Die Hand berührt die heiße Herdplatte und zuckt zurück - das klassische Beispiel dafür, wie der Schmerz als Warnsignal uns vor Gefahren schützt. Anders der chronische Schmerz, der bestehen bleibt, obwohl der aktuelle Anlaß, zum Beispiel ein Bandscheibenvorfall, behoben ist: Der Schmerz verselbständigt sich und wird zur Schmerzkrankheit.

"Die Ursache dieser Schmerzkrankheit ist ein Ungleichgewicht im schmerzverarbeitenden System, an dem im Gehirn unterschiedliche Regionen beteiligt sind", erklärt Privatdozent Dr. Arne May, Schmerzspezialist an der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE). Der Schmerzreiz wird aus dem Körper über das Rückenmark in das Gehirn weitergeleitet. Wie wir ihn wahrnehmen und verarbeiten, und wie wir darauf reagieren - sprich die Hand von der Herdplatte nehmen - , entscheidet sich vor allem im Cingulum. Diese Region sitzt im vorderen Teil des Gehirns unter den Stirnlappen. Hier werden von unterschiedlichen Arealen die Stärke des Schmerzes bewertet, eine angemessene Reaktion eingeleitet, weitere Hirnregionen mit einbezogen und außerdem schmerzhemmende Prozesse aktiviert.

"Wenn allerdings ein Schmerz immer und immer wieder auftritt, kommt es zu Veränderungen in Nerven, Rückenmark und Gehirn. Sie führen dazu, daß dieses Schmerzsystem so gestört ist, daß es selbst auf den kleinsten Schmerz überschießend reagiert und die Schmerzhemmung reduziert wird", so May.

Die Konsequenz daraus ist, so der Schmerzspezialist, daß man in der Therapie nicht nur Schmerzmittel einsetzen muß, sondern auch Medikamente, die dieses Schmerzsystem wieder ins Gleichgewicht bringen. Dazu gehören sogenannte Antidepressiva und Mittel gegen Epilepsie.

Die weiteren Säulen einer guten Schmerztherapie sind die Gabe von Schmerzmitteln nach einem genau festgelegten Stufenplan, Krankengymnastik und eine Verhaltenstherapie. "Und diese vier Therapieansätze müssen alle gleichzeitig angewandt werden, um chronische Schmerzen in den Griff zu bekommen", so May.

Gegenwärtig wird unter den Fachleuten diskutiert, ob man durch eine frühzeitige und vollständige Ausschaltung von Schmerzen, zum Beispiel nach Operationen, der Entstehung chronischer Schmerzen effektiv vorbeugen kann.

"Eins ist aber schon jetzt klar. Um eine solche Entwicklung zu verhindern, muß auch im Alltag mit geeigneten Medikamenten konsequent gegen Schmerzen vorgegangen werden", so May.