Die Filme der diesjährigen Mostra in Venedig zeigen den Menschen bevorzugt im Kampf mit seiner inneren Begabung zur Gewalt und Zerstörung.

Venedig. Auf dem Petersplatz in Rom versammeln sich Millionen Menschen zum letzten Gebet, einzelne Männer stürzen sich von den Balkonen in der Nachbarschaft, im Fernsehen verabschiedet sich der Nachrichtensprecher mit gesetzten Worten von seinen Zuschauern. Auch er wolle nun die letzten Stunden bei seiner Familie verbringen. Es sei ja auch alles gesagt. Bis zum Schluss werde man automatische Kameraaufnahmen aus aller Welt zeigen. So schildert der amerikanische Regisseur Abel Ferrara in seinem Film „4:44; Last Day On Earth“, den er nun auf dem Festival in Venedig präsentierte, die letzten Stunden vor dem Untergang der Welt.

Was sonst meist mit viel Lust am Spezialeffekt und der Zerstörung berühmter Baudenkmäler in aller Welt inszeniert wird, bleibt bei Ferrara ein bloßes Kammerspiel. Ein Mann (Willem Dafoe) verbringt die letzten Stunden vor dem Ende zuhause mit seiner jungen Freundin. Sie schlafen und streiten noch einmal miteinander. Über Skype spricht er mit seiner Tochter und Exfrau. Ein letztes Mal lassen sie sich chinesisches Essen liefern. Ruhe und Resignation wechseln mit Verzweiflung und Wut. Obwohl nicht sehr beliebt bei Publikum und Kritik, liegt der notorische Außenseiter Ferrara mit seinem Film ganz im Trend des diesjährigen Festivaljahrgangs: Angesichts der Katastrophen um ihn herum wendet sich die Sicht des Menschen nach innen.

Ob in David Cronenbergs Film über einen Abschnitt der Geschichte der Freudschen Psychoanalyse „A Dangerous Method“, George Clooneys Politthriller über den US-Wahlkampf „The Ides Of March“ , die neue John-le-Carré-Verfilmung „Tinker, Tailor, Soldier, Spy“ oder auch Andrea Arnolds Literaturverfilmung „Wuthering Heights“: Ein ums andere Mal handelten die Filme in Venedig von der großen Begabung zur Gewalt, die der Mensch in sich trägt.

Der japanische Regisseur Shion Sono gibt in seinem Wettbewerbsbeitrag „Himizu“ seine Figuren zwar als Opfer des Tsunami aus, doch letztlich bleibt die reale Katastrophe vom April dieses Jahres für seine wie von Dostojewskij inspirierte Handlung um Vatermord und Erlösung ganz äußerlich. Dass der Regisseur zugab, den aktuellen Bezug zu Tsunami und Fukushima erst zu Beginn der Dreharbeiten noch eingefügt zu haben, warfen ihm manche gar als Aufmerksamkeitshascherei vor. Verstörend gewalttätig zeichnet „Himizu“ ein finsteres Bild einer aus den Fugen geratenen japanischen Gesellschaft, in der der Einzelne völlig allein gelassen wird. „Himizu“ gehörte zu den Filmen dieses Jahr in Venedig, die stark polarisierten.

Ein noch düstereres Gesellschaftsbild zeichnet der chinesische Regisseur Cai Shangjun in seinem „People, Mountain, People, Sea“ . Dessen Festivalteilnahme wurde erst am Dienstag bekanntgegeben. Es heißt, der Film sei ohne die Zustimmung der chinesischen Zensur an den Lido gebracht worden. Für den Regisseur könnte dies weitreichende Folgen haben. Erst vor ein paar Jahren war sein Landsmann Lou Ye mit Berufsverbot belegt worden, weil er den nicht genehmigten Film „Summer Palace“ in Cannes hatte laufen lassen.

Cai Shangjun schickt in „People, Mountain, People, Sea“ seine Hauptfigur aus einer abgelegenen Minengegend auf die Suche nach dem Mörder seines Sohnes. Es ist ein Höllentrip durch die dunklen, von offizieller Seite totgeschwiegenen Ecken der chinesischen Gesellschaft: eine korrupte Polizei, drogensüchtige Großstädter, Mütter, die ihre Kinder verkaufen, illegale Minen mit sklavenartigen Zuständen. Gegen Gewalt, so lautet die düstere Bilanz des Films, hilft nur Gewalt.