Das angebliche Erpressungsopfer fühlte sich nach eigenen Angaben nicht bedroht. Auch die Mutter von Thomas Drach soll nun aussagen.

Hamburg. Der Reemtsma-Entführer Thomas Drach hat schon vor Jahren versucht, gegen einen Teil des Millionen-Lösegeldes vorzeitig aus dem Gefängnis freizukommen. Bei einer Anhörung nach zwei Dritteln seiner Haftzeit im August 2007 habe Drach dafür 450 000 US-Dollar geboten, sagte die Vorsitzende Richterin Ulrike Taeubner am Montag. Diese Summe, zum damaligen Zeitpunkt rund 330 000 Euro, habe er als „Wiedergutmachung“ zahlen wollen. Am Montag erklärte Drach dagegen, er habe das Geld nicht mehr. Der Prozess gegen den 51-Jährigen wird an diesem Dienstag fortgesetzt, dabei soll voraussichtlich seine Mutter gehört werden.

Nur ein Bruchteil der Rekordbeute aus der Entführung des Hamburger Millionenerben Jan Philipp Reemtsma vor 15 Jahren ist bis heute wieder aufgetaucht. Drach steht zehn Jahre nach dem Urteil wegen der Reemtsma-Entführung erneut vor Gericht – er soll aus dem Gefängnis heraus versucht haben, einen Freund dazu zu bringen, von seinem Bruder Millionen zu erpressen. Die Staatsanwaltschaft vermutet als Motiv Drachs Kampf um das Lösegeld. Der Angeklagte bestreitet den Vorwurf und hält den Prozess für „albernes Theater“.

Die frühere Leiterin der Sicherungsstation im Gefängnis Hamburg-Billwerder – dort sitzt der Angeklagte in Haft – berichtete, Drach habe immer wieder betont, er werde nicht bis zum Ende seiner Haftzeit im Juli 2012 hinter Gittern sitzen. „Er hat ganz deutlich gefordert, dass er entlassen wird“, sagte die Frau als Zeugin vor Gericht. „Sonst werde es einen „heavy fight“ (schweren Kampf) geben, viel härter als die Entführung.“

Massive Bedrohungen, Pöbeleien und Beleidigungen – Drach soll in den vergangenen Jahren im Gefängnis Vollzugsbeamte immer wieder massiv angegangen sein. Zuletzt soll er nach dem Auftakt seines neuen Prozesses Beamte bedroht haben. „Ich werde nächstes Jahr einen Beamten bestrafen für die Sache mit der Schlafbrille“, zitierte Richterin Taeubner am Montag aus einer Gesprächsnotiz. „Ich besorge mir eine Kalaschnikow, und dann wird Hamburg schon sehen.“ Der Prozessauftakt am Donnerstag hatte sich um zwei Stunden verzögert, weil sich Drach weigerte, auf dem Transport vom Gefängnis zum Gericht eine Augenbinde zu tragen. Er sollte die Fahrtroute nicht sehen. Drachs Verteidiger Helfried Roubicek erklärte, sein Mandant habe mit den Sätzen lediglich „Dampf abgelassen“.

Die frühere Leiterin der Sicherungsstation erklärte, Gutachter hätten bei Drach nach wie vor Gewaltbereitschaft und ein überaus hohes Aggressionspotenzial gesehen. Während seiner Jahre im Gefängnis sei Drach aus Sicherheitsgründen bereits mehrfach verlegt worden. „Es gab immer wieder Hinweise, dass er versuchte, über Mitgefangene an das Lösegeld zu kommen, um seine Fluchtpläne verwirklichen zu können“, sagte die Vollzugsbeamtin.

+++ Drach vor Gericht: "Fehlt ein Euro, mache ich ihn platt" +++

+++ Millionen aus Reemtsmas Lösegeld liegen in Spanien +++

+++ Chronologie der Reemtsma-Entführung +++

Drach habe versucht, Mitgefangene zu rekrutieren und Kassiber - geheime schriftliche Mitteilungen an andere Gefangene – aus dem Gefängnis schmuggeln zu lassen. Mit der Verlegung von einem Gefängnis ins nächste sollte versucht werden, „die Kommunikationsstrukturen zu unterbinden“. Der 51-Jährige saß in den vergangenen Jahren meist in Hamburger Gefängnissen, aber auch in Wuppertal und der JVA Straubing. Der Prozess gegen Drach findet unter massiven Sicherheitsvorkehrungen statt.

