Hamburg. Bei der Gala des Theaterpreises Hamburg im Schmidt gewann auch Star Katharina Schüttler. Regisseurin Inken Rahardt schafft Rekord.
Jetzt ist er also volljährig, der Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares, der 2006 unter dem Titel seines Namensgebers Rolf Mares (des früheren Staatsopern-Direktors und Gründungs-Intendanten der Komödie Winterhuder Fährhaus) ins Leben gerufen worden war. Und die Preisvergabe zeigte im 18. Jahr ihres Bestehens einmal mehr, wie bunt und vielfältig, oft auch lustig, in jedem Fall bewegend das Theaterleben in der Freien und Hansestadt ist. In großen Staatstheatern, mittelgroßen etablierten Privattheatern und auf kleinen experimentellen Bühnen.
Weil die Stätte der Preisverleihung alljährlich wechselt, war am Dienstagabend das Schmidt Theater mal wieder ein großzügiger Gastgeber für das „schöne Klassentreffen“, wie Insider die Gala flapsig nennen. Und im populären Unterhaltungs- und Verzehrtheater auf dem Kiez konnten die Kontraste kaum größer sein: Der singende Moderator Yared Dibaba präsentierte außer Ausschnitten des Schmidt-Familienmusicals „Der achtsame Tiger“ und des Tivoli-Dauerbrenners „Heiße Ecke“ auch Elke Winter. Bei der schillernden „Queen of Comedy“ gehen bekanntlich Zoten und Zügellosigkeit („Ich bin die Helene Fischer der Travestie, wir sind beide blond und 39“) Hand in Hand und entlang der Gürtellinie, was man von Kultursenator Carsten Brosda ja nicht unbedingt behaupten kann.
Theaterpreis Hamburg: Fünf Ehrungen fürs Schauspiel, aber Kritik an der Jury
„Im Theater können wir gesellschaftliche Fragen verdichten, Emotionen intensivieren und Konflikte auf den Punkt bringen“, sagte der SPD-Politiker in seinem Grußwort. „Das Theater öffnet uns die Augen für die Realität, indem es uns neue Perspektiven bietet. Die Künstlerinnen und Künstler, die wir heute ehren, machen die Theater in unserer Stadt zu lebendigen, bereichernden Orten“, lobte Brosda die hanseatische Bühnenvielfalt.
Für die siebenköpfige Theaterpreis-Jury war die Spielzeit 2023/24 offenbar eine besonders in Sachen Schauspiel preisverdächtige. In der Kategorie „Herausragende Darstellung“ würdigte sie gleich fünf Bühnenprofis, unter ihnen ein ehemaliger und ein aktueller Boy-Gobert-Preisträger. Thalia-Ensemblemitglied Merlin Sandmeyer wurde in Kafkas „Der Prozess“ am Thalia Theater für die Rolle des Josef K. ausgezeichnet. Er spiele den Protagonisten als zutiefst verstörten, verlorenen Beobachtenden, „der ins Straucheln gerät und urplötzlich aus der Bahn geworfen wird, und nicht als Handelnden“, lautete das Urteil. Und Dennis Svensson überzeugte als Céline Dion in Yasmina Rezas Komödie „James Brown trug Lockenwickler“ am St. Pauli Theater. Für den gebürtigen Hamburger die zweite Auszeichnung innerhalb weniger Wochen, am 1. Dezember erhält der 28-Jährige im Thalia Theater den Boy-Gobert-Preis 2024. Nach Ansicht der Theaterpreis-Jury spielt Svensson „mit einer hinreißenden Selbstverständlichkeit, sodass es auch als Plädoyer für Genderfluidität, als Fürsprache für Transidentität gelesen werden darf“.
