Neurowissenschaft: Musik, Malerei oder Düfte - eine Vielfalt von Eindrücken fordert das Gehirn ständig heraus.
Das Erklingen einer Sinfonie, das Betreten einer Parfümerie, das Betrachten eines Sonnenunterganges fordern unsere Sinne heraus. Sie sind die Außenposten, mit denen wir unsere Umwelt aufnehmen. Doch welches Bild von unserer Umwelt letztlich daraus entsteht, entscheidet unser Gehirn.
Egal ob Hören, Riechen oder Sehen, die Sinnesverarbeitung funktioniert immer nach dem gleichen Prinzip: Ein Sinnesreiz aktiviert Riech-, Hör- oder Sehzellen. Diese wandeln die Information in elektrische Impulse um, die über spezielle Bahnen an den Ort ihrer Verarbeitung weitergeleitet werden.
Die Fähigkeit zu sehen ist der komplexeste und am höchsten entwickelte Sinn beim Menschen. "Insgesamt gibt es im Gehirn ungefähr 30 visuelle Areale, die dafür sorgen, daß wir das Bild aus der Umwelt vollständig wahrnehmen", so Prof. Andreas Engel, Leiter des Instituts für Neurophysiologie und Pathophysiologie am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE).
Das Auge nimmt Informationen über Farbe, Kontrast, Bewegung auf. Diese werden über die etwa eine Million Nervenfasern des Sehnervs ins Gehirn übertragen. Auf dem Weg zur sogenannten Sehrinde im Hinterhauptslappen des Gehirns werden die Signale aus beiden Augen zusammengeführt. Die primäre Sehrinde ist das sensorische Zentrum, in das die Sehbahn einmündet. Es ist direkt mit anderen Hirnarealen verbunden und bildet den Ausgangspunkt für die bewußte Verarbeitung der Sinneseindrücke. Erinnern, Kombinieren, Assoziieren und Urteilen - so wird das Wahrgenommene vom Gehirn in unsere Erfahrungswelt eingeordnet.
"Ein Problem, das die Wissenschaftler beschäftigt, ist die Tatsache, daß beispielsweise beim Sehen keine Nervenzelle das gesamte Bild sieht. Vielmehr erkennt jede einzelne der Millionen von Nervenzellen nur einen ganz kleinen Ausschnitt", so Engel. "Das Bild zerfällt somit in kleine Mosaiksteinchen. Damit die Steinchen wieder ein Gesamtbild ergeben, muß das Gehirn sie wieder zusammensetzen." Wie das gelingt, erkannten die Hirnforscher Anfang der 90er Jahre. Sie beobachteten, daß die elektrischen Impulse, also die Träger der Sinnesinformationen, einen Rhythmus haben. Diejenigen Impulse, die Informationen über das gleiche Objekt weitergeben, schwingen im selben Rhythmus. Die Nervenzellen koordinieren sich also durch Synchronisation der elektrischen Impulse. "Diese synchronen Schwingungen sind im EEG meßbar", erklärt Engel.
Nach dem gleichen Prinzip funktioniert auch das Hören. Tief im Innern des Ohres liegt die mit Flüssigkeit gefüllte Hörschnecke. Hier werden die Schallwellen aus der Luft in elektrische Impulse verschlüsselt. Sie enthalten Informationen über Tonhöhe, Lautstärke und Klangfarbe, die über die 32 000 Nervenfasern bis in den Schläfenlappen des Gehirns gelangen, wo sie verarbeitet werden. Für die Bewertung des Gehörten werden, wie beim Sehen, andere Hirnareale mit einbezogen. Eine wichtige Leistung des Hörens, nämlich den Ursprungsort des Schalles zu bestimmen, wird vom entwicklungsgeschichtlich ältesten Teil des Hörsystems erbracht, die im sogenannten Hirnstamm liegen. Schließlich hat diese Fähigkeit in Urzeiten das Überleben unserer Vorfahren gesichert.
Auch der Geruchsinn bewahrte die Urmenschen vor Gefahren, die von giftiger Nahrung ausging. Und bis heute brauchen wir die Riechnerven dafür, um den Geschmack eines guten Essens zu erfahren oder rechtzeitig vor dem Gestank eines faulen Eis angeekelt zurückzuweichen. Etwa 10 000 Düfte kann der Mensch unterscheiden. Schon einzelne Moleküle einer Substanz reichen aus, um Rezeptoren in der Riechschleimhaut zu aktivieren. Nervenbahnen transportieren das elektrische Signal zum Riechkolben. Von dort aus ziehen Nervenbahnen in das Riechhirn zu tieferen Hirnregionen. Verbindungen zu Hirnstrukturen, in denen Gefühle und Erinnerungen gespeichert sind, bestimmen, ob ein Geruch als Duft oder Gestank, eine Speise als wohlschmeckend oder eklig wahrgenommen wird.
So steuert uns das Gehirn durch die Vielfalt der Eindrücke, die die Sinnesorgane uns bescheren.