Vor zehn Jahren soll Drach im Gefängnis einen Mitgefangenen damit beauftragt haben, einen seiner früheren Komplizen zu töten. Das habe der damalige Mitgefangene, ein verurteilter Mörder, nach seiner Entlassung dem Landeskriminalamt in Hamburg gesagt, erklärte ein LKA-Beamter als Zeuge vor Gericht. Drach habe dem Mann dafür 200 000 Euro versprochen – und mit einem sorgenfreien Leben in Argentinien gelockt. „Er fand es ein gutes Angebot, hat dann aber davon Abstand genommen“, berichtete der Beamte. Das Angebot soll Drach dem Mithäftling in den Jahren 2000 oder 2001 gemacht haben – weil er sauer gewesen sei, dass der frühere Komplize gegen ihn ausgesagt habe. Erst 2009 habe der Mann beim LKA seine Aussage gemacht. Drach wies die Vorwürfe zurück: „Ich kenn den Typ überhaupt nicht.“ Das sei eine „Schwachsinns-Idee“.

Drachs jüngerer Bruder, das angebliche Opfer der geplanten Erpressung, soll einem Hamburger LKA-Beamten gesagt haben, dass er sich nicht bedroht fühle. „In meinen Augen ist das alles Mumpitz“, habe er bei einer Vernehmung kurz vor seiner Haftentlassung 2009 gesagt. Er saß im Gefängnis, weil er Teile des Lösegeldes gewaschen hatte. Der Bruder könne sich aber gut vorstellen, dass Thomas Drach sauer auf ihn sei, erklärte der Beamte – weil er Geld verspekuliert haben soll.

Der Verhandlungsauftakt hatte sich um Stunden verzögert, weil sich Drach geweigert hatte, beim Transport vom Gefängnis zum Gericht eine Augenbinde zu tragen. Die Schlafbrille sollte er aus Sicherheitsgründen aufsetzen. Schließlich wurde der Häftling zwangsvorgeführt. Vor Gericht bestritt Drach die Vorwürfe und sprach von "albernem Theater“.

Beamter: Drach wollte Komplizen töten lassen

Der als Zeuge geladene LKA-Beamte sagte am Montag, Drach habe im Gefängnis einen Mitgefangenen damit beauftragt, einen seiner früheren Komplizen zu töten. Das habe der damalige Mitgefangene, ein verurteilter Mörder, nach seiner Entlassung dem Landeskriminalamt in Hamburg gesagt, erklärte der Zeuge. Drach habe dem Mann dafür 200.000 Euro versprochen - und mit einem sorgenfreien Leben in Argentinien gelockt. "Er fand es ein gutes Angebot, hat dann aber davon Abstand genommen“, berichtete der Beamte. Das Angebot soll Drach dem Mithäftling in den Jahren 2000 oder 2001 gemacht haben - weil er sauer gewesen sei, dass der frühere Komplize gegen ihn ausgesagt habe. Erst 2009 habe der Mann beim LKA seine Aussage gemacht. Drach wies die Vorwürfe zurück: "Ich kenn den Typ überhaupt nicht.“ Das sei eine "Schwachsinns-Idee“.

Zeugin: Drach wollte Mitgefangene rekrutieren

Während seiner Haftzeit ist Drach aus Sicherheitsgründen mehrfach verlegt worden. "Es gab immer wieder Hinweise, dass er versuchte, über Mitgefangene an das Lösegeld zu kommen, um seine Fluchtpläne verwirklichen zu können“, sagte die frühere Leiterin der Sicherungsstation im Gefängnis Billwerder am Montag als Zeugin vor dem Landgericht. Die Zeugin hatte unter anderem zwei Briefe angehalten, die später mit zur Anklage des Beschuldigten geführt hatten.