Theaterpreis Hamburg: Inken Rahardt zum dritten Mal geehrt, diesmal für die „Fußballoper“
Ebenfalls ausgezeichnet, und zwar bereits zum zweiten Mal nach 2015 (damals als Hardy in „Laurel & Hardy“/Kammerspiele), wurde Ulrich Bähnk. Der freischaffende Hamburger Schauspieler erhielt den Preis für sein facettenreiches, einfühlsames und glaubwürdiges Spiel der Titelrolle in „Serge“, einer Adaption von Yasmina Rezas Roman im Altonaer Theater. Mit der renommierten Film-, Fernseh- und Theater-Schauspielerin Katharina Schüttler für die Darstellung der Star-Anwältin Tessa in Suzie Millers Monodrama „Prima Facie“ wurde eine weitere Schauspielerin prämiert, die Multi-Intendant Axel Schneider (Kammerspiele, Altonaer und Harburger Theater, Lichtwark Theater) engagiert hatte. Schüttler, deren Dankesrede einem überlangen, inhaltlich überfrachteten Monolog glich, spielt laut Jury „mit einer Natürlichkeit und Souveränität, als hätte die Autorin ihr die Rolle auf den Leib geschrieben“. Zudem bekam die Britin Olivia Warburton die Auszeichnung als beklemmend starke Anne Frank in Grigori Frids „Das Tagebuch der Anne Frank“ an der Opera Stabile der Hamburgischen Staatsoper.
Die Preise für die fünf Darstellenden sind ebenso mit je 1000 Euro und zusätzlich einem personalisierten Montblanc-Füller dotiert wie jene für die Frauen und Männer hinter den Kulissen. Schon zum dritten Mal, das ist Rekord, erhielt Inken Rahardt aus dem weiblichen Leitungstrio des Opernlofts in der Kategorie „Herausragende Regie“ den Theaterpreis Hamburg, nach 2010 („Tolomeo“) und 2015 („Orlando furioso“) diesmal für die von ihr kreierte „Fußballoper“ im Opernloft. Als Teil des Kulturprogramms zur Euro 2024 in Deutschland brachte die ausgebildete Sopranistin in 90 Minuten (mit Halbzeit und Nachspielzeit) mit einer stimmlich starken gemischten Sechs ein spannendes Klangmatch auf den Kunstrasen an der Elbe.
In der selten auftauchenden Kategorie „Herausragender Text“ erhielt mit dem per aufgezeichneter Videobotschaft dankenden Roland Schimmelpfennig einer der meistgespielten deutschen Gegenwartsdramatiker ebenso einen Theaterpreis Hamburg. Er bekam ihn für das Antiken-Mammutprojekt „Anthropolis“ am Deutschen Schauspielhaus, in seiner Sprache „poetisch, salopp, semidramatisch, nahezu episch. In Monologen, Dialogen, Chören, in narrativer und reflexiver Rede spiegeln sich Grauen und Komik“, begründete die Jury die Entscheidung.
Ungewöhnlich für die Verleihung, jedoch im Fall des Ohnsorg-Studios treffend, die kombinierte Kategorie „Herausragende Bühne/Regie“: Yvonne Marcour (Bühnenbild und Kostüme) und Ingo Putz (Regie) hatten mit ihrer Fassung von „De Schimmelrieder“ nach Theodor Storms Novelle um den Deichgrafen Hauke Haien im reichlich bewässerten und mit Sandsäcken ausstaffierten kleinen Saal des Ohnsorgs zwar allabendlich die drei Schauspieler und einen Großteil des Publikums nass gemacht. „Gerade mit dieser Einheit zwischen Bühne und Inszenierung entsteht ein fesselndes, eindringliches Bühnenstück“, meinte aber nicht nur die Jury.
Mehr Theater in Hamburg
- „Heimatmuseum“ von Siegfried Lenz: Packendes Erlebnis am Altonaer Theater
- Theater Hamburg: Große Oper im Ohnsorg mit „Carmen darf nicht platzen“
- Theater Hamburg: Märchen zu Weihnachten – der große Überblick für 2024
An der Jury, insbesondere an deren seit 17 Jahren weitgehend unveränderter Zusammensetzung, entzündete sich hinter den Kulissen beim Hamburger Theaterverein offenbar Kritik. Eine Verjüngung wird gefordert, sogar von einer „völligen Verzerrung des Blicks auf die Hamburger Theaterszene“ war die Rede. Im Schmidt Theater wurde der Jury für ihre aufwendige Arbeit mit viel Beifall gedankt.
Sternstunde oder Reinfall? Jeden Monat rezensieren wir für unsere Abonnentinnen und Abonnenten mehr als 100 Konzerte, Theatervorstellungen, Choreografien, Bücher, Ausstellungen, Serien oder Filme. Hier finden Sie alle Kritiken – was Sie in Hamburg gesehen, gehört oder gelesen haben müssen!