Kurz vor der Europawahl hat Kanzlerin Angela Merkel die Union auf Stimmenverluste eingestimmt. 2004 habe man von der Schwäche der SPD profitiert.
Heidelberg/Hannover. Mit letzten Kundgebungen haben die Parteien am Sonnabend den Europawahlkampf beendet. Nun blicken sie mit Spannung auf die Wahl heute, bei der 64,3 Millionen Bürger aufgerufen sind, über die 99 deutschen Abgeordneten des Europaparlaments zu entscheiden. Sorgen bereitet den Parteien die drohende niedrige Wahlbeteiligung, die schon vor fünf Jahren auf einen Tiefstand von 43 Prozent gesunken war.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stimmte die eigene Partei auf Stimmenverluste ein. „Wir wollen deutlich stärkste Partei vor der SPD werden“, sagte die CDU-Politikerin „Bild am Sonntag“. Zugleich wies sie darauf hin, dass es bei der Wahl 2004 eine „außergewöhnliche Situation“ gegeben habe. Damals sei die rot-grüne Bundesregierung massiv in der Kritik gestanden und habe daher ein außergewöhnlich schlechtes Ergebnis erzielt. „Von der Schwäche der SPD konnte die Union als damals größte Oppositionspartei überdurchschnittlich profitieren.“ Müntefering sagte in Hannover: „Die wichtigste Erfahrung ist, dass in den letzten ein, zwei, drei Tagen immer noch viel passieren kann.“
Merkel rief die Bürger auf, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Es gehe um die Weichenstellungen für die Arbeit der Europäischen Union, sagte sie am Sonnabend auf einer Kundgebung in Heidelberg. SPD-Chef Franz Müntefering sagte bei einer Veranstaltung in Hannover mit Blick auf die Wahlbeteiligung: „Ich bin da nicht so pessimistisch.“ Linksparteichef und Spitzenkandidat Lothar Bisky warf Merkel und der großen Koalition vor, für das Desinteresse an der Europapolitik verantwortlich zu sein. „Ihre verfehlte Europapolitik hat dazu geführt, dass sich viele Menschen nicht für europäische Themen interessieren“, erklärte er am Sonnabend.
In den 27 EU-Mitgliedsstaaten sind insgesamt 375 Millionen Menschen zur Wahl aufgerufen. In einigen Staaten wie Großbritannien, Irland und den Niederlanden wurde bereits in den vergangenen Tagen gewählt. Unter den 64,3 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland sind 2,1 Millionen Bürger aus anderen EU-Staaten und 4,6 Millionen Erstwähler. 32 Parteien und sonstige politische Vereinigungen mit insgesamt 1196 Kandidaten bewerben sich um die 99 deutschen der künftig 736 Sitze im Europaparlament. Die Parteien führten einen weitgehend lustlosen Wahlkampf, in dem es inhaltlich keine herausragenden Themen gab.
Zugleich werden in Deutschland in sieben Bundesländern die Kommunalparlamente neu bestimmt: Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg- Vorpommern. In Thüringen, Sachsen und dem Saarland finden wenige Wochen später am 30. August Landtagswahlen statt. Damit ist der kommende Sonntag auch ein wichtiger Stimmungstest im „Superwahljahr“ und insbesondere für die Bundestagswahl am 27. September.
Der Wahlausgang werde sicherlich als ein Signal für die Bundestagswahl im September interpretiert werden, sagte der stellvertretende CDU-Vorsitzende Roland Koch der „Welt am Sonntag“. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel sagte dagegen im Sender NDR Info, die Bürger könnten sehr genau zwischen Bundestags- und Europawahl unterscheiden. Zudem sei das Wahlsystem verschieden. „Deswegen ist es zwar ein Fingerzeig, wie sich das Ganze in diesem Jahr weiter entwickeln kann, aber noch längst keine Vorentscheidung.“
Die Union hatte die Wahl 2004 mit 44,5 Prozent klar für sich entschieden. Die SPD landete nach schweren Verlusten von 9,2 Punkten nur noch bei 21,5 Prozent. Die Grünen verbesserten sich um 5,5 Punkte auf 11,9 Prozent. Die FDP schaffte mit 6,1 Prozent die Rückkehr ins Europaparlament. Die Linke (damals noch die PDS) kam auf 5,8 Prozent. Die CDU/CSU ist seitdem mit 49 Abgeordneten im Europaparlament vertreten die SPD mit 23, die Grünen mit 13 und FDP sowie Linkspartei mit jeweils 7. Den Meinungsumfragen zufolge wird die CDU/CSU nun bei etwa 39 und die SPD bei 25 bis 26 Prozent liegen. FDP und Grüne kämen demnach jeweils auf 10, die Linke auf 8 Prozent.