Hittfeld/Peine. Teenager verlässt Elternhaus, um Tennis-Profi zu werden. US-Coach sieht Riesen-Potenzial. Vom Leben zwischen Sport, Schule und Familie.
Reiten oder Ballett? Keine der beiden Sportarten konnte Marleen Tietz von sich überzeugen. Als die Hittfelderin aber in jungen Jahren erstmals einen Tennisplatz betrat, ging alles ganz schnell. Denn dort fand Marleen das, wonach sie gesucht hatte: „Eine wirklich coole Sportart“, wie die 14-Jährige heute selbst sagt. Mittlerweile ist Tennis ein großer Bestandteil ihres Lebens – und Teil eines noch größeren Traums.
Marleens Geschichte beginnt im Hittfelder Tennis-Club (HTC) gemeinsam mit ihren Eltern. Mona und Ralf Tietz, beide Mitglied und Hobbyspieler, nahmen ihre junge Tochter regelmäßig mit auf die Anlage. Mit ihrer Rolle als Zuschauerin gab sich Marleen jedoch nicht lange zufrieden. Der Wunsch, selbst Tennis zu spielen, wurde immer stärker. Und ging bereits im Alter von fünf Jahren mit ersten Trainingseinheiten in Erfüllung.
Vorbild Aryna Sabalenka: 14-jähriges Jungtalent träumt den großen Profi-Traum
Neben dem regulären Vereinstraining erhielt Marleen aber auch Privatstunden, Schwerpunkt Technik. „Die Schlagtechnik ist die absolute Grundlage im Tennis“, erklärt Marleen. Zu beachten, lernen und trainieren gebe es hier eine ganze Menge. „Je früher man also damit beginnt, desto besser.“ Trainiert wurde Marleen mitunter von Chris Jochum, Ex-Bollettieri-Coach aus Amerika. Seit vielen Jahren bietet er im HTC Privattraining für ambitionierte Spieler an.
Von Marleen ist Jochum aber besonders überzeugt, er lobt ihre physische und technische Entwicklung. „Wenn sie das so weitermacht, dann werden ihre Chancen immer besser.“ Mindestens genauso bemerkenswert sei ihr Ehrgeiz, so Jochum. Marleen versprühe bereits in jungen Jahren eine besondere Willenskraft. Daraus macht auch die 14-Jährige selbst kein Geheimnis: „Natürlich will ich mich in erster Linie sportlich weiterentwickeln. Aber stets mit der Ambition, Spiele und Turniere zu gewinnen.“
Nensel Academy Peine: Neue Heimat für den Profitraum
Das galt bereits im Jahr 2019, als Marleen in den Regionskader des Tennisverbandes Niedersachsen-Bremen (TNB) berufen wurde. Mehrfach konnte sie erfolgreich an Regions- und Landesmeisterschaften des TNB teilnehmen und Punkte für die Deutsche Jugendrangliste sammeln. Dort steht Marleen bundesweit regelmäßig unter den Top 70 Spielerinnen ihres Jahrgangs. Für Jochum ist klar: Marleen kann es weit schaffen. Und das hat sie seit spätestens einem Jahr auch vor. „Ich möchte mit dem Tennissport künftig Geld verdienen – am besten als Profi“, sagt Marleen.
Auf dem Weg zum Tennisprofi braucht es aber nicht nur Ehrgeiz, sondern auch ein hohes Trainingspensum. Und klar war ebenso: An staatlichen Schulen in Hittfeld wäre dafür kaum Zeit. Es folgten Gespräche mit Lehrern und Trainern sowie Sichtungen an professionellen Tennisakademien. Bis im Frühjahr 2024 eine Entscheidung fiel, die das Leben der Familie Tietz auf den Kopf stellen sollte: Marleen erhielt eine Zusage für die Nensel Academy im 150 Kilometer entfernten Peine – und würde Hittfeld verlassen.
Für Marleen: Familie trifft wegweisende Entscheidung
„Tatsächlich ist mir diese Entscheidung recht leichtgefallen. Mir war sofort klar, dass ich das mache. Natürlich aber nicht allein, sondern mit einem Elternteil“, blickt Marleen zurück. Gemeint ist Ralf Tietz, der seine Anstellung aufgegeben hat, um die Tochter in Peine zu unterstützen. Mona Tietz ist aufgrund einer pflegebedürftigen Verwandten und ihres sicheren Jobs in Hittfeld geblieben.
Das Vater-Tochter-Duo lebt nun seit August in einer kleinen Wohnung in Peine. Zum Schulunterricht muss die 14-Jährige aber nach Hannover pendeln. Zumindest zweimal pro Woche. An den übrigen Tagen erhält Marleen Aufgaben, die sie auch zu Hause bearbeiten kann. Eine freie Lehrplanvermittlung, wie sie die Hannoveraner Privatschule ermöglicht, ist für Marleens Training essenziell.
Tennis-Talent wagt Spagat aus Training und Schule
Schließlich ist sie an präsenzfreien Tagen bereits ab 8.30 Uhr in der von Ex-Profi Sascha Nensel geleiteten Akademie eingebunden. Marleen erläutert: „Zunächst wärmt man sich eine halbe Stunde auf. Unmittelbar darauf folgen etwa eineinhalb Stunden Tennistraining für Technik und Bewegung.“ Nach einer zweistündigen Pause wartet dann bereits die nächste Trainingseinheit. Wieder rund 90 Minuten, bevor das einstündige Athletiktraining den Feierabend einläutet. Daran kann Marleen aber noch nicht denken: Nach dem vierstündigen Training muss sie sich zu Hause ihren Schulaufgaben widmen.
