sprache erkannt, einzelne Sprachlaute werden zu Wörtern zusammengesetzt. Beim Hören sind beide Hirnhälften beteiligt, aber wenn das Gehirn beginnt zu erkennen, daß es sich um Sprache handelt und nicht um Vogelgezwitscher, beginnt die linke Hirnhälfte mehr zu arbeiten als die rechte", so Baumgärtner.
Im nächsten Schritt muß das Gehirn die inhaltliche Bedeutung der gehörten Wörter erkennen. Dafür ist das Wernicke-Sprachzentrum im linken Schläfenlappen zuständig. Es springt besonders dann an, wenn die Sprache bekannt ist. "Wenn jemand eine Fremdsprache hört, die er nicht versteht, ist dieses Sprachzentrum viel weniger aktiv", erklärt Dr. Dorothee Saur, Ärztin in der Neurologischen Klinik am UKE.
"Wenn Sie das Gehörte verstanden haben und antworten möchten, müssen sie Worte finden und in Mundbewegungen umwandeln, die verständliche Laute produzieren", sagt Baumgärtner. "Dafür wird dann ein weiteres Hirnareal im Scheitellappen aktiv, wo die Wörter gebildet werden, die Sie mir antworten wollen. Von dort aus gelangt diese Information in das Broca-Zentrum im linken Frontallappen. Dort wird das, was Sie sagen wollen, in motorische Sprechprogramme umgewandelt und an den motorischen Cortex weitergeleitet, der die Mundbewegungen von Kehlkopf, Zunge und Lippen so steuert, daß diese Worte ausgesprochen werden."
Dann gibt es noch eine Direktverbindung zwischen den beiden wichtigsten Teilen des Sprachsystems. Ein Faserstrang verbindet das Wernicke- mit dem Broca-Sprachzentrum. "Hier sitzt das sprachliche Gedächtnis", so Baumgärtner. Beim Erkennen feiner Zwischentöne kommt die rechte Hirnhälfte ins Spiel: "Dort werden anhand der Satzmelodie und des Tonfalls Untertöne der Ironie erkannt und Stimmungen registriert."
Wenn dieses System zum Beispiel durch einen Schlaganfall geschädigt wird, kann es zu Sprachstörungen kommen, die man als "Aphasien" bezeichnet. Bei einer Schädigung des Broca-Zentrums wird die Sprache stockend, ganze Wörter und Wortendungen fehlen. "Die Patienten haben Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden, sprechen in einfachen Sätzen, oft im Telegrammstil, mit fehlendem grammatischen Zusammenhang. Ein Beispiel: ,Ich Nacht schlafen schlecht'", so Saur. "Ist das Wernicke-Zentrum betroffen, sprechen die Patienten zwar flüssig, doch sie bilden dabei neue Wörter, verstehen oft die Sprache nicht oder nur einzelne Wörter und können keine richtigen Sätze bilden. Beispiel: "Viele Sachen habe ich mich dran erinnert dabei", so Baumgärtner.
Nach einer solchen Schädigung zeigt sich aber auch, was das Gehirn leisten kann, um den Ausfall zu kompensieren: "In den ersten Wochen nach einem Schlaganfall werden alle intakten Areale des Systems, hochgesteuert und übernehmen verstärkt die Funktion der ausgefallenen Bereiche", erläutert Saur. "Außerdem werden auch die gleichen Areale in der rechten Hirnhälfte verstärkt aktiviert. Die Patienten können dann wieder besser verstehen und sprechen, und man merkt bei vielen gerade in den ersten zwei Wochen, daß die Sprache wieder zurückkommt. Nach weiteren Monaten wird die Aktivierung links wieder stärker und nimmt rechts ab. Das Bild nähert sich wieder dem eines Gesunden an."