Der 51-Jährige habe versucht, Mitgefangene zu rekrutieren und Kassiber - geheime schriftliche Mitteilungen an andere Gefangene - aus dem Gefängnis schmuggeln zu lassen, sagte die Vollzugsbeamtin. Mit der Verlegung von einem Gefängnis ins nächste sollte versucht werden, "die Kommunikationsstrukturen zu unterbinden“. Drach saß in den vergangenen Jahren meist in Hamburger Gefängnissen, aber auch in Wuppertal und der JVA Straubing. In Fuhlsbüttel habe Drach laut Zeugenaussage gelegentlich Justizbeamte beschimpft. Auch, weil es Hinweise auf einen Fluchtversuch gegeben habe, sei Drach nach Billwerder verleget worden. In der dortigen Sicherungsstation habe er so gut wie keinen Kontakt zu Mithäftlingen gehabt, von denen Drach ohnehin glaubte, dass "alle Spione" seien.

Viel mehr habe Drach, so die Zeugin, in unkontrollierten Wutausbrüchen aggressive Selbstgespräche geführt, in denen er offenbar mit einem Komplizen "kommunizierte". "Du Schwein, du hast dafür gesorgt, dass ich hier bin", gab die JVA-Beamte vor Gericht eines der Selbstgespräche wieder.

Drach habe immer wieder deutlich gemacht, dass er nicht bis zum Ende seiner Haftzeit im Gefängnis sitzen wolle. "Er hat ganz deutlich gefordert, dass er entlassen wird. Sonst werde es einen 'heavy fight' (schweren Kampf) geben, viel härter als die Entführung“, sagte die Zeugin. Drach habe bisher keine Einsicht gezeigt, sich mit der Entführung des Hamburger Millionenerben Jan Philipp Reemtsma auseinanderzusetzen.

"Wer das Geld bekommen hat, weiß ich nicht"

Vor Gericht sagte Drach am Montag: "Ich muss davon ausgehen, dass das Verfahren ein weiterer Erpressungsversuch ist, um herauszufinden, wo das Lösegeld ist." Und in der Tat äußerte sich Drach zu diesem Thema. Er habe seinem jüngeren Bruder fünf bis sechs Millionen Schweizer Franken gegeben, die er waschen sollte, sagte Drach. Auf die Frage, ob noch Geld da sei, erklärte der Angeklagte: "Weiß ich auch nicht.“ Sein Bruder habe das Geld in Wertpapiere investieren sollen: "Wer das Geld im Endeffekt bekommen hat, weiß ich nicht.“

Bei der Anhörung nach zwei Dritteln seiner Haftzeit im August 2007 hat Drach nach Angaben der Vorsitzenden Richterin Ulrike Taeubner 450.000 Dollar geboten, um vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden. Diese Summe habe Drach als "Wiedergutmachung“ zahlen wollen. Drach habe bei der Anhörung angegeben, er habe Zugriff auf dieses Geld. Am Montag erklärte Drach dagegen, das Geld nicht mehr zu haben.

Seit der Entführung des Hamburger Sozialforschers Jan Philipp Reemtsma im Jahr 1996 ist der Großteil des Millionen-Lösegeldes nicht wieder aufgetaucht. Die Vermutungen, er habe ein Bankschließfach in Spanien, bezeichnete Drach als "Spinnereien“. "Ich habe kein Konto in Spanien, das wäre mittlerweile ja wohl aufgedeckt worden.“ Sein Bruder sei sein "Angestellter“, den er mit der Geldwäsche beauftragt habe. Er habe dafür 100.000 Dollar im Jahr als Gehalt bekommen.

Schwerverbrecher Thomas Drach gilt nach wie vor als hochgefährlich, es gibt daher massive Sicherheitsvorkehrungen im Gericht. Am Donnerstag hatten Zuschauer den Saal nur über einen Nebeneingang erreicht, einige mussten bei der Kontrolle sogar ihre Schuhe ausziehen.

Vor 15 Jahren hatte Drach mit Komplizen den Hamburger Millionenerben Jan Philipp Reemtsma entführt. Nach 33 Tagen Geiselhaft kam Reemtsma gegen ein Millionen-Lösegeld frei. Ein Großteil der Beute ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Drach war als Kopf der Reemtsma-Entführung im März 2001 wegen erpresserischen Menschenraubes zu 14 Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. (dpa/dapd)

Chronologie der Reemtsma-Entführung:

Juni 1995: Thomas Drach und sein Komplize Wolfgang Koszics beginnen, Jan Philipp Reemtsma zu observieren. Koszics mietet in Garlstedt bei Bremen ein Haus, das später als Geiselversteck dient.

