700 Praxen wurden 2010 geschlossen. Gibt es einen Ärztemangel oder einen Überschuss in Deutschland? Ärzte fordern mehr Honorar.
Hamburg/Kiel. Die Krankenkassen sprechen von zu vielen, die Mediziner selbst von zu wenigen Ärzten in Deutschland. Kurz vor dem 114. Deutschen Ärztetag in Kiel haben die Ersatzkassen einen Abbau des „Überangebots an Ärzten“ gefordert. Mit 397 Ärzten je 100.000 Einwohner sei im Jahr 2010 ein neuer Höchststand bei der Arztdichte erreicht worden, sagte der Vorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen (Vdek), Thomas Ballast. Das seien rund 31 Prozent mehr als 1991. Die Menschen seien aber nicht kränker geworden. „Wir sollten die Beitragsgelder der Versicherten dort einsetzen, wo Probleme oder Engpässe sind, nicht jedoch noch in Überversorgung investieren“, sagte Ballast. Diagnostik und Therapie sollten zudem auf das medizinisch Notwendige konzentriert werden. „Weniger ist oft mehr, zu viel Medizin kann den Patienten auch schaden.“ Der Vdek vertritt die größten gesetzlichen Krakenkassen wie die Barmer-GEK, die Techniker Krankenkasse, die DAK, die HEK und die KKH-Allianz.
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Der Ärztetag beginnt an diesem Dienstag in Kiel. Dabei soll der Hamburger Frank Ulrich Montgomery , 58, zum neuen Präsidenten der Bundesärztekammer gewählt werden. Der Radiologe gilt als Favorit für die Nachfolge von Jörg-Dietrich Hoppe. Auch das geplante Versorgungsgesetz dürfte Thema bei den Ärzten sein. Mit diesem Gesetz will der neue Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) künftigem Ärztemangel vorbeugen. Montgomery sagte dem Hamburger Abendblatt: „Wer wirklich etwas ändern will, kommt an einer besseren finanziellen Ausstattung der Medizin nicht vorbei.“
Nach Auffassung der Bundesärztekammer herrscht in ländlichen Regionen und in Krankenhäusern ein Ärztemangel und kein Ärzteüberschuss. Ein Grund hierfür sei unter anderem eine auf Dauer unzumutbare Arbeitsbelastung, so etwa Mammutschichten in Krankenhäusern.
In Deutschland haben im vergangenen Jahr knapp 700 Arztpraxen geschlossen, weil keine Nachfolger gefunden wurden. Insgesamt seien Nachfolger für 3938 Praxen von Ärzten und Psychotherapeuten gesucht worden, berichtete die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). In 692 Fällen sei die Suche ergebnislos geblieben. Von den Schließungen betroffen waren unter anderem 420 Praxen von Hausärzten und 32 von Kinderärzten. Vor allem auf dem Lande fehlen Ärzte. KBV-Chef Andreas Köhler sagte, rund 18 Prozent derjenigen, die ihre Praxis abgeben wollen, fänden keinen Nachfolger. Dies zeige, „wie real der Ärztemangel heute schon ist“. Die KBV schätzt, dass bis zum Jahr 2020 rund 67.000 von rund 150.000 niedergelassenen Ärzten in den Ruhestand gehen werden. „Die Situation wird sich also verschärfen“, sagte Köhler. (abendblatt.de/ryb)