Popmusiker Schiller alias Christopher von Deylen ist auf dem Forschungsschiff “Polarstern“ angekommen. Für abendblatt.de schreibt er von seiner Expedition in die Arktis-Region. Tatendrang liegt in der Luft - und Zuhause ist weit weg...

das ausbooten auf die polarstern via zodiac hat mich in diese andere welt teleportiert. hier gelten andere regeln, hier ist die grosse weite welt weit weg - und so fuehlt sie sich auch an. als praktisch nicht existent. es gibt ausser einem sehr eingeschraenkten email-verkehr keinen kontakt mit dem rest des planeten. man ist im 'hier und jetzt', ohne kompromisse.

meine taegliche informations-routine aus zeitunglesen, nachrichten-hoeren und ein dutzend mal 'spiegel-online' aufrufen ist hier obsolet. das kommunikations-mantra aus emails checken und gebannt aufs handy-display starren wird zu einem ritual aus der 'alten welt'. das leben in echtzeit gilt hier nichts. hier gilt eine eigene zeitrechnung. und weil das fuer alle menschen an bord gilt, gibt es auf anhieb von beginn an eine gemeinsamkeit zwischen allen. ob forscher oder techniker, ob offiziere oder mannschaft, alle sind gleich weit weg von zuhause.

vielen scheint dieses leben eher zu liegen. sie machen nicht den eindruck, als wuerden sie ein 'stationaeres heim' sonderlich vermissen. tatendrang liegt in der luft, und jeder geht auf seine art einer bestimmten leidenschaft nach.

ich teile meine kabine mit einem franzoesischen meereswissenschaftler aus brest. wir verstehen uns auf anhieb, er spricht exzellentes englisch und ich kann mein gebrochenes franzoesisch etwas aufbessern. ohne grosse diskussion sind betten und spinde verteilt. nach dem safety-drill erkunde ich das schiff, versuche mir etwas orientierung zu verschaffen. welche treppe fuehrt wohin? was liegt hinter welcher tuer verborgen? nachdem ich mich mehrmals ausgiebig verlaufen habe, habe ich den aufbau der polarstern halbwegs verstanden. ich lese aufmerksam die diversen info-aushaenge.

essenszeiten, shop-zeiten, wäsche-zeiten. insbesondere die geregelten mahlzeiten kommen mir sehr entgegen. zuhause nicht immer so einfach, aber zuhause ist ja auch weit weg.

kaum auf dem schiff, beginnen die diversen wissenschaftler-teams mit ihren vorbereitungen. container werden geoeffnet, kisten herausgerollt. der 'quest' wird von einem der bordkraene der polarstern aus seinem container gehoben und auf dem arbeitsdeck plaziert, ebenso die stattlich dimensionierte quest-seilwinde mit 5000 metern spezialkabel. der kontrollraum-container ist bereits an seiner vorbestimmten position.

einer der ersten punkte auf dem expeditions-plan des marum-teams wird das komplette ab- und aufwickeln des stahlseils sein. da es noch fabrikneu ist, muessen auf diesem wege verwindungen und verdrehungen ausgeglichen werden. hierzu wird das seil mit einem gewicht beschwert und an einer position mit ausreichender meerestiefe vollstaendig abgerollt. dann kann es sich 'aushaengen' und wird wieder aufgerollt.

der erste abend auf dem schiff - ein traum mit blauem himmel und strahlendem sonnenschein. am abend verlassen wir unsere position vor longyearbyen. am horizont sehen wir noch fuer lange die beeindruckende, in einen leichten dunstschleier getauchte landschaft von spitsbergen.

obwohl ich in den letzten beiden naechten nur sehr wenig geschlafen habe, fuehle ich mich jetzt hellwach. es geht auf mitternacht zu, obwohl es so wirkt, als waere es frueher nachmittag. wir stehen an deck und geniessen die atmosphaere. ein knapper monat auf see beginnt, und 'zuhause' . . . ist weit weg.