25. März 1996: Reemtsma wird von seinem Grundstück in Hamburg-Blankenese entführt. Die Kidnapper hinterlassen eine Lösegeldforderung über 20 Millionen D-Mark.

27. März 1996: Die Erpresser melden sich mit einem Brief, dem ein Foto Reemtsmas beiliegt. Nachdem die ersten Lösegeldübergaben scheitern, erhöhen die Entführer ihre Forderung auf 30 Millionen in D-Mark und Schweizer Franken.

24. April 1996: In Krefeld gelingt der dritte Versuch zur Geldübergabe. Die Entführer entkommen mit den Millionen.

26. April 1996: Reemtsma wird nach 33 Tagen Geiselhaft in der Nähe von Hamburg freigelassen.

24. Mai 1996: In einem Haus in der Nähe von Bremen wird das Kellerverlies entdeckt, in dem Reemtsma festgehalten wurde. Als Tatverdächtige werden Peter Richter aus Leverkusen, Wolfgang Koszics aus Krefeld und Thomas Drach aus Köln gesucht.

26. Mai 1996: Koszics wird in Südspanien verhaftet.

29. Mai 1996: Richter wird in Malaga festgenommen.

14. Februar 1997: Koszics und Richter werden in Hamburg zu zehneinhalb beziehungsweise fünf Jahren Haft verurteilt.

28. März 1998: Drach wird in einem Hotel in Buenos Aires festgenommen.

12. Juni 1998: Ein Gericht in Buenos Aires ordnet zunächst an, dass sich Drach in Argentinien wegen Urkundenfälschung bzw. Passfälschung verantworten muss.

16. März 1999: Der letzte noch flüchtige mutmaßliche Täter, Piotr Laskowski, stellt sich der Polizei. Er wird am 2. September zu sechs Jahren Haft verurteilt.

24. September 1999: Richter wird auf Bewährung entlassen.

19. Juli 2000: Argentiniens Staatspräsident Fernando de la Rua stimmt der Auslieferung Drachs nach Deutschland zu.

29. Juli 2000: Drach trifft in Hamburg ein und wird kurz darauf in die Untersuchungshaftanstalt am Holstenglacis überstellt.

30. August 2000: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage vor der Großen Strafkammer des Hamburger Landgerichts. Die Anklage gegen Drach lautet etwa auf erpresserischen Menschenraub. Die mögliche Höchststrafe dafür beträgt 15 Jahre Haft.

13. Dezember 2000: Vor dem Hamburger Landgericht beginnt der Prozess gegen Drach als Kopf der Entführerbande. Drach gesteht seine Beteiligung an Reemtsmas Verschleppung.

8. März 2001: Nach 14 Hauptverhandlungstagen wird Drach zu 14 Jahren und 6 Monaten Haft verurteilt. Fast das gesamte Lösegeld bleibt bis heute verschwunden.

Dezember 2002: Der mit internationalem Haftbefehl gesuchte Lutz Drach, Bruder von Thomas Drach, wird von spanischen Sicherheitskräften in Madrid verhaftet. Er soll seinem Bruder beim Verstecken der Beute und der Geldwäsche behilflich gewesen sein.

15. September 2003: Lutz Drach wird nach Deutschland ausgeliefert und kommt in Aachen in Untersuchungshaft.

14. April 2004: Thomas Drach wird wegen Widerstands gegen einen Vollstreckungsbeamten zu einer zusätzlichen Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, womit sich seine Haftstrafe verlängert.

28. Oktober 2004: Lutz Drach wird vor dem Landgericht Aachen wegen Geldwäsche zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.

23. Februar 2006: Thomas Drach muss sich wegen Widerstands gegen Justizbeamte und versuchter Nötigung erneut vor dem Hamburger Landgericht verantworten und wird noch am selben Tag zu einer zusätzlichen Haftstrafe von drei Monaten und zwei Wochen verurteilt.

25. April 2006: Lutz Drach wird im neu aufgerollten Geldwäsche-Prozess vor dem Aachener Landgericht zu einer höheren Freiheitsstrafe von nun sechseinhalb Jahren verurteilt.

Mai 2009: Lutz Drach wird aus dem Gefängnis entlassen.

13. Oktober 2011: Thomas Drach muss sich wegen versuchter Anstiftung zur räuberischen Erpressung erneut vor dem Hamburger Landgericht verantworten.

Mit Material von dpa und dapd