Hamburg. Ausstellung „In and Out of place“ erforscht die Bedeutung von Grund und Boden zwischen Heimat, Territorium und Rohstoffgewinnung.
Fast erwartet man ein Ploppen, wie man es vom Tennisplatz kennt: Der große Ausstellungsraum im Erdgeschoss des Kunstvereins sieht nämlich genauso aus – wie ein riesiger Court. Doch statt weißer Begrenzungslinien sind Schriften in den roten Sand geritzt, und es liegen schwarze Rosen, kunstvoll aus Keramik geformt, darauf verteilt. Die britische Künstlerin Phoebe Collings-James hat das Werk „red earth, blood earth, blood brother earth“ speziell für die Hamburger Ausstellung angerichtet oder vielmehr anrichten lassen. Wie Kunstverein-Sprecher Christian Bätjer berichtet, konnte eine smarte Mitarbeiterin gerade noch rechtzeitig die Ingredienzen für den speziellen Tonbelag in einem kleinen Pflanzenbedarf ergattern.
Es geht hier um verschiedene Bedeutungsebenen von Boden: Er kann Identität stiften, Heimat sein und auch deren Verlust (die schwarzen Rosen als Vanitassymbole?), Bewahrung, aber auch Verlust von Lebensspuren, die nur eine Zeitlang im Sand verbleiben und dann von anderen verwischt werden (das Betreten des Kunstwerks ist nämlich ausdrücklich erlaubt). Ursprünglich hätte die von Milan Ther und Martin Karcher kuratierte Schau auch „Soil“, also Boden, heißen sollen. Man hat sich umentschieden: Nun erforscht die Gruppenausstellung „In and Out of place. Land after Information 1992–2024“ die Umwandlung von Land im Rahmen des Informationszeitalters.
Rätselhafte Ausstellung im Kunstverein Hamburg: Was machen die schwarzen Rosen auf dem Tennisplatz?
Dabei steht situiertes Wissen im Gegensatz zu den scheinbar unsichtbaren Prozessen der digitalen Entmaterialisierung, die in der Erdkruste wurzeln – unter der zunehmenden Last der digitalen Cloud, dem unersättlichen Bedarf bei der Produktion von Mikrochips nach Mineralien und den endlosen Strecken, die Unterseekabel zurücklegen, um den Hunger nach globalen Datenströmen zu stillen.
- Kunsthaus: Was klingt da am Klosterwall? Afrikanischer Sound aus der Efeuhecke
- Hamburgs Stadtkuratorin: „Ich glaube an die Kraft von Kunst!“
- Mulmiges Gefühl an Deichtorhallen Hamburg: Ist unser Leben eine Matrix?
Ein Stockwerk höher präsentiert Liu Chuang in „Lithium Lake and Island of Polyphony“ seine wunderschönen und zugleich erschreckenden Bilder der globalen Rohstoff-Ausbeutung. Dagegen zeigen die monumentalen Flaggen des documenta-Teilnehmers Peter Fend lediglich die Gewässer der verschiedenen Kontinente, was die Frage aufwirft: Was wäre, wenn es die tradierten und erkämpften Ländergrenzen gar nicht gäbe? Bemerkenswert ist die nebenstehende Arbeit von Dineo Seshee Bopape: „Master Harmonizer Drawings“ besteht aus 941 Blättern Papier, die grafisch in einem Raum angeordnet sind. Die südafrikanischen Multimediakünstlerin spürte den Lebensstationen eines Sklaven nach und sammelte von dort Sand ein. Dieser findet sich in ihren Zeichnungen wieder.
„In and Out of place. Land after Information 1992–2024“ bis 12.1.2025, Kunstverein in Hamburg (U Steinstraße), Klosterwall 23, Di–Fr 12.00–18.00, Sa/So 11.00–18.00, Eintritt 5,-/3,- (erm.), jeden Do 17.00 öffentliche Führung, www.kunstverein.de
Sternstunde oder Reinfall? Jeden Monat rezensieren wir für unsere Abonnentinnen und Abonnenten mehr als 100 Konzerte, Theatervorstellungen, Choreografien, Bücher, Ausstellungen, Serien oder Filme. Hier finden Sie alle Kritiken – was Sie in Hamburg gesehen, gehört oder gelesen haben müssen!