Die Erfolgsquote ist hoch: Jede zweite Klage gegen die Hartz-IV-Bescheide geht zugunsten der Betroffenen aus. Der DGB warnt vor neuer Prozesswelle.
Berlin. Die Sozialgerichte werden mit Hartz-IV-Klagen förmlich überrannt. Allein beim bundesweit größten Sozialgericht in Berlin gingen im vergangenen Jahr fast 32.000 neue Klagen im Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld II ein. Das seien 5000 oder rund 20 Prozent mehr als im Vorjahr, sagte Gerichtspräsidentin Sabine Schudoma. Und die Erfolgsquote für Hartz-IV-Bezieher ist hoch: Jede zweite Klage geht zu ihren Gunsten aus. Gründe für die anschwellende Klageflut sieht Schudoma in zu viel Bürokratie und Überlastung der Jobcenter. Besserung versprächen auch geplante Vereinfachungen etwa bei den Kosten der Unterkunft.
Jeder fünfte Berliner unter 65 Jahren lebt von Hartz IV, derzeit 441.000 erwachsene Hilfebedürftige sowie 155.000 Kinder und Jugendliche. Fast jeder zehnte der bundesweit 4,8 Millionen erwachsenen Hartz-IV-Bezieher lebt in Berlin. Das Berliner Sozialgericht bewältigt daher den bundesweit größten Ansturm von Klagen. Seit Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) im Jahr 2005 habe sich die Zahl der jährlichen Neueingänge vervierfacht. Inzwischen beträfen drei Viertel aller neuen Klagen am Sozialgericht Hartz IV. Vergangene Woche habe das Gericht die 117.000. Hartz-IV-Klage registriert.
Etwa jede zweite Klage geht zugunsten von Hartz-IV-Beziehern aus. „Die Hartz-IV-Klagewelle ist keine Wutwelle“, sagte Schudoma. Am Gericht entlade sich keine allgemeine Empörung, sondern es gehe um konkrete Ansprüche. „Fälle von Sozialbetrug sind die krasse Ausnahme“, sagte die Gerichtspräsidentin. In den Hartz-IV-Klagen gehe es oft um die Anrechnung von Einkommen, Kosten der Unterkunft und Verletzung von Bearbeitungsfristen.
„Eine Erfolgsquote von 50 Prozent ist ein klares Signal an die Politik – vergesst die Praxis nicht“, sagte Schudoma. Ein wesentlicher Schlüssel zur Entlastung der Sozialgerichte liege bei den Jobcentern, deren Mitarbeiter das Gericht als kompetent und engagiert erlebe. Ihnen würden aber immer mehr Aufgaben auferlegt. „Weniger Bürokratie, bessere Software, mehr Zeit für den Einzelfall – das wären Schritte in die richtige Richtung“, appellierte Schudoma an die Politik. Auch eine Beteiligung der Jobcenter an den Gerichtskosten durch eine pauschale Gebühr von 150 Euro, wie sie etwa Rentenversicherungsträger und Krankenkassen entrichten müssten, sei eine Möglichkeit.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnte, die bei der Hartz-IV-Reform geplanten Schritte zur Pauschalierung der Wohnungskosten würden eine neue Prozesswelle auslösen. Dem widersprach allerdings der Sprecher des Berliner Sozialgerichts. Das Vorhaben, dass Kommunen die Kostenerstattung per Satzung regeln könnten, verspreche eine Erleichterung, sagte Marcus Howe. Dann könne vor den Gerichten einmalig geklärt werden, ob etwa in Berlin eine rechtmäßige Satzung vorliege. Die derzeitige aufwendige Prüfung von Einzelfällen entfiele dann.
Die Bundesagentur für Arbeit verwies darauf, dass sie jedes Jahr über 25 Millionen Leistungsbescheide an Hartz-IV-Bezieher verschicke. Vor Gericht aufgehoben oder verändert worden seien davon 2009 rund 0,2 Prozent. Allerdings führen die wenigsten Klagen überhaupt zu einem Gerichtsbeschluss. Etwa 40 Prozent aller Klagen enden bereits vorher dadurch, dass die Jobcenter den Klagegrund anerkennen und die Bescheide abändern. Nur etwa jede achte Klage endet mit einer Gerichtsentscheidung.