Sie warnen vor einer Zwei-Klassen-Medizin und wollen dennoch Ranglisten. Die bisherigen Beschlüsse des Ärztetages in der Übersicht.
Hamburg/Kiel. Heimliche Rationierung von Medizin, Hilfe beim Suizid, Organspende als Normalfall und das leidige Thema der Finanzen – die deutschen Ärzte haben beim 114. Ärztetag in Kiel dicke Bretter zu bohren. Und sie sind dabei auf Konfrontation gebürstet. Einen Tag vor der Wahl eines Nachfolgers von Bundesärztekammer-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe – der Hamburger Frank Ulrich Montgomery gilt als Favorit – haben die Ärzte einen scharf formulierten Antrag beschlossen. „Die deutschen Ärztinnen und Ärzte nehmen die Rolle des von der Politik mit den Einzelfallentscheidungen ,allein gelassenen’ Leistungsbegrenzers am Krankenbett nicht länger hin“, heißt es darin.
Vielmehr sei ein „transparenter Diskurs“ über Werte und Prioritäten in der Gesundheitsversorgung nötig. Darin eingebunden sein müsse neben Politik und Patientenvertretern auch die Ärzteschaft. Zur Eröffnung des viertägigen Kongresses hatte Ärztepräsident Hoppe für sein Konzept einer „Priorisierung“ geworben. Das bedeutet, dass nur noch von Sachverständigen als wichtig eingestufte Behandlungen sofort erbracht und von der Krankenkasse bezahlt würden. Nachrangiges müssten Patienten selbst bezahlen oder darauf warten.
Die Ärzte warnen außerdem vor einer Zwei-Klassen-Medizin zulasten chronisch Kranker durch die jüngsten Gesundheitsreformen. Die Behandlung von chronisch Kranken und von Patienten mit mehreren Krankheiten werde nicht ausreichend finanziert. Die Kassen könnten zwar Zusatzbeiträge nehmen, die Wettbewerb unter ihnen fördern sollten. Doch ein überzeugender Ordnungsrahmen für mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen fehle weiter. Zuletzt hatte die Abweisung kranker Versicherter der bankrotten City-BKK durch andere Kassen für massiven Ärger gesorgt.
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Angesichts des dramatischen Mangels an Spenderorganen in Deutschland wollen die Ärzte die Bürger verstärkt von einem Ja zur Spende überzeugen. Der Ärztetag in Kiel beschloss mit großer Mehrheit das Modell einer „Selbstbestimmungslösung mit Information und Erklärungspflicht“. Die Information der Menschen soll so intensiviert werden, dass sich möglichst jeder Bürger zur Organspendebereitschaft erklärt.
Liegt nach dem Tod keine Erklärung vor, können dem Verstorbenen dennoch Organe entnommen werden. Davor soll allerdings der mutmaßliche Wille gemeinsam mit den Angehörigen ermittelt werden. Heute gelten nur Besitzer eines Spenderausweises als Organspender. Man muss sich also zu Lebzeiten erklärt haben. In allen anderen Fällen müssen die Verwandten ihr Einverständnis abgeben.
Fast 70 Prozent der Menschen sind laut Umfragen bereit, nach ihrem Tod Organe oder Gewebe zu spenden. Aber nur weniger als 20 Prozent haben ihre Entscheidung in einem Organspendeausweis dokumentiert. Von den rund 12.000 Patienten, die auf ein Spenderorgan warten, sterben jedes Jahr etwa 3000 Menschen. Nach einem Vorstoß von Hessen und anderen Ländern soll jeder Bürger nach seinem Tod als Organspender infrage kommen. Dies soll immer gelten, wenn man zu Lebzeiten nicht widersprochen hat. Allerdings sollen vor einer Organentnahme die Angehörigen auf jeden Fall Einspruch einlegen können.
Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) setzt auf eine Befragung aller Bürger. Demnach könnte ein Eintrag in Ausweis oder Führerschein die bisherigen Spenderausweise ersetzen. Noch in diesem Jahr könnte der Bundestag ohne Fraktionszwang in der ethisch heiklen Frage entscheiden, hatte Kauder im Januar gesagt.
Neue Mehrheit ändert Ärztehaltung zu PID und Embryonen
Der Ärztetag hat sich außerdem mit großer Mehrheit für eine streng begrenzte Zulassung der umstrittenen Präimplantationsdiagnostik (PID) ausgesprochen. Die 250 Delegierten des Ärzteparlaments korrigierten damit einen Beschluss des Ärztetages von 2002, bei dem eine knappe Mehrheit solche Gentests an Embryonen aus künstlicher Befruchtung noch abgelehnt hatte. „Die ethische Abwägung spricht für eine Zulassung der PID in engen Grenzen und unter kontrollierten Voraussetzungen“, heißt es in dem mit 204 Ja- und 33-Nein-Stimmen angenommenen Antrag des Vorstands. Eine PID soll Paaren angeboten werden können, für deren Nachkommen ein hohes Risiko einer familiär bekannten und schwerwiegenden genetisch bedingten Erkrankung bestehe. Tests auf eine Geschlechtsbestimmung ohne Krankheitsbezug oder zur Begrenzung des Risikos bei älteren Eltern soll es nicht geben.
Der Ärztetag sprach sich dafür aus, dass die Bundesärztekammer eine Richtlinie erarbeitet, die auch die Indikationen für PID auflistet. Bei den Landesärztekammern sollen PID-Kommissionen darauf achten, dass die Qualität gesichert wird. Ärztepräsident Hoppe hatte zuvor in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur eine Freigabe der Gentests an Embryonen in engen Grenzen damit begründet, dass es eine Gleichbehandlung von PID und Pränataldiagnostik geben müsse.
„Warum sollte es untersagt sein, einen Embryo vor der Einpflanzung in den Mutterleib auf genetische Schäden zu untersuchen, wenn gleichzeitig bei einer festgestellten Behinderung Spätabtreibungen erlaubt sind?“, so Hoppe. Die PID laufe zwar faktisch auf eine Selektion menschlichen Lebens hinaus. Allerdings geschehe dies schon heute, wenn bei einer künstlichen Befruchtung Mehrlingsschwangerschaften entstünden. Der Bundestag will noch in diesem Sommer ein Gesetz zur PID verabschieden. Dem Parlament liegen drei Gesetzentwürfe vor: einer sieht ein vollständiges Verbot vor, die übrigen zwei wollen die Methode in unterschiedlichen Grenzen zulassen.
Hilferuf wegen Ärztemangel
Die Delegierten des 114. Deutschen Ärztetages haben schnelle gesetzliche Regelungen gefordert, um den Ärztemangel in Deutschland zu bekämpfen. Es gebe bereits Engpässe in der Versorgung von Patienten. Die Politik müsse unverzüglich tätig werden, um die ärztliche Versorgung sicherzustellen. Auch die Attraktivität des Arztberufes müsse gesteigert werden. In Deutschland gibt es derzeit rund 430.000 Ärztinnen und Ärzte. Die Delegierten sprachen sich zudem für eine Beteiligung der 17 Ärztekammern an der Versorgungsplanung aus. Weiter drängten sie darauf, ihre Kammern stärker in die geplante Förderung der Allgemeinmedizin einzubinden. Auch bei der künftigen Ausgestaltung des Medizinstudiums ist nach Ansicht des Ärztetages eine stärkere Beteiligung der Ärzte erforderlich. (dpa/dapd/KNA)