Nach massiven Drohungen der Bundesregierung lenken die Versicherer nun ein. City BKK wird nach Finanzproblemen zum 1. Juli geschlossen.
Hamburg. Das Chaos um die Auflösung der gesetzlichen Krankenkasse City BKK ist vorerst beendet: Nach massiven Drohungen der Bundesregierung und einem Krisentreffen in Berlin erklärten sich gestern alle Krankenkassen dazu bereit, die Versicherten der bankrotten Kasse umstandslos aufzunehmen. Um die Kunden beim Wechsel zu unterstützen, solle es zusätzliche Beratungsstandorte, mehr Berater in den Servicecentern und an den Hotlines sowie längere Öffnungszeiten geben, teilte der AOK-Bundesverband mit.
Zum 1. Juli wird die City BKK als erste Krankenkasse wegen chronischer Finanzprobleme und Mitgliederschwunds geschlossen. Rund 168 000 Versicherte sind betroffen, unter ihnen viele ältere und kranke Menschen - besonders aus Hamburg und Berlin. Obwohl die anderen Kassen gesetzlich zu einer Aufnahme verpflichtet sind, wurden City-BKK-Kunden unter teils fadenscheinigen Begründungen abgewimmelt. "Ab dem ersten Tag der Mitgliedschaft in der neuen gesetzlichen Krankenkasse hat der Versicherte Anspruch auf den gesamten Leistungskatalog", betonten die Kassen nun. Bislang seien 40 000 City-BKK-Versicherte aufgenommen worden.
"Ich hoffe sehr, dass die gesetzlichen Kassen aus den Vorgängen gelernt haben. Denn es war und ist die Stärke der gesetzlichen Krankenversicherung, dass sie alle aufnimmt und aufnehmen muss ohne Prüfung der Gesundheit", sagte die Hamburger Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) dem Abendblatt: Das Verhalten der Kassen habe hier bereits einen Image-Schaden verursacht, "und ich hoffe, dies geschieht nicht noch einmal", betonte die Senatorin. Doch Prüfer-Storcks mahnte auch zur Gelassenheit: "Es sind noch einige Wochen Zeit, bis klar ist, wie viele Versicherte ihr freies Wahlrecht nicht nutzen. Deshalb besteht aktuell kein Grund zur Hektik." Wer in Deutschland Mitglied in keiner Krankenkasse ist, wird vom Arbeitgeber beziehungsweise als Arbeitsloser von der Arbeitsagentur zwangsversichert.
Kritisch äußerte sich auch der Vorstandschef der Techniker Krankenkasse, Norbert Klusen, im Gespräch mit dem Abendblatt: "Versicherte der City BKK in langen Schlangen auf der Straße warten zu lassen oder ihnen die Tür erst gar nicht zu öffnen, das ist stigmatisierend und schäbig." Es handele sich um Kunden, die Hilfe, Unterstützung und die Dienstleistung der Krankenkasse bräuchten. "Ich hoffe sehr, dass sich jetzt alle Kassen an ihren Auftrag erinnern. Sonst muss man sich nicht wundern, wenn das Image des gesamten Systems empfindliche Kratzer abbekommt", so Klusen.
Wie das Abendblatt aus Kassenkreisen erfuhr, ist es besonders in Hamburger und Berliner Callcentern und Geschäftsstellen von Kassen, die City-BKK-Versicherte aufnehmen sollten, zu Tricks und Täuschungen gekommen. So wurden plötzlich Geschäftsstellen geschlossen oder die Öffnungszeiten eingeschränkt. Bisweilen wurden Servicecenter von Krankenkassen sogar als renovierungsbedürftig aus dem Geschäftsverkehr genommen. Hotlines wurden abgeschaltet, Internetverbindungen gekappt - nur um keine City-BKK-Kunden beraten oder aufnehmen zu müssen. Mitarbeiter einer Kasse schickten an interessierte City-BKK-Mitglieder sogar Aufnahmeanträge einer anderen Kasse. Ebenso wurden Nummern von fremden Kassen-Hotlines weitergegeben.
Der Hamburger Ärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery beklagte: "Da diskutieren wir über ein Patientenrechtegesetz, das die Rechte von Patienten gegenüber den Ärzten stärken soll. Gleichzeitig verweigern Krankenkassen kranken Menschen aus Kostengründen den Versicherungsschutz. Das ist demütigend. Das ist die unmenschliche Seite in einem auf Wettbewerb getrimmten Gesundheitssystem."
Der neue Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) drängte die Kassen, schnell Lösungen zu finden. "Wenn aber die Kassen nicht in dieser Woche in der Lage sind, dann muss die Politik nächste Woche in der Koalition darüber beraten, ob wir und, wenn ja, welche Konsequenzen wir daraus ziehen."
Mit Anzeigen und im Internet hatte das Gesundheitsministerium die Versicherten auf ihre Rechte aufmerksam gemacht, eine neue Kasse frei zu wählen. "Sie können sich bei der Aufsicht beschweren, dann geht die Aufsicht dem Fehlverhalten einzelner Krankenkassen nach", so Bahr.
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles forderte gestern eine Rückkehr zur paritätisch finanzierten Gesundheit: "Die Wurzel allen Übels liegt in den Zusatzbeiträgen begraben", so Nahles. Die hatte die SPD in der Großen Koalition mitbeschlossen.