Wenn sie tagsüber in der Schule ist, verschiebt sich das Training auf den Nachmittag. Dann aber auch nur in abgespeckter Form: eineinhalb Stunden Tennis, eine Stunde Athletik. So oder so ein gewagter Spagat, dem sich die 14-Jährige stellt. „Obwohl mir Tennis etwas mehr bedeutet, nehme ich auch die Schule ernst. Ich weiß ja, wie wichtig ein Schulabschluss ist“, sagt sie und blickt auf nickende Eltern. „Gestresst bin ich so gut wie nie, mir reicht die Zeit.“
Turniere am Wochenende fordern Zeit – und Köpfchen
Und das, obwohl an den Wochenenden hin und wieder bundesweit Turniere anstehen. Dabei wird die 14-Jährige meist von ihren Eltern begleitet. Auf dem Platz ist sie dann jedoch auf sich allein gestellt. „Wir schauen in der Regel nicht mehr zu“, erklärt Ralf Tietz. Sonst bestehe das Risiko, dass sich Marleen abgelenkt fühlt. Dass Tennis ein Kopfsport ist, kann Marleen bestätigen: „Wer nicht permanent konzentriert ist, kann im Einzel auch nicht gewinnen.“
Ebenso wichtig sei die Ausstrahlung auf dem Platz. Hier sieht Marleen bei sich selbst noch etwas Luft nach oben: „Ich versuche zurzeit, an meinem selbstbewussten Auftritt während des Spiels zu arbeiten. Und an meiner Rückhand.“ Zu viel Druck möchte sie sich jedoch nicht machen. Auch nicht, wenn sie eine Niederlage hinnehmen muss. „Dann ärgere ich mich im ersten Moment, aber mache mir direkt bewusst: Ich habe mein Bestes gegeben.“
Marleen aus Hittfeld: Auch Ex-Profi Sascha Nensel attestiert großes Potenzial
So lautet auch das Motto für 2025. Geplant ist mitunter die Teilnahme an internationalen ITF-Turnieren im Juniorinnenbereich. Einerseits, um weitere Punkte zu sammeln. Andererseits, um Kontakte zu knüpfen und Erfahrungen zu machen. Den Eintritt in die Damenrangliste visiert Marleen mit ihren Trainern ebenfalls an. Langsam, aber sicher möchte sich die 14-Jährige hocharbeiten. „Ähnlich wie mein Idol Aryna Sabalenka. Sie war auch nicht von Anfang an die Beste, hat es aber mittlerweile nach ganz oben geschafft“, sagt das Talent.
Geht es nach Ex-Profi und Akademieleiter Sascha Nensel, dann stehen die Chancen für Marleens Aufstieg nicht schlecht. Sie verfüge über einen „unheimlichen Willen“ und könne einen „riesengroßen Schritt“ machen, so Nensel. „Ich denke, dass sie auf jeden Fall eine Möglichkeit hat, sich ganz nach vorne zu entwickeln und ihr Maximum zu erreichen.“
Eltern ebnen Marleen den Weg – aber bleiben im Hintergrund
Um weit zu kommen, sind aber nicht nur Talent, Training und Disziplin erforderlich. Sondern auch eine Prise Glück – und familiären Rückhalt. Was Letzteres angeht, muss sich Marleen jedenfalls keine Sorgen machen. Von Anfang an habe sie die vollste Unterstützung erhalten, berichtet die 14-Jährige.
Leicht waren die vergangenen Monate für Mona und Ralf Tietz allerdings nicht immer. Der Familienvater betont: „Als uns Marleen ihre Entscheidung mitgeteilt hat, mussten wir das erstmal kurz sacken lassen. Schnell war uns aber klar: Wir wollen ihr die Möglichkeit geben. Und wenn, dann jetzt.“ Mona Tietz schließt sich dem an: „Marleen soll einen gesunden Weg nach oben gehen können. Ohne zusätzlichen Druck oder Einmischung der Eltern.“
Familie Tietz sucht Sponsoren für langfristige Finanzierung
Ob die Familie unter der räumlichen Trennung leidet? „Eher nicht“, betont Mona Tietz. „Es tut uns allen gut, die Familie wird dadurch sogar gestärkt.“ Außerdem sehe man sich regelmäßig in Hittfeld, etwa an freien Wochenenden. Dann ist die Familie zumindest für wenige Tage wieder vereint und könne Kräfte tanken. Eine Dauerlösung sei die Situation dennoch nicht. Das hat auch finanzielle Gründe.
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Denn weder das Ersparte noch die beruflichen Einkünfte des Ehepaars dürften ausreichen, um Marleens Traum vom Profisport langfristig zu finanzieren. Die Sponsorensuche läuft daher bereits. Chris Jochum wirbt selbst für seinen Schützling und ist sich sicher: Ein Investment in Marleens Karriere würde sich lohnen. Schließlich sei es „ein Investment in einen jungen Menschen, in ein Leben“.
Instagram und Homepage: So können Sie Marleen auf ihrem Weg begleiten
Beraten werden Mona, Ralf und Marleen von ihrem langjährigen Freund und Sportjournalist Ingo Rohrbach. Er hatte die Familie Tietz im HTC kennengelernt und unterstützt sie im Hintergrund. Etwa durch seine Kontakte in die Sportwelt, bei Marleens Öffentlichkeitsauftritt oder mit einem Interviewtraining.
Eine eigene Homepage sowie einen Instagram-Kanal hat Marleen bereits. Über beide Wege ist eine Kontaktaufnahme möglich. Falls Marleen nicht direkt antwortet, dann steckt sie vermutlich gerade irgendwo auf dem Tennisplatz. Mit einem Schläger in der Hand, dem Ziel fest vor Augen und einem großen Traum im Kopf.