Hamburg. Altonaer Theater bringt 1000-Seiten-Roman „Heimatmuseum“ auf die Bühne. Ein starkes Stück, das eine wichtige Frage stellt.
Die Aufgabe, die Axel Schneider sich gestellt hat, ist enorm. Der Intendant des Altonaer Theaters wollte unbedingt Siegfried Lenz‘ Roman „Heimatmuseum“, einen veritablen 1000-Seiter, auf die Bühne bringen – als Uraufführung, eingebettet in die vielen Veranstaltungen, mit denen Hamburgs Ehrenbürger zehn Jahre nach seinem Tod geehrt wird.
Die Skepsis angesichts dieser Mammutaufgabe erweist sich als unbegründet. Schneider schafft es als Regisseur, den kolossalen autobiografischen Stoff in knapp drei Stunden in einer dichten und packenden Dramatisierung zu inszenieren. Seine Bühnenfassung ist klug gebaut, konzentriert sich aufs Wesentliche und reflektiert den Begriff der Heimat und den Missbrauch, der damit betrieben werden kann.
Lenz erzählt die Geschichte des masurischen Heimatmuseums, das beide Weltkriege überdauert hat und in Schleswig-Holstein einen neuen Ort findet, aus der Perspektive des Teppichmachers Zygmunt Rogalla (Markus Feustel).
Rogalla stellt zu Anfang alle handelnden Personen vor und beginnt seine Erzählung mit der eigenen Kindheit, in der er sich mit dem gleichaltrigen Konny Karrasch (Jascha Schütz) befreundet, den Ersten Weltkrieg und den Tod des Vaters (Ole Schloßhauer) miterleben muss, aber auch das Vertrauen seines Onkels Adam (Dirk Hoener) erringt. Der ist ein Heimatforscher, Sammler und Begründer des Heimatmuseums von Lucknow, einer fiktiven Stadt in Masuren.
„Heimatmuseum“: 1000-Seiten-Roman wird zu einem packenden Theatererlebnis
Den größten Part der Inszenierung muss Markus Feustel übernehmen. Er ist die Stimme von Siegfried Lenz, er ist der allwissende Erzähler und auch die wichtigste handelnde Figur. Mit großer Souveränität treibt Feustel die Geschichte als Erzähler zwischen den oft kurzen Spielszenen voran. Seine Figur ist abgeklärter als die seines Freundes Konny. Den spielt Jascha Schütz als glühenden Kämpfer gegen die Nazis und gegen Ende des Stücks als einen durch den Krieg gebrochenen Mann, der seine Ideale verraten und sich nun auf die Seite der Reaktionäre gestellt hat, die von der „Treue zur vorübergehend verlorenen Erde“ faseln und den Verlust der Gebiete, die seit 1945 zu Polen gehören, nicht hinnehmen wollen. Schütz, 28 Jahre alt, zeigt an diesem Abend einmal mehr, dass er zu den besten Nachwuchsschauspielern auf Hamburgs Bühnen zählt.
In Lenz‘ Roman gibt es eine Vielzahl von Personen, die von einem achtköpfigen Ensemble zum Leben erweckt werden. Vor allem Tobias Dürr springt in Sekundenschnelle von einer Figur in die nächste: Er ist Dorfpolizist, russischer Offizier, der Holzflößer Simon Gayko, Druckermeister Weinknecht und Nazi-Scherge. In den kurzen Szenen gibt er jeder dieser Figuren überzeugende Statur. Ole Schloßhauer verkörpert verschiedene Honoratioren, vor allem den schlimmen Opportunisten Henseleit. Er spielt diesen Wendehals als eine zutiefst verabscheuungswürdige Person.
Altonaer Theater: Sehr überzeugend gelingt eine beklemmende Fluchtszene
Auch Dirk Hoener in zahlreichen Rollen und die drei Frauen überzeugen in diesem dichten Ensemblespiel. Besonders Katrin Gerken als Teppichknüpferin Sonja Turk gelingt es, den typischen ostpreußischen Tonfall authentisch rüberzubringen. Ihr Platz ist hinter einem riesigen Webstuhl, dem zentralen Requisit auf der Bühne (Ricarda Lutz). Sie ist ein Ruhepol in dem Geschehen, Anne Schieber als Mutter und Pia Koch als Zygmunts Ehefrau dagegen sind oft von Furcht getrieben. Sehr überzeugend gelingt ihnen eine beklemmende Fluchtszene, als sie versuchen, im Winter 1945 Masuren mit einem Schiff zu verlassen.
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Axel Schneider ist mit Bühnenfassung und Inszenierung ein spannender Theaterabend gelungen, der einen jahrzehntelangen historischen Bogen schlägt und fragt, wie Heimat bewahrt werden kann. Nicht in einem Museum, denn das geht am Ende in Flammen auf.
Begeisterter Applaus für das Ensemble und das Regie-Team.
„Heimatmuseum“ läuft bis 24.11. Karten unter T. 040/39905870, www.altonaer-theater.de