Das Filmfestival in Venedig neigt sich dem Ende. Die Favoriten auf die begehrte Trophäe stehen fest. Auch ein Deutscher hat Chancen auf den Löwen.
Venedig. Arme, starke Männer: Das Filmfestival Venedig hat den Männern in diesem Jahr einiges zugemutet. Die armen Kerle durchlitten in fast allen Filmen Tragisches: Einer erlebte das Grauen nach dem verheerenden Tsunami in Japan, ein anderer wurde mit den Abgründen der chinesischen Gesellschaft konfrontiert. Wieder andere mussten mit dem bevorstehenden Weltuntergang klarkommen oder schlichtweg mit der Einsamkeit ihres Lebens. Und so sind es gleich mehrere Schauspieler, die sich an diesem Sonnabend Hoffnungen auf eine Auszeichnung als bester Darsteller auf dem Internationalen Filmfestival machen können.
Sollten die Kritiker recht behalten, könnte der deutschstämmige Michael Fassbender mit einem Löwen nach Hause fahren. Der in Heidelberg geborene Ire aus „Inglourious Basterds“ ging gleich mit zwei Rollen in das Preisrennen: als verzweifelter Psychiater Carl Jung in „A Dangerous Method“ und als sexbesessener New Yorker in „Shame“. Eben diesem zuletzt genannten Part als triebgesteuerter Mann gab Fassbender eine ungewöhnliche und berührende Tiefe und zeigte eine facettenreiche Leistung als selbstbewusster und gleichzeitig einsamer und verstörter Charakter, wie sie auf der Landwand selten zu sehen ist.
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Doch wie es mit Filmfestivals und ihren Favoriten so ist – es gibt immer auch einige weitere Kandidaten, die bei der Preisvergabe im Scheinwerferlicht stehen könnten. Dazu gehört Ryan Gosling, neben Fassbender einer der größten Durchstarter dieses Filmjahres. In George Clooneys „The Ides of March“ gerät er als Mitarbeiter im Team eines demokratischen Präsidentschaftskandidaten zwischen die Fronten und muss sich entscheiden, ob er seine Karriere aufgeben oder zu moralisch fragwürdigen Methoden greifen soll.
Deutlich stiller, aber nicht weniger einprägsam geht es Rotem Keinan in dem deutsch-israelischen Beitrag „The Exchange“ an. Der Israeli spielt einen jungen Wissenschaftler, dessen Leben eigentlich bestens verläuft: Er hat eine Frau, einen Job, eine Wohnung. Doch dann merkt er, wie durchschnittlich sein Leben ist – es beginnt ein Kampf, den Rotem Keinan jedoch vor allem im Inneren, nach außen kaum sichtbar austrägt.
Gute Frauenrollen gab es in dieser Festivalausgabe deutlich seltener. Keira Knightley verkrampfte und verrenkte sich in „A Dangerous Method“ erst als Psychiatriepatientin, bevor sie eine Affäre begann, und Kate Winslet musste in Roman Polanskis „Carnage“ nicht nur Christoph Waltz als schnöselig-arroganten Ehemann ertragen, sondern auch noch die Attacken eines anderen Elternpaares – während sie gleichzeitig mit heftigem Brechreiz zu kämpfen hatte. Die Chinesin Deanie Yip dagegen wurde in „A Simple Life“ nach jahrzehntelanger Arbeit als Hausmädchen ins Altersheim abgeschoben - konnte aber immerhin eine zarte Verbindung zu ihrem Ziehsohn schaffen.
Und wem gibt die Jury unter Vorsitz von US-Regisseur Darren Aronofsky den Hauptpreis, den Goldenen Löwen? Möglicherweise einem Werk, das die Zuschauer nachhaltig bewegt und zum Nachdenken gebracht hat. So wie „Alpis“, der griechische Beitrag, polarisierte der doch mit seiner bitterbösen Geschichte über Menschen, die in einer Welt, wo alles zu kaufen ist, gegen Bezahlung in andere Rollen schlüpfen und sich dabei selbst verlieren.
„Himizu“ konfrontierte die Zuschauer dagegen auf äußerst beklemmende Weise mit dem Elend, das die Tsunami-Katastrophe im März in Japan ausgelöst hat. Und der Überraschungsfilm „People Mountain People Sea“ berührte mit seinen realistisch anmutenden Bildern aus den Elendsvierteln einer chinesischen Großstadt. Doch wirklich klar scheint bei all diesen Spekulationen nur eines zu sein: Das Löwenrennen ist in diesem Jahr so offen wie selten zuvor.